Weil ausgebildete Lehrer fehlen, möchte Berlin mehr Quereinsteiger im Schulbetrieb einsetzen. Für Professorin Brigitte Lutz-Westphal birgt das jedoch viele Gefahren – auch für die Lehrer.

Zum neuen Schuljahr müssen mehr als 2200 Pädagogen eingestellt werden. Die Bildungsverwaltung will dem Mangel mit dem Einsatz von Quereinsteigern begegnen. Bisher haben sich mehr als 2300 Hochschulabsolventen gemeldet, die gern als Lehrer arbeiten wollen. Fachleute kritisieren indes die fehlende pädagogische Ausbildung dieser Akademiker. Eine von ihnen ist Brigitte Lutz-Westphal, Professorin für Didaktik der Mathematik an der Freien Universität Berlin. Sie und ihre Kollegen sind beauftragt, Weiterbildungsmaßnahmen für Quereinsteiger zu entwickeln.

Berliner Morgenpost: Frau Lutz-Westphal, haben Sie etwas gegen Quereinsteiger?

Brigitte Lutz-Westphal: Nein, prinzipiell habe ich nichts gegen Quereinsteiger an Schulen. Sie bringen eine frische Perspektive mit und viel Berufserfahrung. Jemand aus der Finanzbranche kann den Schülern zum Beispiel anschaulich vermitteln, weshalb man Prozentrechnung können muss und wo sie in der Praxis gebraucht wird. Eine gewisse Anzahl von Quereinsteigern tut jeder Schule gut.

Trotzdem kritisieren Sie das Vorhaben der Bildungsverwaltung, verstärkt Quereinsteiger an die Schulen zu holen, warum?

Die Quereinsteiger sind ohne jede Vorbildung, trotzdem sollen sie sofort unterrichten. Und zwar 19 Stunden pro Woche. Das ist kaum zu schaffen. Schon unsere Lehramtsstudenten brauchen oft bis zu fünf Stunden, um eine Unterrichtsstunde gut vorzubereiten. Selbst wenn man nur zwei Stunden Vorbereitungszeit pro Unterrichtsstunde rechnet, ist das ein gewaltiges Pensum. Hinzu kommt die erzieherische Arbeit. An den Oberschulen haben es die Quereinsteiger mit pubertierenden Jugendlichen zu tun, oft gibt es Disziplinprobleme. Ohne pädagogische Ausbildung fehlt ihnen aber jegliches Rüstzeug, um den Schülern angemessen zu begegnen. Abgesehen davon, dass die Schüler darunter leiden werden, befürchte ich, dass viele dieser Lehrer gesundheitlich kaputt gemacht werden.

Glauben Sie, dass viele Bewerber diese Belastung nicht sehen?

Viele denken, dass sie nur halbtags arbeiten müssen und lange Ferien haben. Was es aber heißt, vor einer Schulklasse zu stehen, Wissen zu vermitteln und erzieherisch tätig zu sein, davon haben sie keine Vorstellung.

Warum brauchen Quereinsteiger eine pädagogisch-didaktische Ausbildung ?

Die Heterogenität innerhalb der Klassen hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Allein dies ist schon eine pädagogisch-didaktische Herausforderung, auch für erfahrene Lehrkräfte. Wie kann ich meinen Unterricht so gestalten, dass er allen Schülern gerecht wird, sie gleichzeitig fördert und herausfordert? Wie gehe ich mit völlig unterschiedlichen Lernvoraussetzungen um? Mit dem Rückgriff auf die eigene Lernbiographie kommt man hier nicht mehr weiter. Ein vollständiges Umdenken darüber, wie Unterricht zu sein hat, ist nötig. Wenn man jetzt noch ein paar Jahre weiterdenkt, dann verschärft sich diese Problematik noch deutlich mit der Einführung der Inklusion. Solch ein Unterricht ist, falls er überhaupt möglich ist, nur mit einem breiten Repertoire an didaktischen Kenntnissen zu bewältigen.

Gibt es spezielle Bedenken, den Mathematikunterricht betreffend?

Wir sind seit Jahren dabei, die Ausbildung für Mathematiklehrer zu verändern, damit dieses Fach von den Schülern nicht mehr als abschreckend und frustrierend erlebt wird. Unsere Studierenden lernen, den Unterricht praxisnäher zu machen, sich stärker auf das Denken der Schüler einzulassen und ihnen die Zusammenhänge verständlich zu machen. Quereinsteiger kommen ohne dieses Wissen in die Schule. Sie werden so unterrichten, wie sie es selbst als Schüler erlebt haben. Genau das wollen wir aber nicht mehr.

Sie sollen im Auftrag der Bildungsverwaltung die Fortbildung für Quereinsteiger entwickeln, die Mathematik als zweites Fach studieren wollen. Ihre Vorstellungen von dieser Ausbildung sind andere als die der Verwaltung. Wo gibt es Differenzen?

Die Verwaltung will die Anforderungen extrem absenken. Die Betreffenden sollen nur etwa 40 Semesterwochenstunden studieren. Das entspricht zwei bis drei Semestern Mathematik. Bisher waren für das Zweitfach wenigstens 60 Semesterwochenstunden nötig. Parallel zu dieser Ausbildung müssen die Quereinsteiger 19 Stunden pro Woche unterrichten und zwar ohne Vorbildung. Das Referendariat sollen sie erst danach absolvieren.

Wie könnte man es besser machen?

Quereinsteiger sollten zunächst ein Praktikum machen müssen, um zu sehen, ob dieser Beruf wirklich etwas für sie ist. Außerdem sollte ihre Unterrichtsverpflichtung abgesenkt werden. Zunächst sechs und später zehn Stunden pro Woche wären genug. Guter Unterricht muss gut vorbereitet werden, das braucht Zeit. Und: Quereinsteiger sollten erst fest eingestellt werden, wenn sie das Referendariat mit gutem Ergebnis abgeschlossen haben.