Börsengänge

Erstzeichner von Aktien fühlen sich oft betrogen

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Daniel Eckert und Holger Zschäpitz

Wie der jüngst abgesagte Börsengang der Deutschen Bahn zeigt, ist das Umfeld derzeit wackelig. Und in den vergangenen zwei Jahren haben Anleger mit Neuemissionen schlechte Erfahrungen gemacht. Die Statistik der Erstzeichnungen ist geradezu desaströs – und es sieht nicht danach aus, dass sich der Markt schnell bessern könnte.

Den Banken brechen nach und nach ihre Einnahmefelder weg. Nachdem das Geschäft mit Fusionen und Übernahmen (M&A) der Finanzkrise zum Opfer gefallen ist, der Zertifikate-Goldesel Verstopfung bekommen hat und auch das Vertrauen der Privatkunden dramatisch schwindet, scheint nun auch der einträgliche Bereich der Börsengänge (IPO) wegzubrechen. Mit der gestern abgesagten Platzierung der Deutschen Bahn AG ist die letzte Hoffnung gestorben, dass das IPO-Jahr 2008 noch einen halbwegs versöhnlichen Ausgang nimmt. Bereits am Mittwochabend hatte die Fotovoltaik-Firma Schott Solar ihre Emission zum zweiten Mal kurzfristig abgesagt. Ursprünglich hatten die Titel am Donnerstag in den Handel starten sollen. Mit einem Volumen von bis zu 657 Mio. Euro wäre Schott Solar – abgesehen von der Bahn – 2008 der größte Börsenneuling am deutschen Aktienmarkt gewesen.

Momentan sieht es kaum danach aus, dass sich der Markt so bald erholen könnte. Dafür ist das Börsenumfeld zu wackelig und sind die Erfahrungen, die Anleger zuletzt mit Zeichnungen (also dem Kauf von neu ausgegebenen Aktien) machten, zu abschreckend. Angesicht der desaströsen Statistik fühlen sich nicht wenige Erstzeichner geradezu betrogen. Sämtliche Neuemissionen der vergangenen beiden Jahre notieren im Minus, auch wenn manche der Unternehmen mit vielen Vorschusslorbeeren an den Kapitalmarkt gebracht wurden. Teilweise beträgt der Abschlag mehr als 90 Prozent, zum Beispiel bei der Berliner Immobilienfirma Estavis.

Im Schnitt bescherten die beiden einzigen Neuemissionen des Jahres 2008 im regulierten Markt, GK Software und SMA Solar, Investoren bis heute einen Verlust von 21,7 Prozent. Im geringer regulierten Entry Standard, dem Einstiegssegment der Deutschen Börse, sieht es wenig besser aus. Der Nachfolger des Neuen Marktes kann dieses Jahr elf Emissionen vorweisen, die Anlegern unter dem Strich ein Minus von 14 Prozent brachten.

Bei Börsengängen des Vorjahres, also des Jahres 2007, beträgt der durchschnittliche Verlust bisher 56,1 Prozent, bei Neuemissionen von 2006 sind es minus 46, von 2005 minus 32 und von 2004 minus 55. In der Börsenflaute des Jahres 2003 hatte es keinen Börsengang gegeben.

Mit Neuemissionen des Jahres 2002 war im Schnitt ein leicht positives Ergebnis von 16 Prozent zu erzielen. Das lag jedoch an einem einzigen Wert, nämlich der Aktie des Windkraftspezialisten Repower, die überproportional von dem Klimaschutzboom profitierte und seit dem IPO 390 Prozent zulegte. Auch das Emissionsjahr 2001 brachte Anlegern wahrlich kein Glück: Hier beträgt das Minus 52,8 Prozent. Die Börsengänge des Jahres 2000 und 1999 brachten Investoren im Schnitt eine Vermögensminderung von circa 75 Prozent.

Positive Beispiele für gelungene Börsengänge auch größeren Kalibers müssen mit der Lupe gesucht werden. Mit einem Volumen von 1,1 Mrd. Euro schaffte die Hamburger Hafen und Logistik AG im November 2007 den letzten großen Börsengang in Deutschland. Doch auch hier zahlten Zeichner die Zeche. Sie stehen mit minus 39 Prozent in der Kreide. Der Spezialglashersteller Gerresheimer – das Volumen im Juni 2007 betrug knapp eine Mrd. Euro – bescherte Anlegern einen Verlust von rund einem Drittel. Der Motorenhersteller Tognum legte mit zwei Mrd. Euro zwar einen der größten Börsengänge der vergangenen Jahre aufs Parkett. Doch inzwischen notieren die Papiere mehr als 50 Prozent im roten Bereich.

„Diese empirischen Erfahrungen werden durch die Theorie bestätigt“, sagt Rolf Drees von der WGZ Bank in Düsseldorf. Die Finanzwissenschaft habe in zahlreichen Studien nachgewiesen, dass die Zeichnung neuer Aktien sich häufig nicht lohne. Der Grund: „Der Verkäufer weiß ganz genau, warum er zu diesem bestimmten Zeitpunkt Anteile an den Markt bringt.“ Der Käufer müsse sich jeden einzelnen Börsengang daher noch genauer anschauen als die schon am Markt befindlichen Titel.

Auch an signalträchtigen Jumbo-Emissionen und Volksaktien haben sich Anleger die Finger verbrannt. Die sechs volumenstärksten IPOs Deutsche Telekom, Deutsche Post, Infineon und T-Online, Postbank und Tognum notieren, sofern überhaupt noch am Markt befindlich, unter ihrem Ausgabepreis, zum Teil sogar weit darunter.