Die Häuser in der Reinickendorfer Siedlung Am Steinberg sind baufällig. Der Eigentümer will im großen Stil modernisieren – was die Miete drastisch erhöhen würde. Die langjährigen Mieter sind geschockt.

Die Siedlung am Steinberg ist ein kleines Idyll. In den Bäumen zwitschern die Vögel, vor den Häusern wachsen Hyazinthen und Tulpen, an den Fenstern hängen weiße Spitzengardinen. Auf der Straße stehen die Nachbarn und halten ein Schwätzchen. Die Siedlung in Tegel ist aber auch: ein Kriegsschauplatz. Einer, an dem mit Worten und Briefen gekämpft wird, an dem es um Wohnfläche und Mieterhöhungen geht, um Modernisierung und Instandsetzung, um Vertragsformulierungen und Gerichtsurteile. Es geht um Vorwürfe, in denen die einen von „Miethai“ sprechen und die anderen einen Anwalt beauftragen, der anmerkt, die gezahlten Mieten würden „der Höhe nach auch vom Sozialamt übernommen werden“.

Die Berliner kennen diese Art der Auseinandersetzung aus Kreuzberg, Neukölln oder Schöneberg, wo günstige Altbauwohnungen aufwendig modernisiert und dann deutlich teurer vermietet werden. Über die „Gentrifizierung“ und darüber, wie sie sich aufhalten lässt, wird in den Innenstadt-Bezirken nicht nur in Berlin schon lange gesprochen. Aber in Reinickendorf? Dort, ein paar hundert Meter Luftlinie östlich der Autobahn 111, sitzen vier Männer und eine Frau auf der Terrasse und diskutieren. „Die wollen uns raushaben“, der Satz fällt immer wieder. „Die“, das ist eine Immobilien-Entwicklungsgesellschaft, die vor rund vier Jahren die Siedlung mit 38 Reihenhäusern und drei Mehrfamilienhäusern gekauft hat.

Moderne Heizungen fehlen in vielen Wohnungen am Steinberg

Dass Sanierungsarbeiten nötig sind, zumindest darüber sind sich alle einig. Denn in den Jahren vor dem Verkauf war an den 1919 bis 1920 gebauten Häusern kaum etwas gemacht worden, erzählt Ursula Haj-Ahmad, 68. Ihr Großvater war vor 93 Jahren in das Haus mit Garten eingezogen, in dem sie nun lebt. Bei Lothar Kolbes Einzug 1986 wurde immerhin noch eine modernere Heizung eingebaut, „aber wer ein Vierteljahr später kam, musste in ein Haus mit Ofenheizung ziehen“, berichtet der 64-Jährige. Heizungen, Bäder – wer einen moderneren Standard wollte, kümmerte sich eben selbst darum. Dafür waren die Mieten niedrig: 272 Euro Miete zahle sie für 78,6 Quadratmeter, in denen die Eigentümer die Ofenheizung nie ersetzt hätten, sagt Ursula Haj-Ahmad.

Fassaden, Fenster, Dach, das alles müsste gemacht werden, zählen die Mieter auf der Terrasse auf. „Instandsetzungsarbeiten“, sagt Hans-Hartmut Lenz, der ebenfalls schon seit seiner Geburt in der Siedlung lebt. „Instandsetzung“ ist ein wichtiger Begriff, denn die Kosten dafür müssen von den Modernisierungskosten abgezogen werden, die dann wiederum Grundlage für eine Mieterhöhung sein können. Nach einer Modernisierung dürfe die Miete um elf Prozent der reinen Modernisierungskosten erhöht werden, erklärt Wibke Werner, Mitarbeiterin der Geschäftsführung beim Berliner Mieterverein.

Nettokaltmiete würde nach Modernisierung auf 1667 Euro steigen

Wie eine solche Modernisierung aussehen könnte, zeigt die „Ankündigung von Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen“, die die Entwicklungsgesellschaft einer 79 Jahre alten Mieterin der Siedlung geschickt hat. Angekündigt werden neben Wärmedämmung, neuer Elektroanlage und einem Anschluss ans Fernwärmenetz unter anderem eine Fußbodenheizung im Erdgeschoss, neue Sanitärobjekte, ein Wintergarten und eine Terrasse. Die Wohnfläche würde dabei von knapp 83 auf knapp 166 Quadratmeter steigen. Die voraussichtliche monatliche Modernisierungsumlage für diese Mieterin sollte danach bei 1332,92 Euro liegen, die Nettokaltmiete von 334,62 Euro auf 1667,54 Euro steigen, von 4,04 auf 10,06 Euro pro Quadratmeter.

Zu dieser angekündigten Mieterhöhung sagt Anwalt Felix Zimmermann, der im Auftrag der Eigentümer mit Medien spricht: „Das ist ein absoluter Einzelfall, der der Tatsache geschuldet ist, dass das Haus sehr baufällig ist. Die Mieterin hatte die Mängel im Haus selbst angezeigt. Die Eigentümerin hat deshalb Gespräche mit ihr geführt und ihr eine Ersatzwohnung angeboten.“

Er versichert auch: „Die Mieter müssen nicht raus. Es ist keine Luxussanierung geplant. In den leer stehenden Häusern können optional nach Käuferwunsch etwa Kamine eingebaut werden. In den vermieteten Häusern ist das nicht der Fall.“ Einige Mieter aber glauben, dass die Modernisierungsankündigung für alle Häuser gelten soll. Sie wollen keinen „zeitgemäßen Zuschnitt der Wohnräume“, keine Wintergärten oder Fußbodenheizung. Gedämmt werden sollten die Häuser, schlagen sie vor, in einige Häuser müsse eine neue Heizung eingebaut werden. Dann sei man auch bereit, Mieterhöhungen zu akzeptieren.

Aber die Vorstellungen von Mietern und Eigentümer liegen deutlich auseinander. 560 Euro für 80 Quadratmeter, also etwa sieben Euro pro Quadratmeter, nennt einer der Mieter als Größenordnung. Dagegen sagt Anwalt Zimmermann, selbst 10,06 Euro lägen noch unter dem ortsüblichen Standard für ein Reihenhaus mit Garten in Berlin. „Die aktuellen Mieten dürften überwiegend zwischen 3 bis 4,50 Euro pro Quadratmeter und Monat liegen. Seit Übernahme der Siedlung ist eine Mieterhöhung durchgeführt worden, die bei den Reihenhäusern zu Mietsteigerungen von rund 40 bis 80 Euro pro Haus geführt haben. „Bereits mit dieser äußerst moderaten Mieterhöhung, die weit unter dem liegt, was für Haus mit Garten gezahlt werden müsste, waren viele Mieter nicht einverstanden“, schreibt der Anwalt. Dabei hätten sie gegenüber den Vor-Eigentümern und den Behörden selbst eine Sanierung gefordert.

Haus soll nach Sanierung 585.000 Euro kosten

Klar sei, dass in der Siedlung investiert werden müsse, sagt Reinickendorfs Baustadtrat Martin Lambert (CDU). Mit dem Konzept des neuen Eigentümers bezüglich Denkmalschutz könne er gut leben. Weil die Sanierung in einer Hand liege, bleibe der Charakter der Siedlung erhalten. Lambert kennt das Argument der Mieter, sie könnten weder die geforderten Verkaufspreise zahlen – im Internet wird eines der Häuser nach einer Sanierung beispielsweise für rund 585.000 Euro angeboten – noch die nach einer Sanierung deutlich höheren Mieten. Er weist aber darauf hin, dass die Mieten jetzt „unter der Vergleichsmiete“ liegen.

Um die Mieterhöhungen streiten einige Mieter und die Eigentümer vor Gericht und auch um andere „Vertragsverletzungen“, wie der Anwalt sagt. Dabei geht es zum Beispiel um ein Plakat mit der Aufschrift „Wir bleiben hier“, das einer der Mieter am Haus angebracht hatte. Damit werde der Eindruck erweckt, die Eigentümerin würde Mieter aus der Siedlung vertreiben wollen, „was nicht der Fall ist“, wie Zimmermann sagt. Die Proteste gingen aber nur von „einigen wenigen Mietern“ aus.

Eine schnelle Einigung wird es kaum geben. Für die einen ist die Siedlung ein Objekt, das sie „wirtschaftlich betreiben“ wollen und müssen. Für die anderen ein Zuhause, das sie nicht verlassen wollen.