Impfungen können vor Krankheiten schützen – aber auch Nebenwirkungen haben. Befürworter argumentieren: Ohne rigorose Kontrollen bleiben viele Jugendliche ohne Schutz und gefährden andere. Gegner kritisieren: Die Pflicht zur Immunisierung ist ein Eingriff in die Grundrechte.

PRO: Nachlässigkeit gefährdet Jugendliche

„No shot, no school“, ungeimpfte Kinder werden in den USA nicht in die Schule aufgenommen. Eine rigorose Maßnahme der Behörden, um gefährliche Infektionen zu bekämpfen. Mit Erfolg, wie das Beispiel Masern zeigt: In den USA erkranken pro Jahr etwa 100 Menschen an Masern. „In Deutschland hatten wir bis Mitte Oktober schon 460 Masernfälle“, sagt Susanne Glasmacher vom Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin.

Am RKI stehen die Masern unter besonderer Beobachtung. Im Vorjahr war es zu einem Höhepunkt bei Maserninfektionen gekommen. 2307 Kinder und Jugendliche erkrankten. 1749 Fälle davon traten in Nordrhein-Westfalen auf. Allein in Duisburg erkrankten 614 Kinder. In einer Kettenreaktion steckten sie sich gegenseitig an, kaum eines der Schulkinder verfügte über den erforderlichen Impfschutz, fanden Experten des RKI heraus. Für die meisten Betroffenen verlief die Infektion, die mit hohem Fieber und Pusteln einhergeht, relativ glimpflich. Bis auf einen Säugling.

Der kleine Junge, der sich vermutlich in seiner Familie angesteckt hatte, starb an einer Hirnentzündung infolge der Maserninfektion. Bei ihm waren die Erreger bis in das Gehirn vorgedrungen. Eine Impfung gegen Masern ist ab dem 11. Lebensmonat möglich. Erst einige Zeit nach der Geburt ist das Abwehrsystem so weit gereift, dass es Antikörper gegen bestimmte Erreger bilden kann. „Vorher macht eine Impfung keinen Sinn“, sagt Glasmacher. Deshalb sind Kleinkinder auf den Impfschutz in der Familie und von Kontaktpersonen angewiesen. Vollständig ist der aber nur, wenn eine Erstimpfung vorgenommen und diese auch aufgefrischt wird.

Auffrischung fehlt

Doch genau daran hapert es, stellt das RKI in einer Untersuchung fest, an der bundesweit über 17600 Kinder und Jugendliche teilgenommen haben: „Zwar sind fast 94 Prozent der Kinder und Jungendlichen einmal gegen die Masern geimpft. Doch nur 74 Prozent haben auch die notwendige Zweitimpfung erhalten.“ In manchen Jahrgängen seien weniger als zehn Prozent ausreichend geschützt, heißt es im Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS).

Brisant: Masernviren können über Jahre in den Nervenzellen des Gehirns unbemerkt überdauern. Bei der seltenen, SSPE (Subakute sklerosierende Panenzephalitis) genannten Form der Krankheit bilden die Erreger Ruhestadien. Diese „Schläfer“ können noch zehn Jahre nach der Infektion aktiv werden und dann eine schwere Hirnentzündung auslösen. Da SSPE erst in jüngerer Zeit erkannt wurde, gibt es keine umfassenden Zahlen zur Häufigkeit. Konservativ geschätzt gibt es ein bis zwei SSPE-Fälle unter einer Million Masernpatienten. Namhafte Fachleute, darunter der ehemalige Vorsitzende der Ständigen Impfkommission am RKI, Heinz-Josef Schmitt, und der Berufsverband der Kinderärzte haben sich für die Übernahme der US-Impfpraxis ausgesprochen.

Das erste Land reagiert

Zumindest Nordrhein-Westfalen will nun reagieren. Ärzte sollen umfassend über die Gefahren von häufigen Infektionskrankheiten und den Nutzen der Schutzimpfung informieren. Auch der Stand des Immunschutzes soll anhand der Impfausweise überprüft werden. „Es fehlt häufig die Grundimmunisierung“, so das RKI im KiGGS-Bericht.

Die Auswirkungen sind fatal: Wer die Impfung gegen Masern versäumt, der ist meist auch nicht vor einer Infektion mit Mumps und Röteln geschützt. Denn bei der Impfung gegen Masern wird ein Kombinationspräparat verabreicht. Mumps oder Ziegenpeter löst bei etwa jedem dritten Jungen eine schwere Hodenentzündung aus, die zur Unfruchtbarkeit führen kann. Nicht minder gefürchtet sind die Röteln. Tritt die Infektion während der Schwangerschaft auf, steigt das Risiko für eine Fehlgeburt und für Fehlbildungen beim Embryo. Heute sollen Kinder und Jugendliche gegen insgesamt 13 Infektionskrankheiten bis zum 17. Lebensjahr geimpft werden: Masern, Mumps, Röteln, Diphtherie, Keuchhusten, Wundstarrkrampf und Haemophilus influenza, den Erreger von lebensgefährlichen Hals-Nasen-Ohren-Erkrankungen, HepatitisB, Kinderlähmung sowie Pneumo- und Meningokokken, die Lungen- und Hirnhautentzündung verursachen, und gegen Viren, die Gebärmutterhalskrebs auslösen.

CONTRA: Impfungen können bei Kindern zu Krankheiten führen

Deutsche Kinder besitzen laut Robert-Koch-Institut (RKI) keinen ausreichenden Impfschutz. Der Berufsverband der Kinderärzte fordert deshalb die Übernahme des US-Modells, nach dem ungeimpfte Kinder nicht in die Schule aufgenommen werden.

Kritiker sehen in der Impfung jedoch eine Form der Körperverletzung, die fatale gesundheitliche Folgen nach sich ziehen kann und in entwickelten Gesellschaften mit hohem medizinischen Versorgungsstand eher schädlich sei. Sie argumentieren zum Beispiel: Die echte Masernerkrankung habe – im Gegensatz zur Impfung – den Vorteil lebenslanger Immunität. Säuglinge ehemals erkrankter Mütter seien in den ersten Monaten auf natürliche Art geschützt, Kinder geimpfter Mütter nicht.

Wasser auf die Mühlen der Impfkritik war eine im Fachblatt „Klinische Pädiatrie“ publizierte epidemiologische Studie der Universitäten Kiel und Mainz. Danach erkrankten Säuglinge und Kleinkinder von Müttern, die selbst gegen Masern geimpft waren, häufiger an schweren Atemwegsinfektionen als die von ungeimpften. Und: Bei geringen Masern-Impfraten sei die Anfälligkeit für schwere kindliche Atemwegsinfektionen geringer.

Schäden schwer feststellbar

Das RKI meldet für 2005 rund 1400 mutmaßliche Komplikationen nach Impfungen. Bei etwa einem Drittel der Fälle konnte kein Zusammenhang nachgewiesen werden, in fünf Fällen sei es zu „dauerhaften gesundheitlichen Beeinträchtigungen“ gekommen. Das Problem: Impfschäden sind nur schwer feststellbar. Klaus Hartmann war zehn Jahre lang im Paul-Ehrlich-Institut zuständig für die Risikobewertung aller zugelassenen Impfstoffe. Der 47-Jährige führt jetzt eine Schwerpunktpraxis für Fragen der Impfstoffsicherheit und Impfschadensforschung. „Die Idee zur Gründung der Praxis entstand mit der Übernahme eines Gutachtens im Auftrag eines Patienten, der kurz nach einer Impfung die ersten Symptome einer Parkinson-Erkrankung entwickelt hatte“, sagt Hartmann. Die Vorgutachter lehnten einen Zusammenhang kategorisch mit der Begründung ab, Morbus Parkinson sei nach Impfungen unbekannt und nirgendwo beschrieben. „Dieser Einzelfall zeigte das Problem“, sagt Hartmann. „Da kein Arzt einen Zusammenhang für möglich hält, werden Fallberichte nicht gemeldet.“ Hartmann rät Patienten, „nicht sofort die Aussage zu glauben, dass etwas mit der Impfung nichts zu tun habe“. Auch Impfungen hätten Nebenwirkungen, „oft harmlose, sehr selten schwere“.

Beispiel einer Familie

Auch Colette Welter befasst sich seit über 40 Jahren mit dem Thema Impfen. Die vierfache Mutter wurde in den USA im Fach „Natural Hygiene“ promoviert. Keines ihrer vier Kinder ließ sie impfen. „Sie wurden lange gestillt, blieben ungeimpft. Am eigenen Kind möchte man doch kein Risiko eingehen“, sagt Welter.

keywordsBei kleinen Verletzungen habe man auch Tetanus-Spritzen abgelehnt. Mit ihrer Haltung steht die Mutter auch in Ärztekreisen nicht allein da. Den Welter-Kindern, die in Brüssel, Hamburg und Washington zur Schule gingen und Kinderkrankheiten natürlich durchlebten, hat die Nicht-Impfung nicht geschadet. Der Sohn ist Physiker, die älteste Tochter Biologie-Doktorandin, die zweite Pilotin, die Jüngste hat gerade ein Studium begonnen. Gesundheitlich habe es „nie Probleme“ gegeben, sagt Welter, die zu den Mitgliedern des European Forum for Vaccine Vigilance (EFVV) zählt. Das impfkritische Forum hat der EU eine Studie vorgelegt, in der über 1000 Berichte von Impfgeschädigten präsentiert wurden. Für Deutschland lagen 84 Berichte vor. In 49 Fällen kam es zu Behinderungen, 22-mal zu chronischen Leiden sowie zu einem Todesfall. Häufigste Folgen seien Allergien, Haut- und Atemwegserkrankungen, Asthma, Lähmungen und Hirnschäden. Von „geschminkten“ Statistiken ist in dem EFVV-Bericht die Rede und von Pathologien, die nach Impfungen „umbenannt“ oder zum „Syndrom“ umetikettiert würden. Schwammige Bezeichnungen fallen dann durchs Statistik-Raster.

Das EFVV kritisiert auch, dass die Impfstoffe standardisiert seien, aber jeder Mensch individuell reagiere. Eine Impfpflicht lehnt Welter ab: „Eine Impfung ist ein schwerer Eingriff in die Integrität eines Menschen. Impfzwang ist gegen das Grundgesetz, das die körperliche, geistige und seelische Integrität garantiert.“