Drei Buchstaben sorgen derzeit für Debatten an heimischen Frühstückstischen – vor allem dort, wo Mädchen sitzen. Die Impfung gegen Krebs des Gebärmutterhalses wird heftig beworben und ist sehr teuer. Wissenschaftler bemängeln aber eine unvollständige Datenlage und zu große Versprechungen.
Humane Papillomviren (HPV) werden beim Geschlechtsverkehr übertragen und können unter anderem zu Gebärmutterhalskrebs führen. Und weil es gegen vier Virentypen – insgesamt kennt man über 100, davon befallen allein 40 den Genitalbereich –, seit kurzem eine Impfung gibt, die allerdings nur wirkt, wenn das Mädchen noch keinen Sex hatte, empfiehlt die Ständige Impfkommission am Robert-Koch-Institut (Stiko) sie für 12- bis 17-jährige Mädchen. Seit Juli 2007 ist sie Kassenleistung.
Der Impfstoff Gardasil von Sanofi Pasteur MSD gegen die HPV-Typen 6, 11, 16 und 18 wurde im September 2006 durch die Europäische Kommission zugelassen. Im darauf folgenden Sommer erhielt auch GlaxoSmithKline (GSK) für sein Präparat Cervarix gegen die Typen 16 und 18 die Zulassung. Die Resonanz ist gewaltig. Der Bremer Arzneimittelexperte Professor Gerd Glaeske spricht von einem neuen „Blockbuster“, Gardasil ist zum umsatzstärksten Arzneimittel in Deutschland aufgestiegen. Sanofi-Pasteur machte mit 1,22?Millionen Packungen Gardasil in den vergangenen zwölf Monaten 217 Millionen Euro Umsatz, Cervarix bescherte GSK mit 70 Millionen verkauften Packungen 14,4 Millionen Euro.
Glaeske findet es aber „ärgerlich“, dass die Datenlage so unvollständig ist, dass man nicht alle HPV-Typen in den Studien zugelassen habe und die Stiko-Empfehlung für 12- bis 14jährige Mädchen gelte, obwohl die Studien nur mit 16- bis 26jährigen gelaufen seien. „Zu früh und zu schnell“ habe die Stiko die Impfung empfohlen, sagt er. Diese hält dagegen, eine Verschiebung sei „kaum vertretbar“. Auch Michael Pfleiderer vom Paul-Ehrlich-Institut (PEI) sagt: „Die Zulassung der Impfstoffe war nicht vorschnell. Wir sind seit vielen Jahren mit den Herstellern in Kontakt, sie haben keinerlei Druck ausgeübt.“
Oft läuft es dann nach diesem Muster: Die Mädchen kommen mit Broschüren aus dem Biologieunterricht heim. Nur sind diese Flyer meist nicht neutral erstellt, sondern von einem Impfstoffhersteller – mittel- oder unmittelbar. Unter welchem Stern die Frühstücksdebatte dann steht, ist klar: „Wenn ich mich nicht impfen lasse, bekomme ich nach dem ersten Sex Krebs“, argumentiert eine 13-Jährige.
„Die Botschaft, die unseren Töchtern vermittelt wird und auch Mütter unter Druck setzt, nämlich dass Sex Krebs macht und man selbst schuld ist, wenn man sich nicht dagegen impfen lässt, finde ich katastrophal“, sagt die Bremer Frauenbeauftragte Ulrike Hauffe. „Es wird Angst geschürt, und Angst ist immer ein schlechter Ratgeber.“ Eva Schindele, Ärztin und Autorin einer Aufklärungsbroschüre des „Nationalen Netzwerks Frauen und Gesundheit“, bezeichnet die Impfung als „eine Art Initiationsritus“ für Mädchen. „Sie denken: Wenn ich mich impfen lasse, kann ich Sex haben“, sagt Schindele.
Auch unter Forschern sorgt die Impfung für Wirbel. Dem langjährigen Stiko-Vorsitzenden wird eine Nähe zur Pharmaindustrie vorgeworfen. Andere Bedenken zielen auf den Wirkmechanismus der Impfung. Im „New England Journal of Medicine“ stellte die norwegische Immunforscherin Charlotte Haug Mitte August einige wichtige Fragen: Wie lange hält der Impfschutz an? Welche Auswirkung hat die Impfung auf das Immunsystem? Es gebe Hinweise, schrieb Haug, dass eine Unterdrückung der aggressiven HP-Virentypen 16 und 18 andere Krebsvorstufen beschleunigen könnte. Dieses „Replacement“, das man von Bakterien kennt, sei zwar „theoretisch möglich“, werde aber „von Experten eher als unwahrscheinlich angesehen“, konterte die Stiko. Bisher lägen „keine Daten vor, die ein solches Phänomen statistisch eindeutig belegen würden“. Es gibt aber mittlerweile immer Studien, die in das Replacement untersuchen.
Mitte Dezember forderten 13 deutsche Forscher in einem Manifest die Stiko zur Neubewertung der Impfung auf. Ihre Hauptkritik: Die behauptete „lebenslange Impfeffektivität von 92,5 Prozent“ sei durch keine einzige Studie belegt, die Zahl werde von der Stiko nicht erklärt, zu einer „lebenslangen“ Immunität gebe es bislang keine Daten.
Zum Hintergrund: Die HP-Viren werden in Hoch- und Niedrigrisikotypen unterschieden. Vor allem die Hochrisikotypen HPV 16 und 18 werden bei Frauen mit der Entstehung von Gebärmutterhals- und Scheidenkrebs in Verbindung gebracht, bei Männern mit Anal- und Peniskrebs. Die Stiko geht davon aus, dass in 70 Prozent der Fälle die Viren-Typen 16 und 18 – und nur gegen diese beiden Typen schützt die Impfung nahezu hundertprozentig – Gebärmutterhalskrebs verursachen. Sie vertritt deshalb auch die, wie sie selbst sagt, „optimistische Einschätzung“, dass die Impfung über 70 Prozent der Gebärmutterhalskrebsfälle verhindern kann.
Analysen, die die Bundesregierung im Mai vergangenen Jahres veröffentlichte, zeigen für Deutschland allerdings ganz andere Zahlen: Eine Untersuchung bei 8101 Frauen in Tübingen und Hannover im Jahr 2007 ergab beispielsweise, dass nur 35 Prozent der insgesamt 6,4 Prozent Hochrisikotyp-infizierten Frauen mit den aggressiven Typen 16 oder 18 infiziert waren. Eine Studie in Berlin vor zehn Jahre zeigte sogar, dass nur in 6,3 Prozent der Fälle die Typen 16 oder 18 beteiligt waren.
Die Niedrigrisikotypen HPV 6 und 11 können „nur“ Feigwarzen an der Scheide, im Damm- und Afterbereich sowie an Penis und Hodensack verursachen. Sie verschwinden in der Regel von selbst wieder nach einiger Zeit, manchmal müssen sie medikamentös oder operativ behandelt werden. Das Gleiche gilt aber auch für die Hochrisikotypen: Auch durch sie hervorgerufene Veränderungen verschwinden oft von allein wieder. Über Jahrzehnte kann sich die Infektion allerdings, falls sie bestehen bleibt, zu bösartigem Krebs entwickeln. Deshalb macht der Gynäkologe bei der jährlichen Früherkennung einen Zellabstrich.
Die Erkenntnis, dass Gebärmutterhalskrebs fast immer durch Viren verursacht wird, die beim Sex übertragen werden, ist das Verdienst des im Dezember in Stockholm mit dem Medizin-Nobelpreis geehrten Heidelberger Krebsforschers Harald zur Hausen. Der australische Forscher Ian Frazer wird als Erfinder des HPV-Impfstoffs gefeiert. In Frazers Heimatland Australien sind bereits 85 Prozent der Mädchen geimpft. Eine solch hohe Akzeptanz wünscht sich zur Hausen auch für Deutschland. In seiner Stockholmer Dankesrede betonte er, Gebärmutterhalskrebs sei weltweit „die zweithäufigste Krebserkrankung bei Frauen“.
Für Deutschland stimmt das aber nicht. An Gebärmutterhalskrebs erkranken hierzulande jährlich von 42?Millionen Frauen etwa 6500, rund 1700 sterben daran. Damit macht das Zervixkarzinom nach einer Schätzung des Robert-Koch-Instituts drei Prozent aller Krebsneuerkrankungen aus und liegt weit abgeschlagen auf Rang zehn. Das Zervixkarzinom ist eine seltene Erkrankung, seit 1950 ist es zudem europaweit rückläufig. „Von 100?000 Frauen in Deutschland erkranken 15 an einem Zervixkarzinom, 135 an Brustkrebs und 500 an einem anderen Krebs“, sagt die Hamburger Gesundheitsforscherin Professor Ingrid Mühlhauser.
Die Impfung ist mit knapp 500 Euro sehr teuer. Nicht nur Hersteller, auch Gynäkologen verdienen gut daran. Für die Kassen ist er allerdings zum Kostentreiber geworden. Wohl auch deshalb haben Techniker und Barmer (bei der Barmer sind 70 Prozent der Versicherten weiblich) eine neue Broschüre herausgegeben, in der auch kritische Aspekte zur Sprache kommen.
Aber Professor Peter Hillemanns, Direktor der Frauenklinik an der Medizinischen Hochschule Hannover und Sprecher für das Thema HPV-Impfung für die Deutsche Krebsgesellschaft, spricht von einer „sehr guten Präventionsmöglichkeit“ durch die Impfung. Dass seine Referententätigkeit auf Ärztetagungen mit „freundlicher Unterstützung von Sanofi-Pasteur“ eine gewisse Abhängigkeit schaffen könnte, hält er für abwegig: Er setze sich mit dem Unternehmen immer wieder auseinander und akzeptiere keineswegs alles, was man von ihm fordere. Ungeklärt ist derweil, ob – und wenn ja wann – eine Auffrischungsimpfung nötig ist.
Regine Rapp-Engels, Vizepräsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes, fragt, warum „immer nur für Frauen“ etwas gemacht und nicht an Alternativen für Männer“ gedacht werde: „Penisbeschneidungen schützen nachweislich vor HPV. Warum erfolgt hierzu keine Kampagne? Und warum wird die Impfung nicht für Männer beworben?“ Schließlich stecken sie die Frauen an. Aber Frauen sind ein dankbarer Ansprechpartner beim Thema Gesundheit – und sie werden deshalb auch kräftig umworben. „Im Vergleich zur HPV-Impfung ist der Hype um den PSA-Test zur Früherkennung von Prostatakrebs ja schnell wieder abgeebbt“, sagt Glaeske. „Glücklicherweise. Denn auch hier warten viele Experten noch immer auf Studien, die einen Nutzennachweis zeigen sollen.“
Wie sollen Eltern und Töchter am Frühstückstisch nun entscheiden? Harriet Langake von der gemeinnützigen Stiftung Sexualität und Gesundheit in Köln sagt: „Man kann sich impfen lassen, muss es aber nicht.“ Auf jeden Fall sollten sich Geimpfte nicht in falscher Sicherheit wiegen und auf Vorsorge oder Kondom verzichten. Der Piks schützt weder vollständig vor Gebärmutterhalskrebs noch vor Geschlechtskrankheiten oder vor der Immunschwächekrankheit Aids.