Noch vor wenigen Jahren galt das Gründen von Start-ups als Abenteuer vor allem für Pioniere, die mit cleveren Ideen in wirtschaftlich ungenutzten Nischen ihr Glück suchten – und oft auch finden konnten. Vor allem in Berlin wuchs und wächst diese neue Szene außergewöhnlich stark. Als Standort erster Wahl präsentierte sich die Stadt dafür von Anfang an fast zwangsläufig: Ein Mix aus preiswertem Umfeld, starken Universitäten und Instituten mit viel Freiraum für Experimente und wenigen Großunternehmen scheint als Nährboden und Sammelbecken kreativer Köpfe ideal zu sein.
Das haben viele Akteure erkannt, die mit Energie und Sachverstand, aber ohne übertriebene Hype-Euphorie, dabei sind, den notwendigen Rahmen für Geschäftsmodelle im Digitalzeitalter zu schaffen und das vorhandene Potenzial auszuschöpfen.
Starker Wachstum hält an
Und das ist enorm: So kommt eine McKinsey-Studie zu dem Ergebnis, dass bis 2020 durch Start-ups in der Stadt über 100.000 neue Arbeitsplätze entstehen könnten. Auch eine aktuelle Analyse der Investitionsbank Berlin (IBB) geht davon aus, dass bis zum Jahr 2020 etwa 17.000 neue Start-ups in innovativen Zukunftsfeldern in den Markt eintreten können.
Folgende Schlüsseltechnologien liegen dabei laut der gemeinsamen Innovationsstrategie von Berlin und Brandenburg besonders im Fokus: Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT), Gesundheitswirtschaft, Verkehr, Mobilität und Logistik, Energietechnik, optische Technologien und Mikrosystemtechnik.
Um hier und auch in anderen Bereichen das Gründen neuer Unternehmen zu fördern, hat die IBB eine ganze Reihe von Programmen aufgelegt. Dazu gehören neben Krediten, Venture-Capital und Coaching-Angeboten unter anderem der Businessplan-Wettbewerb Berlin-Brandenburg als größte deutsche Gründerinitiative oder die Deutschen Unternehmer- und Gründertage. Sie gilt als größte Messe zum Thema Existenzgründung in Deutschland. „Berlin verfügt über eine große Strahlkraft und seit wenigen Jahren ist es kaum noch ein Problem, qualifiziertes Personal in die Stadt zu locken“, sagt Hartmut Mertens, Chefvolkswirt der IBB. „Wir gehen davon aus, dass das zuletzt starke Wachstum gerade bei den Start-ups noch mindestens zehn bis 15 Jahre anhalten wird.“
Auch die Industrie- und Handelskammer Berlin (IHK) hat sich mit einer eigenen Start-up-Unit auf die neuen Gründer eingestellt. Vor einem Jahr aus der Taufe gehoben, will die neue Einheit vor allem drei Aufgaben erfüllen. „Zum einen wollen wir die unterschiedlichen Akteure der Szene noch stärker vernetzen. Zweitens wollen wir die Rahmenbedingungen für Start-ups verbessern und drittens das Gründen vereinfachen“, sagt Tim Brandt, der zum Kernteam der Start-up-Unit gehört. „Ferner wollen wir die IHK als zentrale Anlaufstelle etablieren, wo alle Fäden zusammenlaufen und Interessierte sich zu allen Fragen rund ums Gründen kostenlos beraten lassen können.“
Berlin hat etwa 2500 Start-ups
Auch die IHK geht davon aus, dass der Wachstums-Trend weiter anhält. „Wir beobachten zudem eine spürbare Internationalisierung der Szene“, sagt Brandt. „Speziell für ausländische Gründungswillige und Unternehmer haben wir mit dem Business Welcome Service ein mehrsprachiges Beratungsangebot und bieten zeitnah und umfassend Unterstützung bei der Gründung und Ansiedlung.“ Andersherum sollen auch Berliner Start-ups unterstützt werden, sich internationaler aufzustellen – gerade einmal ein Viertel von ihnen ist bislang so ausgerichtet. Eine Schwäche, denn oftmals ist weiteres wirtschaftliches Wachstum nur auf ausländischen Märkten realisierbar.
„Wir setzen uns darüber hinaus dafür ein, den Begriff Start-up genauer zu definieren“, sagt Brandt. Denn auch wenn „gefühlt“ viele wissen, was ein Start-up ausmacht – diese neue Kultur bleibt doch eher unscharf, wenn sie mit Daten und Fakten erfasst werden soll. „Momentan hat Berlin etwa 2500 Start-ups. Aber wie viele bislang gescheitert sind oder sich am Markt behaupten, lässt sich mangels eigener Statistik nur schwer sagen.“ Als Faustregel gelte daher: etwa ein Drittel scheitert, ein Drittel überlebt – wächst aber nicht weiter – und ein Drittel startet richtig erfolgreich durch.
Gründer fördern
Zu den Back-up-Strukturen, die aus der Szene heute nicht mehr wegzudenken sind, gehören sogenannte Inkubatoren. Das können beispielsweise Gründerzentren sein, die Starthilfen für Start-ups bieten. Immer mehr große Unternehmen richten solche Inkubatoren ein, um Gründer zu fördern – denn viele von ihnen haben den Charme der Innovationen von außen für sich entdeckt.
Als erster Konzern hat die Deutsche Telekom mit hub:raum einen eigenen Inkubator ins Leben gerufen. Seit seinem platzbedingten Umzug im November 2013 ist der Start-up-Inkubator jetzt in neuen Räumen an der Winterfeldtstraße zu Hause. „Wir erleben, dass kleine Start-up-Teams oftmals schon in wenigen Monaten personell stark wachsen“, sagt Peter Borchers, Leiter und Gründer des hub:raum. „Daher haben wir die Räume so gestaltet, dass sie jederzeit sehr flexibel an den Bedarf angepasst und verändert werden können.“ Neben Platz zum Arbeiten und einem schnellen Internetanschluss stellt hub:raum aber vor allem fachliches Know-how, finanzielle Förderung zur Verfügung und bietet Treff- und Austauschmöglichkeiten für die Szene: Etwa hundert öffentliche Veranstaltungen organisieren sie pro Jahr.
Wachstumsfelder 3D-Druck, Automotive und Sicherheit
„Berlin ist aus vielerlei Gründen besonders interessant für Start-ups“, sagt Borchers. „Nach wie vor ist die Stadt kostengünstig, Räume und Personal zu finden, ist recht leicht.“ Außerdem sei die Szene zwar mittlerweile stark gewachsen, aber trotzdem überschaubar – und vor allem sehr offen und zugänglich. Starre Traditionen und verfestigte Sozialstrukturen sind hier anders als in anderen – vor allem europäischen – Metropolen weniger ausgeprägt. „Neuankömmlinge haben viele Anlaufstellen, wo sie Kontakte knüpfen und sich Informationen holen können. Gerade in den vergangenen zwei Jahren sind Start-ups regelrecht salonfähig geworden und aus dem Wirtschaftsleben nicht mehr wegzudenken“, sagt Borchers.
Wachstumsfelder sieht der Start-up-Experte beispielsweise im Bereich FinTech – den neu entstehenden Finanzierungsmodellen – oder dem Bereich Hardware, 3-D-Druck oder Robotik. „Auch der Sicherheitstechnologien- und Automotive-Sektor wird sicherlich weiter wachsen.“
Unter den Förderern von Start-ups befindet sich auch die öffentliche Hand: So gehört das Innovations-Zentrum Berlin Management GmbH (IZBM) zu den Institutionen, die seit Jahrzehnten Gründer beim Schritt in die Welt des Unternehmertums beraten und unterstützen. An den zwei Standorten in Adlershof und in Charlottenburg können junge Unternehmen die Infrastruktur zu günstigen Konditionen nutzen. „Wir stehen Gründern gerade in der ersten Entwicklungsphase beratend zur Seite“, sagt Gerhard Raetz, Prokurist beim IZBM. „Das beginnt beim Arbeiten am Unternehmenskonzept und geht über das Einbinden in Netzwerke bis hin zum Bieten günstiger Räumlichkeiten mit flexiblen Mietverträgen.“
Standort Charlottenburg
So entstehen gerade am Standort Charlottenburg neue Räume, die Anfang 2015 fertig gestellt sein sollen. „Bislang arbeiten schon rund 25 überwiegend technologieorientierte Start-ups in unserem Charlottenburger Zentrum“, sagt Raetz. „Wenn der zweite Bauabschnitt fertig ist, haben wir unsere Fläche auf 5500 Quadratmeter verdreifacht.“ Vor allem setzt das IZBM dabei auf junge Gründer, die reale Produkte mit hoher Nachhaltigkeit und großem Nutzen für den Markt und seine Kunden entwickeln. „Wir unterstützen eher Firmen, die etwas Konkretes wie zum Beispiel Sensortechnik, Prüfverfahren für Verbrennungsmotoren oder medizinische Hightech herstellen“, sagt Gerhard Raetz. „Software- und App-Entwickler für den Endkundenbereich sind bei uns nicht so stark vertreten.“
Silicon Valley ist Berlin zwar nicht, die Stadt ist mit ihren historischen Brüchen und ihrer wechselhaften Geschichte aber wieder einmal dabei, sich neu zu erfinden und als Großlabor der Trends von morgen zu bewähren.