Die Chance auf eine nachhaltige Wende sehen die meisten Experten derzeit nicht am Aktienmarkt. „Niedrigere Zinsen sind eine wichtige, aber eben keine ausreichende Voraussetzung für ein Ende der Schwäche an den Aktienmärkten“, sagt Andreas Hürkamp von der Commerzbank. Zusätzlich muss das Vertrauen in das Bankensystem zurückkehren und Klarheit über die weitere wirtschaftliche Entwicklung einkehren.
Letzteres ist aber die große Frage. Hier spielen die Experten drei Szenarien, die sich jeweils an historischen Vorbildern orientieren: dem Crash und der anschließenden Weltwirtschaftskrise zwischen 1929 und 1932, dem Platzen der Immobilienblase in Japan Ende der 80er-Jahre und das Ende des Internetbooms zu Beginn dieses Jahrzehnts. Die Kursmuster weisen frappierende Ähnlichkeiten aus und entsprechend könnte der Dax weiter fallen.
Szenario 1: Depression
„Wer meint, es gebe keine Parallelen zwischen der Depression in den 30er-Jahren und der informationsgetriebenen Wirtschaft des 21. Jahrhundert sollte sich nur die aktuellen Schlagzeilen anschauen: Bankensterben, volatile Finanzmärkte, Währungskrisen, steigende Arbeitslosenquoten.“ Dies schreibt Ben Bernanke im Vorwort seiner Sammlung zur Großen Depression. Der US-Notenbankpräsident muss es wissen, hat er doch früher in Princeton zur Großen Depression geforscht.
Damals wie heute verführten niedrige Leitzinsen zum Schuldenmachen. Interessanterweise wurden auch in den 20er-Jahren zahlreiche Finanzinnovationen geboren. Eine Straffung der Geldpolitik bereitete der Party dann jeweils ein Ende. Und auch das nach dem Crash einsetzende Bankensterben ähnelt sich, wenngleich aktuell noch keine 9000 Finanzinstitute gefallen sind, wie dies zur Großen Depression der Fall war.
Allerdings scheint die Politik gelernt zu haben. Anders als vor 75 Jahren wird heute von Teilverstaatlichungen über staatliche Bürgschaften bis zu Milliarden-Spritzen und konzertierten Zinssenkungsaktionen alles unternommen, um das Finanzsystem zu stabilisieren. Interventionen sind auch möglich, weil es heute keinen Goldstandard mehr gibt, der die Regierungen fesselt.
Die schnellen Eingriffe machen eine lange Weltwirtschaftskrise und einen damit korrespondierenden Absturz des Dax bis auf 500 Punkte unwahrscheinlich. Jedoch gibt es zahlreiche Studien, denen zufolge selbst die bestmöglichen Interventionen nach dem Crash von 1929 eine starke weltweite Rezession nicht hätten verhindern können.
Szenario 2: Japan
Die japanische Krise der 90er-Jahre hat mit der jetzigen Krise vor allem die Ursache gemein. Auch in Japan entstand die Blase durch einen Immobilienboom. In den 80er-Jahren schossen die Preise für Häuser und Grundstücke in die Höhe. Am Höhepunkt war das Grundstück des Tokioter Kaiserpalastes so viel wert wie das Immobilienvermögen von ganz Kalifornien. Der Nikkei-Index erreichte Ende 1989 sein Allzeithoch bei knapp 39.000 Punkten.
Die japanischen Banken blähten damals ihr Kreditvolumen auf, als Sicherheit dienten ihnen die Immobilien – ganz ähnlich wie zuletzt in den USA. Als die Blase schließlich platzte blieben sie auf diesen Krediten sitzen. Allerdings reagierte die Regierung lange nicht darauf, die Notenbank erhöhte nach Ausbruch der Krise sogar noch einmal die Leitzinsen. Japans Wirtschaft dümpelte die gesamten 90er-Jahre vor sich hin, das Land geriet in eine Deflationsphase. Erst nach der verlorenen Dekade bereinigte Premierminister Junichiro Koizumi den Bankensektor. Inzwischen steht die Wirtschaft auf solidem Fundament, der Aktienmarkt ist aber immer noch weit von seinen einstigen Höchstständen entfernt.
Im Unterschied dazu haben Regierungen und Währungshüter in den USA und in Europa heute schnell auf die Bankenkrise reagiert. Das macht eine jahrelange Durststrecke nach dem Vorbild Japans unwahrscheinlich.
Szenario 3: Tech-Blase
Wer die Kursverläufe der Internetblase zur Jahrtausendwende mit den heutigen Charts vergleicht, dem wird angesichts der Übereinstimmungen schnell mulmig. Am 1. Januar 1996 notierte der Dax ziemlich genau bei 2200 Punkten. Bis zum Höhepunkt im März 2000 bei 8065 Punkten brauchte er etwas über vier Jahre und zwei Monate. Fast exakt genau so lange dauerte der letzte Aufstieg, und auch er endete knapp über 8000 Zählern
Auch die Ursachen der Krise ähneln sich. Damals gab es eine Investitionsblase. Unternehmen und Anleger hatten ihr Geld in Internetfirmen gesteckt, die mit undurchsichtigen Geschäftsmodellen utopische Renditen versprachen. Diesmal ist eine geplatzte Kreditblase die Ursache für den Abschwung, entstanden durch Anlagen in intransparente Anleihen, die ebenfalls sagenhafte Gewinne versprachen.
Doch es gibt eben auch Unterschiede. Die derzeitige Krise ist heftig, aber die Unternehmen sind im Gegensatz zu 2000 weder überschuldet, noch basieren ihre Geschäftsmodelle auf illusorischen Prognosen. Auch bei den Bewertungen gibt es signifikante Unterschiede. Als der Dax im Jahr 2001 auf 5000 Punkte gestürzt war, betrug das durchschnittliche Kurs-Gewinn-Verhältnis der 30 Titel 15, heute liegt es bei acht. Mehr Substanz signalisiert auch das Kurs-Buchwert-Verhältnis. Inzwischen notiert über die Hälfte der 110 größten deutschen Konzerne unter oder auf dem Buchwert, sprich: es werden gerade einmal die Vermögenswerte wie Maschinen, Grundstücke und Gebäude gewertet. Die Geschäftsmodelle der Firmen gibt es quasi umsonst dazu.
Daher raten erste Experten von der Credit Suisse oder der Citigroup bereits zum vorsichtigen Einstieg. Allerdings sollten Anleger lediglich bei Aktien mit hoher Substanz und niedriger Verschuldung zugreifen.