Der Streit über den Sinn von Impfungen gegen Gebärmutterhalskrebs nutzt der Vorsitzende des Bundesausschusses für Krankenversicherung, Rainer Hess, für eine Generalkritik. Wenn der Nutzen nicht nachgewiesen werden könne, stehe auch die Zahlung der Krankenkassen auf dem Prüfstand.
Die von den Krankenkassen bezahlte, aber von manchen Wissenschaftlern scharf kritisierte Impfung junger Mädchen gegen Gebärmutterhalskrebs steht offenbar auf dem Prüfstand. „Wenn der Nutzen womöglich so gering ist, muss man natürlich fragen, ob die Kosten noch in einem sinnvollen Verhältnis stehen“, sagte der Vorsitzende des für die Kassenfinanzierung zuständigen Gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (G-BA), Rainer Hess, dem „Spiegel“ nach einer Vorabmeldung vom Samstag.
Daher habe man das bundeseigene Robert-Koch-Institut zu einer Neubewertung der Studien zur Impfung gegen die Erreger, die sogenannten Humanen Papillom-Viren (HPV), aufgefordert. „Nach der Antwort des Robert-Koch-Instituts werden wir noch einmal über die HPV-Impfung entscheiden“, wurde Hess zitiert.
2007 habe der G-BA „unter enormem Druck“ gestanden, die Impfung einzuführen, räumte der Vorsitzende dem Blatt zufolge ein. Der Gemeinsame Bundesausschuss ist das oberste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen in Deutschland. Er bestimmt in Form von Richtlinien den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für etwa 70 Millionen Versicherte. Auf AP-Anfrage war am Samstag zunächst weder beim Robert-Koch-Institut noch beim G-BA eine Stellungnahme zu erhalten.
Ende vergangenen Jahres hatten 13 Wissenschaftler verschiedener deutscher Forschungseinrichtungen mit ihrer Kritik an der Impfung für Aufregung gesorgt. Nach ihrer Einschätzung wurde die Wirksamkeit der Schutzmaßnahme nicht angemessen geprüft.
In einer gemeinsamen Stellungnahme hatten sie Ende November die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert-Koch-Institut bereits zu einer Neubewertung aufgefordert. Zugleich kritisierten sie, dass „mit unrealistischen Hochrechnungen falsche Erwartungen an den Impfstoff geweckt“ und „mit falschen Informationen zum Risiko des Gebärmutterhalskrebses Angst und Schuldgefühle erzeugt werden“.
Führende Ärzteverbände hatten die Kritik umgehend zurückgewiesen. Von der HPV-Impfung erhofft man sich langfristig einen deutlichen Rückgang der sogenannten Zervixkarzinome. Die Rede ist von einer Abnahme um 70 Prozent. Derzeit erkranken weltweit jährlich rund 500.000 Frauen daran, etwa 300.000 von ihnen sterben an den Folgen. In Deutschland werden jedes Jahr rund 6.500 Neuerkrankungen und knapp 1.700 Todesfälle registriert.
Bedenken gegen die HPV-Impfung gibt es bereits seit längerem. Im Mai vergangenen Jahres hatte die Bundesregierung in einer Antwort auf eine kleine Anfrage unter anderen der Grünen-Bundestagsfraktion erklärt: „Die für Arzneimittelsicherheit zuständigen deutschen, österreichischen und europäischen Behörden beurteilen das Nutzen-Risiko-Verhältnis der HPV-Impfung weiterhin positiv.“
Hintergrund der Anfrage waren zwei ungeklärte Todesfälle von jungen Mädchen in Deutschland und Österreich 2007 gewesen. Zudem hatten die Antragsteller kritisiert, dass ein Impfstoff gegen vier Untertypen des HPV bereits Ende 2006 zugelassen worden war und damit zu einem Zeitpunkt, als Studien zur Wirksamkeit noch nicht abgeschlossen gewesen waren. Im Frühjahr 2007 hatte die STIKO eine Empfehlung zur generellen Impfung von Mädchen im Alter von 12 bis 17 Jahren ausgesprochen.
Unabhängig von Aufforderungen von außen untersucht das Robert-Koch-Institut kontinuierlich, was es national und international an Forschungsergebnissen zu einem Thema gibt, wie der Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums, Klaus Vater, der Nachrichtenagentur AP sagte. „Da wird nichts liegengelassen und wo sich Neues ergibt, wird auch neu darüber beraten“, betonte er.
AP/lk