Superlativ Finanzkrise

Fast sechs Billionen Euro ärmer in fünf Tagen

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Daniel Eckert und Holger Zschäpitz

Noch nie in der Geschichte des modernen Finanzwesens wurde in einer Woche so viel Börsenwert vernichtet. Weltweit wurden schätzungsweise 5,8 Billionen Euro an Marktwert ausgelöscht, seit Jahresanfang sogar 18 Billionen Euro. Jetzt gilt es, wieder Vertrauen zu fassen. Gar nicht so einfach.

Die zu Ende gehende Woche wird als Woche der Superlative in die Wirtschaftsgeschichte eingehen – leider ganz und gar negativ. Noch nie ist in so kurzer Zeit so viel Börsenwert vernichtet worden wie zwischen dem 6. und dem 10. Oktober 2008. Der Dax hat sich in diesen fünf Handelstagen um 20 Prozent vermindert, das entspricht einer Vernichtung von 120 Mrd. Euro Aktienkapital. In New York, Tokio und an den anderen großen Börsen lesen sich die Zahlen nicht weniger erschreckend. Weltweit wurden in dieser Horror-Woche 5,8 Billionen Euro Marktwert ausgelöscht. Seit Jahresanfang sind Anleger der Welt durch die Kursverluste um rund 18 Billionen Euro ärmer geworden.

Auch die Angst war an den internationalen Kapitalmärkten noch nie so groß wie derzeit. Die Nervositätsindizes beiderseits des Atlantiks schossen auf historische Höchststände. In Deutschland verzeichnete der VDax einen negativen Rekordstand von 63 Punkten. Der VDax misst, mit welchen Schwankungen die Marktteilnehmer in den bevorstehenden anderthalb Monaten rechnen. Je höher der VDax, desto größer ist die Furcht im Markt.


Fundamentaldaten wie der Buchwert, nach denen Firmen an der Börse in normalen Zeiten bewertet werden, scheinen keine Rolle mehr zu spielen. Viele Akteure scheinen ihre Wertpapiere zu jedem Preis auf den Markt werfen zu müssen. Einzelne Hedgefonds werden liquidiert, und Versicherungen müssen verkaufen, weil die Indizes bestimmte rote Linien unterschritten haben. „Das ist ganz klar ein Crash. Unternehmensdaten zählen nicht mehr“, sagt Investorenlegende Jim Rogers. Noch nie in jüngerer Zeit war das Misstrauen der Menschen gegenüber den Banken so hoch. Nach einer Serie von Pleiten, Verstaatlichungen und Teilverstaatlichungen häufen sich die Berichte, dass Sparer weltweit ihre Einlagen abziehen.

Der wohl größte Schock der Woche war für Privatanleger die Schließung der hiesigen Tochter der isländischen Kaupthing-Bank, bei der 30.800 deutsche Sparer mehr als 300 Mio. Euro angelegt hatten. Gleichzeitig zogen Investoren dreistellige Millionenbeträge aus den ehemals als grundsolide geltenden Geldmarktfonds ab. Teilweise verloren die Produkte, die vor allem von risikoscheuen Anlegern gekauft wurden, wegen der Finanzturbulenzen in dieser Woche bis zu fünf Prozent an Wert. Der Preis des Edelmetalls Gold, das als sicherer Hafen in Krisenzeiten gilt, zog dagegen um knapp zehn Prozent an. Die explodierende Nachfrage nach Barren sowie Münzen führte sogar zu Lieferengpässen und langen Wartezeiten.


Noch nie war aber auch das Misstrauen der Banken untereinander so groß. In normalen Zeiten leihen sich die Institute gegenseitig überschüssiges Geld auf Tagesbasis und gewährleisten so, dass keine kurzfristigen Liquiditätsschwierigkeiten entstehen. Nicht so derzeit: In den Vorstandsetagen der Geldhäuser ist die Angst übergroß, dass einmal transferiertes Geld am nächsten Tag nicht mehr zurückkommt, weil der Wettbewerber über Nacht pleitegegangen ist. Genau diese Furcht droht aber das gesamte System zu kippen und auf die Realwirtschaft überzugreifen.


Wenn überhaupt Geld zu erhalten ist, dann nur gegen einen riesigen Risikoaufschlag: Untereinander verlangen Institute eine Rekordprämie von 4,5 Prozentpunkten gegenüber Zentralbankgeld. Am Markt kursieren verschiedene Erklärungen für die Zusammenballung negativer Superlative. Zum einen wird die Angst vorm ersten synchronen Wirtschaftsabschwung der globalisierten Wirtschaft genannt.


Ebenso wie der Boom der vergangenen Jahre durch den Eintritt Chinas, Indiens und anderer Emerging Markets in den Welthandel besonders langanhaltend war, könnte der Abschwung umso tiefer ausfallen, so die Befürchtung. Auch merken Experten an, dass das Wachstum der vergangenen Jahre zum Großteil auf Pump finanziert war – das drohe jetzt zu einem umso markanteren, „gehebelten“ Abschwung zu führen. Zum anderen ist die Kreditkrise längst über das Stadium hinaus, in dem die Regierungen eindämmen könnten. „Die Probleme sind größer als die Staaten“, sagt Hedgefonds-Manager Hugh Hendry. Diese Angst hat sich diese Woche zugespitzt. Zum einen erlebte Island durch die Bankenkrise einen Beinahe-Staatskollaps – es wäre der erste in Europa seit 1945.


Zum anderen hat sich herausgestellt, dass die Rettung der in Schieflage geratenen Institute weitaus kostspieliger ausfallen dürfte als bislang erwartet. Morgan-Stanley-Chefökonom David Greenlaw beziffert das amerikanische Haushaltsdefizit 2009 wegen des Rettungspakets auf bis zu zwei Billionen Dollar – das sind 13 Prozent der Wirtschaftsleistung. Die Gesamtverschuldung der USA könnte auf 11,6 Billionen steigen. Nouriel Roubini, Professor an der New York University, spricht sogar von der Gefahr eines Japan-Szenarios, also einer jahrelang anhaltenden Schwächephase der Weltwirtschaft.