Selin hat kürzlich erfolgreich ein Betriebspraktikum absolviert. Am Ende haben ihr die Chefs des Einrichtungshauses, bei dem sie gearbeitet hat, einen Ausbildungsplatz angeboten. „Sie fanden es gut, dass ich zuverlässig und pünktlich bin und gut Mathe kann“, sagt Selin.
Die 14 Jahre alte Schülerin besucht die Friedrich-Bergius-Sekundarschule in Berlin-Friedenau. Den Ausbildungsplatz will sie unbedingt in Anspruch nehmen, vorher aber das Abitur machen. Dafür muss sie nach der zehnten Klasse an eine andere Schule wechseln. Die Friedrich-Bergius-Schule hat keine Oberstufe.
Gefragt ist die Schule dennoch. Für das kommende Schuljahr haben sich 133 Kinder angemeldet, auf 100 zur Verfügung stehende Plätze. Schulleiter Michael Rudolph freut dieses Entwicklung.
„Damit zählt unsere Schule bereits zum fünften Mal in Folge zu den 34 Prozent der Integrierten Sekundarschulen, die mehr Anmeldungen als Plätze haben.“ Die angemeldeten Schüler kämen aus 48 verschiedenen Grundschulen, vor allem aus den Ortsteilen Friedenau, Charlottenburg, Wilmersdorf, Steglitz und Schöneberg.
Bezirk wollte die Schule schließen
Das war nicht immer so. 2005 gab es nur 38 Anmeldungen. Die Schule hatte einen denkbar schlechten Ruf. Gewaltvorfälle waren an der Tagesordnung, viele Schüler schwänzten regelmäßig den Unterricht. Der Bezirk war nahe dran, die Einrichtung zu schließen. Dann übernahm Michael Rudolph die Leitung der Schule.
Er war zuvor Rektor einer Kreuzberger Hauptschule. Schon nach einem Jahr gelang es ihm, die Anmeldezahlen mehr als zu verdoppeln. Mit der Friedrich-Bergius-Schule ging es wieder bergauf. Wer sich heute dort anmeldet, muss damit rechnen, dass die Plätze ausgelost werden. Damit steht die Schule nun genauso gut da wie etwa die Sophie-Scholl-Schule, die Carl-Zeiss-Schule oder die Martin-Buber-Schule – Sekundarschulen, die seid Jahren überaus beliebt sind.
Auch Selin und ihre Mitschüler Nicola, Chantal und Marius sind stolz auf den guten Ruf ihrer Schule. Sie erzählen, warum das so ist: „Hier herrscht eine gute Arbeitsatmosphäre“, sagt Marius. Es sei immer ruhig, man könne sich gut konzentrieren. Die Lehrer seien freundlich, die Schule sauber, nirgends läge etwas herum. Es falle kaum Unterricht aus. Die anderen stimmen ihm zu.
Offenes Erfolgsgeheimnis: Pünktlichkeit, Höflichkeit, Fleiß
Es gebe allerdings auch strenge Regeln, sagt Chantal: „Wer zu spät kommt, muss beim Hausmeister klingeln, darf nicht mehr in den Unterricht, sondern muss stattdessen den Schulhof putzen.“ Passiere das öfter, sei eine ganze Woche Putzen angesagt, von 6.30 Uhr bis kurz vor Unterrichtsbeginn. Auch dürfe man sein Handy nicht in die Schule mitbringen. Kaugummi kauen sei ebenso verboten wie das Tragen von Mützen und Kapuzen während des Unterrichts. Wer gegen diese Vorschriften verstoße, dem drohe ebenfalls ein Putzdienst.
Schließlich werden den Schülern auch Pünktlichkeit, Höflichkeit, Fleiß und Ausdauer abverlangt. So steht es jedenfalls in der Schulordnung. Schulleiter Michael Rudolph geht mit gutem Beispiel voran. Er ist täglich bereits ab 5 Uhr in der Schule, so oft es geht, begrüßt er vor Unterrichtsbeginn seine Schüler an der Eingangstür.
Sind all diese Regeln altmodisch? Die Schüler finden das nicht. „Wenn sich alle daran halten, können wir einfach besser lernen“, sagt Nicola. Die Rückmeldungen während des Praktikums hätten gezeigt, wie gut es ankommt, wenn man gute Leistungen hat, zuverlässig und pünktlich ist. Für Michael Rudolph ist die Berufsfähigkeit seiner Schüler das oberste Ziel. „Um das zu erreichen, braucht es Struktur und Kontinuität“, sagt er. Der Erfolg seiner Schule sei deshalb kein Geheimnis. „Wir machen hier guten Unterricht, nicht mehr und nicht weniger.“
Schüler und Lehrkräfte tragen zum Gelingen bei
Michael Rudolph ist aber kein Einzelkämpfer. Hinter ihm stehe ein gut eingespieltes Leitungsteam, sagt er. Dazu gehört die stellvertretende Schulleiterin Andrea Schellenberg. Sie ist für den Stundenplan verantwortlich. „Der ist heilig“, sagt sie. Er stehe vor den Sommerferien fest und werde nicht mehr geändert. Schellenberg ist überzeugt davon, dass es Lehrer und Schüler kaputt macht, wenn ständig am Stundenplan herumgebastelt wird. So sei das auch mit dem Einsatz von Lehrern: „Wir setzen alles daran, dass es in den Klassen möglichst keinen Fachlehrerwechsel gibt.“
Nicht nur die Schüler fühlen sich deshalb wohl an der Friedrich-Bergius-Schule, auch die Lehrer arbeiten gern dort. „Keiner will weg, wir haben im Gegenteil mehr und mehr Anfragen von Kollegen anderer Schulen, die bei uns arbeiten wollen“, sagt der Schulleiter. Rudolph ist es wichtig, dass alle Kollegen seine Vorstellung von Schule mittragen. Nur dann könne dieses System funktionieren. Außerdem zudem nur, wenn jeden Tag daran festgehalten werde. „Das ist harte Arbeit.“ Inzwischen wüssten die Schüler aber ganz genau, dass es nicht nur Regeln gibt, sondern deren Einhaltung auch täglich kontrolliert wird.
Ein Beispiel: Jeden Morgen müssen die Lehrer der Schulleitung melden, wenn jemand unentschuldigt fehlt. „Wir rufen dann sofort die Eltern an.“ Fehlzeiten hätten auf diese Weise stark reduziert werden können, sagt Rudolph. Für den beruflichen Erfolg seiner Schüler sei das entscheidend. „Wer dauerhaft verspätet ist oder häufig unentschuldigt fehlt, wird keinen Arbeitsplatz finden.“ Dies zu verhindern, betrachtet der Schulleiter als seine wichtigste Aufgabe.
Damit aber alle Schüler die Regeln befolgen können, müssen sie sie kennen und verstehen. Für die Siebtklässer haben Michael Rudolph und seine Kollegen deshalb die sogenannte Friedrich-Bergius-Stunde eingeführt, die im ersten Halbjahr auf dem Stundenplan steht. Einmal pro Woche wird den Kindern in dieser Stunde von Konrektorin Andrea Schellenberg das Regelwerk der Schule vermittelt. „Wir gehen Satz für Satz die Schulordnung durch. Wenn die Schüler etwas nicht verstehen, erkläre ich es ihnen“, sagt Schellenberg. Auch wie man das Hausaufgabenheft führt, zeige sie ihnen. „Wir wollen, dass alle Kinder möglichst schnell auf einem Level sind.“ Damit alle für die Zukunft gerüstet sind.