Berlin. „Parfums nach Gewicht“ und „Künstliche Blumen“ steht über dem Ladengeschäft geschrieben. Die Werbung stimmt einen bereits nostalgisch. Auch im Inneren der Parfümerie setzt sich der Eindruck fort: keine stylischen Werbeaufsteller, keine jungen Verkäuferinnen, keine Easy-Listening-Beschallung. Stattdessen zahlreiche gleichaussehende Eau-de-Toilette-Flaschen, die – symmetrisch angeordnet – an ein Labor erinnern. „Vanille“, „Lotus“, „Cochabama“, „Lambada“, „Springfield“, „Kyoto“ oder „Eau de Berlin“ steht auf den Etiketten.
Sofort fällt eine ganze Flotte von Düften fast betäubend über die Nasenrezeptoren. Rechter Hand warten Dutzende künstliche Blumen auf Kundschaft. „Die kann man parfümieren“, so Lutz Lehmann. „Auch mein Großvater Eduard Lehmann hatte künstliche Blumen im Laden an der Potsdamer Straße, als eine Art zweites Standbein. Der Laden wurde 1926 nahe des Potsdamer Platzes eröffnet.“
Ein Abenteurer, erzählt Lehmann, sei der Großvater gewesen. Mit einem Taler floh er als 15-Jähriger aus Schlesien. Er reiste bis nach Arabien. In der Nähe der Parfümhauptstadt Grasse in Südfrankreich ließ er sich schließlich zum Parfumeur ausbilden. In Berlin setzte er seine Kenntnisse in eine außergewöhnliche Geschäftsidee um: Parfum nach Gewicht.
Das erste Geschäft musste Speers „Germania“-Plänen weichen
Die Kunden kauften nicht, weil sie durch Werbung animiert wurden, sondern von der Qualität und den günstigen Preisen erfahren hatten. „In den 1920er-Jahren waren Veilchen- und Maiglöckchen-Düfte en vogue, und Jasmin-dominierte wie das weltberühmte Chanel N°5“, so Lehmann. Die überwiegend weibliche Kundschaft kaufte tatsächlich nach Gewicht, manche brachten eigene Flakons mit.
1928 übernahm sein Vater Harry das Geschäft. Ein gutes Jahrzehnt später musste das gesamte Haus den Speerschen „Germania“-Träumen weichen. Den Standort in der berühmten Passage an der Friedrichstraße beendeten alliierte Bomben. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann Harry Lehmann an der Friedrich-/Ecke Mohrenstraße, 1951 folgte der Umzug in den Westteil der Stadt, an die Joachimstaler Straße.
Nach Filialeröffnungen in der Wilmersdorfer und der Karl-Marx-Straße ging es aus Furcht vor einer Besatzung West-Berlins durch die sowjetischen Truppen nach Frankfurt am Main. Kurz nach dem Mauerbau kehrte Familie Lehmann nach West-Berlin zurück. „Alle unsere Verkäuferinnen stammten aus dem Ostteil, wir mussten selbst wieder in den Laden“, so Lehmann. Seit 1958 ist man an der Kantstraße ansässig.
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Schon mit sechs Jahren weihte ihn sein Vater in das Handwerk ein
Lutz Lehmann wurde bereits im zarten Alter von sechs Jahren von seinem Vater an die Parfümerie herangeführt. „Immer wieder durfte ich einzelne Essenzen riechen: Orange, Zitrone, Jasmin, Lavendel, Maiglöckchen, Gewürze. Einige Tage später ließ mich mein Vater wieder riechen, und ich musste die Düfte benennen.“
Mit zwölf Jahren half er dem Vater beim Mischen der Parfüms. Als er 16 Jahre alt war, starb dieser. Viele Bücher hat er danach gelesen, die auf Karteikarten handgeschriebenen Rezepturen archiviert, reiste nach Grasse zu den berühmten Parfümeuren. „Das war wichtig, denn die konnten mir behilflich sein, kleine Mengen ätherische Öle von Jasmin oder Lavendel zu beziehen. Das wäre für mich allein als kleiner Berliner Parfümeur sehr schwer gewesen“, erinnert sich Lehmann.
Seine Kunst besteht aus der Mischung verschiedener ätherischer Öle zum betörend durftenden Gesamtkunstwerk. Rund 50 verschiedene Düfte stehen in den schlichten Glasflaschen und immer gleichen Flakons im Laden. Blumige, fruchtige und orientalische für die Damen, seit etwa Mitte der 1970er-Jahre auch Citrus-, Holz- und Chypredüfte für die Herren.
So bewahrt man Parfüm am besten auf
„Die Moden bewegen sich in Wellen“, weiß Lehmann aus mehr als fünf Jahrzehnten Erfahrung. Hunderte Düfte kommen Jahr für Jahr auf den Markt, „und genau so viele verschwinden wieder“, so Lehmann. Er kreiert alle zwei, drei Jahren neue Eau de Toilettes. Zur Zeit verkaufen sich die Neukreationen „Naples“ für Frauen und „Miami“ für Herren gut. „Blumig, aber dezent für die Dame, erfrischend herb mit Citrusnoten für den Herrn.“
Jeweils 39 Euro kosten 50 Milliliter der Düfte. Gemischt werden sie im Keller. In den darf kein Besucher. „Niemals!“ sagt Lehmann entschieden. „Das ist mein Geheimnis.“ Was er seinen Kundinnen und Kunden rät: „Niemals zu viel aufzulegen. Ab und zu wechseln, man riecht nach einiger Zeit nicht mehr, wie stark man parfümiert ist. Und: die Düfte kühl und dunkel lagern.“
Harry Lehmann Kantstraße 106, Charlottenburg, Tel. 324 35 32, Mo.–Fr. 10–18 Uhr, Sbd. 10–14 Uhr, www.parfum-individual.de
In diesen Läden dreht sich alles um schöne Düfte und nachhaltige Produkte
- Mekkanische Rose Berlin Leibnizstr. 47, Charlottenburg, Tel. 323 14 19, Mo.–Fr. 10–19 Uhr, Sbd. 10–14 Uhr, www.mekkanischerose.de
- Urban Scents Bleibtreustraße 32, Charlottenburg, Tel. 49 08 94 38, Mo.–Fr. 11–18 Uhr, www.urbanscents.de
- Parfumsalon Berlin Uhlandstr. 173, Charlottenburg, Tel. 882 73 06, Di., Mi. und Sbd. 10–18 Uhr, Do. und Fr. 10–19 Uhr, www.parfumsalon.de
- Frau Tonis Parfum Zimmerstr. 13, Kreuzberg, Tel. 20 21 53 10, Mo.–Sbd. 10–18 Uhr, www.frau-tonis-parfum.com
- Breathe-Fresh Cosmetics Rosa-Luxemburg-Straße 28, Mitte, Tel. 24 34 25 77, Mo.–Sbd. 11–19 Uhr, www.breathe-cosmetics.com/shop
- Lorbeerseife Gleditschstr. 47, Schöneberg, Mo.–Sbd. 11–17 Uhr, Tel. 64 49 68 06
- Die Kerzenmanufaktur Räuschstr. 17a, Borsigwalde, Tel. 43 77 98 30, Di.–Fr. 14–18 Uhr, Sbd. 10–14 Uhr, www.die-kerzenmanufaktur.de
- Feuer & Flamme Chodowieckistr. 2, Prenzlauer Berg, Tel. 44 04 19 73, Di.–Fr. 12–18 Uhr, Sbd. 12–16 Uhr, www.feuer-flamme-berlin.de
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