Faul, undiszipliniert, wenig belastbar – die Klagen der Betriebe über die Ausbildungsreife ihrer Auszubildenden nehmen zu. „Die mangelnde Ausbildungsreife von Schulabgängern ist das Ausbildungshemmnis Nr. 1 für die Betriebe“, sagte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Eric Schweitzer, am Donnerstag bei der Vorstellung der aktuellen DIHK-Ausbildungsumfrage.
Ursache für die wachsende Unzufriedenheit mit den Kenntnissen und der sozialen Kompetenz der Jugendlichen: Angesichts rapide schrumpfender Bewerberzahlen geben die Unternehmen immer häufiger auch lernschwächeren Jugendlichen einen Ausbildungsplatz. Dennoch werden wohl 80.000 Lehrstellen in diesem Jahr allein bei den Industrie- und Handelskammern unbesetzt bleiben.
„Die Schere zwischen betrieblicher Anforderung und sozialer Kompetenz der Auszubildenden geht weiter auseinander“, stellte Schweitzer fest. Jedes zweite Unternehmen klagt über mangelnde Disziplin und Belastbarkeit sowie fehlende Leistungsbereitschaft und Motivation. Jedes dritte bemängelt die Umgangsformen der Bewerber. Deutlich negativer als vor einem Jahr wird auch das Interesse der Jugendlichen an ihrer Ausbildung bewertet. 32 Prozent der Betriebe wünschen sich mehr Einsatz von den Azubis. „Neben der Integration von schwächeren Jugendlichen in Ausbildung schlagen sich hier auch die anderen Vorstellungen von Arbeiten und Lernen der Generation Y in der Zusammenarbeit mit den Betrieben nieder“, meinte Schweitzer.
Die junge Generation sei zwar leistungsbereit, suche jedoch stetig die „kreative Herausforderung“ und den Sinn in einer Aufgabe. „Notwendigen Routinearbeiten steht sie eher kritisch gegenüber.“ Aber auch an der Berufsorientierung mangelt es. Die unklaren Berufsvorstellungen vieler Schulabgänger sehen die Firmen als zweitgrößtes Ausbildungshemmnis.
Mangelnde Deutsch- und Mathekenntnisse
Es hapert auch an den Schulkenntnissen. Mangelnde Deutschkenntnisse beklagen 56 Prozent der Unternehmen, ein deutlicher Anstieg um sieben Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr. Fast jedes zweite Unternehmen stellt bei Mathekenntnissen Defizite fest. Jedes dritte bietet Nachhilfe für Azubis an, jedes vierte nutzt die ausbildungsbegleitenden Hilfen der Arbeitsagenturen. Schweitzer empfiehlt schwächeren Jugendlichen, in einem Betriebspraktikum „durch ihren persönlichen Eindruck und ihr hohes soziales Engagement zu punkten“. Allerdings nutzen immer noch vier von fünf Betrieben vornehmlich Schulzeugnisse bei der Bewerberauswahl. „Das bedeutet auch: Für rund ein Fünftel der Betriebe sind Schulzeugnisse nicht ausschlaggebend“, betonte Schweitzer.
„Die aktuelle Entwicklung ist ein Vorgeschmack auf den kommenden Fachkräftemangel“, warnte der DIHK-Präsident. „Die fehlenden Azubis von heute sind die fehlenden Fachkräfte von morgen.“ Vor allem zwei Trends machen den Unternehmen bei der Azubi-Suche zu schaffen: Zum einen geht die Zahl der Schulabgänger zurück, zum anderen entscheiden sich immer mehr Jugendliche für ein Studium. In diesem Jahr haben 53.000 junge Leute weniger die Schule verlassen als ein Jahr zuvor. Zusätzlich ist der Run auf die Hochschulen ungebrochen. 2013 haben rund 507.000 junge Menschen ein Studium begonnen, rund ein Drittel mehr als noch zehn Jahre zuvor. Als Folge kämpft heute jeder zweite Betrieb mit sinkenden Bewerberzahlen. 29 Prozent der Betriebe gelang es nicht, alle Plätze zu besetzen. „Was als Problem für die kleinen Betriebe begann, hat auch die größeren Betriebe erreicht – obwohl sie unter Bewerbern als besonders beliebt gelten“, erklärte Schweitzer.
In der Folge bieten Betriebe, die über Jahre ihre Plätze nicht besetzen können, auch keine Lehrstellen mehr an. Besonders dramatisch sei die Situation in Ostdeutschland, vor allem in kleinen Betrieben. Seit 1999 sei dort die Anzahl der Ausbildungsbetriebe um mehr als ein Drittel zurückgegangen, bei den Kleinstbetrieben sogar um mehr als die Hälfte. Durch die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns werde sich der Bewerbermangel noch verschärfen, sagt Schweitzer voraus. „Viele Jugendliche aus bildungsfernen Haushalten werden sich dafür entscheiden, einen Job für 1500 Euro zu machen anstatt eine Ausbildung, bei der man im Schnitt mit 767 Euro vergütet wird.“ Der Mindestlohn gilt trotz Kritik der Wirtschaftsverbände schon ab 18 Jahren. Dabei gibt es unter den 25- bis 34-Jährigen jetzt schon 1,5 Millionen ohne Ausbildung. Ihre Zahl werde weiter steigen, fürchtet Schweitzer.
„Wir lassen uns im Ausland für die geringe Jugendarbeitslosigkeit feiern“, sagte Schweitzer. Diese sei aber nur so niedrig, weil es in Deutschland das duale Ausbildungssystem gebe. „Gleichzeitig bringen wir diesem aber nur eine geringe Wertschätzung entgegen“, klagte der DIHK-Chef. „Eltern wollen immer noch am liebsten, dass ihre Kinder studieren gehen. Das müssen wir ändern.“ Die jungen Menschen müssten bei der Berufsorientierung besser begleitet werden.
Smartphone als Lockmittel
Die Betriebe versuchten, neue Bewerberpotenziale zu erschließen. Dazu gehöre die große Gruppe der 100.000 Studienabbrecher im Jahr. „20 Prozent der Studenten brechen ihr Studium ab, in den Naturwissenschaften sind es sogar 50 Prozent“, sagte Schweitzer. Studienabbrecher seien vor allem für die IT-Branche und für die Banken und Versicherungen interessant. Diese Ausbildungsberufe schlössen gut an bereits erworbene Kenntnisse aus dem Studium an.Zunehmend werben Betriebe auch im Ausland um Jugendliche – der Anteil der Firmen, die dies tun, ist aber mit vier Prozent, verschwindend gering. „Die große Azubi-Welle aus dem Ausland ist bisher ausgeblieben“, konstatierte der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks.
Um im Kampf um die besten Köpfe nicht leer auszugehen, umwerben die Betriebe die Jugendlichen stärker, meinte Dercks. Sie locken nicht nur mit Auslandsaufenthalten und Zusatzqualifikationen, sondern auch mit Zuschüssen für das Nahverkehrsticket oder den Führerschein sowie einem eigenen Dienstwagen. Lockmittel können aber auch Smartphones oder die Mitgliedschaft im Fitness-Studio sein. Die Unternehmen verbessern zudem ihr Marketing und nutzen Online-Börsen und soziale Medien, um Bewerber zu gewinnen.
Wie wichtig der gelungene Einstieg ins Berufsleben für das gesamte Arbeitsleben ist, zeigt eine aktuelle Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Menschen, die in jungen Jahren stark von Arbeitslosigkeit betroffen sind, sind auch im späteren Erwerbsverlauf häufiger ohne Job.