Düstere Prognose: Zahlreiche Blogger gehen auf der “re:publica“ davon aus, dass die Zeit des frei zugänglichen Internets vorbei ist. Provider könnten künftig entscheiden, dass missliebige Daten nur quälend langsam übertragen werden. Auch die Flatrate-Tarife sind angeblich bedroht.

Was ist das Internet der Zukunft? Bleibt es Kommunikationskanal oder mutiert es zum Distributionskanal. Diese Frage stand im Mittelpunkt einer Konferenz auf dem Bloggerkongress re:publica in Berlin. Experten malten ein düsteres Szenario von Zensur und Unterdrückung, nannten aber auch Beispiele für erfolgreichen Protest gegen Schranken im Web. Nach der politischen Debatte über Internetsperren dürfte die Netzneutralität das nächste große Thema des Web werden. Netzneutralität meint, dass Provider Daten nicht blockieren oder bremsen dürfen.

Dabei ist das so einfach: Neue Technik erlaubt es, Übertragungsgeschwindigkeiten im Netz zu dosieren. Video-on-Demand-Dienste etwa brauchen eine konstant schnelle Leitung. Sonst ruckeln die Bilder. "Quality of Service" (QoS) heißt die Technologie. Kauft ein Anbieter einen Zugang zum QoS-Datenhighway, so bedeutet das, dass für alle anderen Internetnutzer bei gleichbleibender Netzkapazität die Übertragungsrate sinkt. Sie stecken womöglich im Daten-Stau. Oder ihre Daten werden gar gesperrt, wenn dem Internetprovider das Angebot nicht passt.

Das musste das Telefon-Netzwerk Skype erfahren: Mobilfunkbetreiber schalteten den Dienst im mobilen Internet ab, weil er ihr Geschäftsmodell störte. Nach Protesten, unter anderem der Bundesnetzagentur, bieten drei deutsche Netzwerkbetreiber Skype für Handys wieder an - O2 gratis, zwei andere gegen Extragebühren.

Dieses Modell könnte Schule machen. Mehrere Redner sagten das Ende des grenzenlosen Web und der Flatrate-Ära voraus. Wahrscheinlich sei, dass Anbieter künftig Internet-Pakete schnüren. Etwa so: 20 Euro für den Basisdienst, auf dem man sich einige Seiten nur ansehen darf. 5 Euro extra für Google und E-Mail, weitere 5 Euro für Facebook und Twitter und noch mal 10 Euro extra für den Zugang zu Video-Portalen. Die Frage ist, wie der Kunde damit umgeht, der sich nach dem Ende der Volumenpakete gerade mal an die Flatrates gewöhnt hat.

Fraglich ist auch, ob solche Strategien dem freien Spiel des Marktes überlassen bleiben sollen oder ob die Wahrung der Netzneutralität einer Regelung bedarf. Constanze Kurz vom ChaosComputerClub bezweifelt die Selbstregulierungskräfte des Marktes. "Einen Markt mit konkurrierenden Anbietern gibt es auf dem flachen Land ohnehin nicht und der Providerwechsel ist für Verbraucher nicht leicht", sagt sie. Auch der Jurist Simon Schauri sagte, eine Monopolisierung des Web sei nicht von der Hand zu weisen.

Vom Kampf für ein freies Internet in den USA berichtete Marvin Ammori, Jura-Professor aus der US-Hauptstadt Washington, und Motor einer Kampagne gegen den größten Internetprovider des Landes, "ComCast". Dieser hatte die Übertragungsrate für die Filesharing-Plattform BitTorrent eingeschränkt. Die Bürgerbewegungen "Free Press" und "SaveTheInternet.com" motivierten Blogger, sich in die Auseinandersetzung rund um ein offenes Internet einzumischen. Die US-Regulierungsbehörde FCC untersagte die Internetsperre, wurde aber jetzt von einem Bezirksgericht zurückgepfiffen - ein Rückschlag für Ammori und seine Leute. Das Gericht stellte die Zuständigkeit des FCC in Frage. "Der nächste Kampf wird sein, zu definieren, was das Internet ist", sagt Anwalt Ammori.

Möglich wird die Filterung von Inhalten durch die neue Technik "Deep Package Inspection" (DPI) – also der Blick des Providers in einzelne Datenpakete auf dem Weg zum Endverbraucher. Diese Möglichkeit hat gute und schlechte Seiten, wie der Informatiker Ralf Bendrath erläuterte. So kann DPI Malware unterdrücken und Kinderpornografie eindämmen. Diese Technologie hebelt aber vor allem den Datenschutz aus. Der Zensur wird Tür und Tor geöffnet. "Niemand darf in Datenpakte reinschauen", sagt Constanze Kurz vom ChaosComputerClub.

Der Internet-Guru Tim Wu, Professor an der Columbia Universität in New York, erhob drei Forderungen für das Internet der Zukunft an Provider und Dienste: "Nicht blockieren, nicht unfair diskriminieren. Und Nutzer sollen die Werkzeuge ihrer Wahl benutzen." Netzneutralität werde so wichtig wie das Recht auf freie Rede. Denn, so Wu, in den nächsten Jahren werde der Druck auf das Internet steigen.

Das ist auch die Prognose des französischen Webaktivisten Jérémy Zimmermann. Er sieht die Freiheit des Internet in konstitutionell verankerten Grundrechten wie dem Recht auf Meinungs- und Informationsfreiheit verankert. "Rettet das Internet, bevor es nicht mehr das Internet ist", rief er seinem Publikum zu.