Gehirnforschung

Ein Affentheater um Tierversuche

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Michael Miersch

Foto: AP

Der Neurobiologe Andreas Kreiter wurde wegen seiner Versuche an Primaten zur Hassfigur der Tierschützer. Jetzt soll ein Gericht darüber entscheiden, ob er weiterforschen darf. Ein Gutachter befand die Versuche für das Tier bereits als "schwer belastend". Nur: Er war nie in Kreiters Labor. Morgenpost Online sprach mit dem Biologen.

Seitdem Andreas Kreiter vor zehn Jahren mit seinen Versuchen am Institut für Hirnforschung begann, tobt der Bremer Affenstreit. Tierversuchsgegner sammelten 100.000 Protestunterschriften. Als das Thema immer populärer wurde, schlossen sich die Parteien und der rot-grüne Senat an.

Gemeinsam stimmten in der Bremischen Bürgerschaft SPD, CDU, Grüne und DVU dafür, die Forschung zu beenden. Doch das ging nicht so einfach, denn die Tierschutzkommission der Gesundheitsbehörde, der Amtstierarzt, der das Wohlbefinden der Affen kontrolliert, sowie eine eigens einberufene internationale Wissenschaftlerkommission lobten Kreiters Arbeit und bestätigten, dass es den Affen gut geht. Schließlich fand sich ein Gutachter, der die Versuche als „schwer belastend“ einstuft.

Doch weder er noch die zuständige Gesundheitssenatorin haben sich das Labor und die Gehege je angesehen. Die Behörde argumentiert, man müsse „den deutlichen Wandel in der gesellschaftlichen Wertevorstellung der Bevölkerung“ berücksichtigen. Am Fall der Bremer Affen könnte eine juristische Grundsatzentscheidung gefällt werden: Die Universität hat angekündigt, die Sache bis zum Bundesverfassungsgericht durchzufechten. Die Freiheit der Wissenschaft ist ein Grundrecht, der Tierschutz ein Staatsziel.

Morgenpost Online : Herr Professor Kreiter, müssen Sie Ihre Forschung jetzt einstellen?

Andreas Kreiter : Ich habe gemeinsam mit der Universität gegen den Beschluss des Bremer Senats, die Forschung abzubrechen, eine einstweilige Anordnung beantragt. Bis – vermutlich in diesem Monat – darüber entschieden ist, darf ich weiterarbeiten. Wird sie erteilt, geht es weiter, bis in der Hauptverhandlung ein Urteil ergeht.

Morgenpost Online : Einer der Einwände gegen Ihre Versuche lautet: Es sei Grundlagenforschung, ohne praktischen Nutzen für die Menschheit.

Kreiter : Irgendwie ist es gelungen, das Vorurteil populär zu machen, Grundlagenforschung sei nutzlos. Wie absurd das ist, zeigt sich, wenn Sie sich vorstellen, allen angewandt arbeitenden Wissenschaftlern würden plötzlich die Grundlagenkenntnisse entzogen. Das hätte natürlich den sofortigen Zusammenbruch dieser Forschung zur Folge. Schon die wissenschaftliche Ausbildung wäre unmöglich, denn woher kommt der Stand der Erkenntnisse in den Lehrbüchern? Aus der Grundlagenforschung.

Morgenpost Online : Bringen Ihre Versuche also derzeit noch gar nichts Konkretes, was Kranken helfen könnte?

Kreiter : Doch. Es ist uns unter anderem gelungen, ein informationsreiches und stabiles Gehirnsignal zu beobachten, das sich für neuronal gesteuerte Prothesen besonders gut eignen würde. Darauf aufbauend entwickeln wir nun gemeinsam mit Ingenieuren und Medizinern für Patienten entsprechende Messsonden und Verfahren.

Morgenpost Online : Warum ausgerechnet Rhesusaffen?

Kreiter : Rhesusaffen wurden nicht zufällig zum Modelltier der Gehirnforschung. Ihr Gehirn ähnelt in seiner Grundstruktur dem des Menschen, weil wir aus der gleichen evolutionären Linie stammen. Affen sind Augentiere, das ist eine weitere wichtige Voraussetzung. Mit Tieren, die sich geruchlich orientieren, wären solche Versuche nicht möglich. Und schließlich kommt uns das natürliche Verhalten der Rhesusaffen entgegen. In freier Natur suchen sie oft stundenlang nach Samenkörnen, dafür sind Geduld, Ausdauer und Konzentration notwendig, genauso wie in den Verhaltensaufgaben, die die Tiere im Labor lernen.

Morgenpost Online : Wie kommen die Elektroden ins Gehirn?

Kreiter : Die Tiere tragen einen Aufbau aus medizinischem Knochenzement auf dem Kopf. Darin eingebettet ist eine Titankammer, die bis zu einem kleinen Loch in der Schädeloberfläche führt. In dieses werden beim Versuch mithilfe eines Präzisionsgerätes haardünne Elektroden eingeführt. Davon spürt das Tier nichts, da das Gehirn schmerzfrei ist. Nach dem Ende der Messung wird die Kammer wieder verschlossen. Daneben gibt es auch die Möglichkeit, Elektroden dauerhaft zu implantieren.

Morgenpost Online : Was müssen die Tiere im Versuch tun?

Kreiter : Sie müssen einen Bildschirm beobachten und den Blick auf einen Fixationspunkt in der Mitte des Schirms richten. Bei einem typischen Versuch erscheinen dann zwei Figuren auf dem Bildschirm. Ein Pünktchen zeigt, auf welche davon der Affe seine Aufmerksamkeit konzentrieren soll. Diese Figur beginnt sich dann zu verformen. Nach einer zufälligen Zeit von einigen Sekunden erreicht sie wieder die alte Form. Wenn das Tier in diesem Moment die Taste loslässt, bekommt es zur Belohnung einen Schluck Saft.

Morgenpost Online : Wie lernen die Affen das?

Kreiter : Das Training umfasst Hunderte von Schritten und dauert ein bis zwei Jahre. Am Anfang belohnen wir die Tiere dafür, dass sie ihre Hand in die Nähe der Taste bringen. Später gibt es die Belohnung erst, wenn die Hand die Taste berührt, und so weiter.

Morgenpost Online : Wie sieht der sogenannte Primatenstuhl aus, in dem die Tiere während des Versuchs festgehalten werden?

Kreiter : Es ist im Prinzip ein Plexiglaskasten. Sie nehmen darin eine für sie bequeme Sitzstellung ein, die gleiche, in der sie auch schlafen. Der Kopf schaut heraus. Beine und Arme können im Kasten frei bewegt werden.

Morgenpost Online : Gehen die da freiwillig rein?

Kreiter : Ja. Wir stellen den Primatenstuhl an die offene Käfigtür, und die Affen klettern hinein. Die ganze Anforderung an die Tiere ist so differenziert und komplex, dass man sie nie dazu zwingen könnte.

Morgenpost Online : Wie leben die Tiere außerhalb der Versuche?

Kreiter : In Gruppengehegen mit Außenauslauf, in denen zwei bis vier Tiere untergebracht sind. Dort werden ihnen vielfältige Möglichkeiten zur Beschäftigung geboten.

Morgenpost Online : Was geschieht mit ihnen, wenn sie nicht mehr gebraucht werden?

Kreiter : Sie werden am Ende eingeschläfert, denn wir müssen anatomisch und histologisch nachprüfen, ob unsere Elektroden richtig gesessen haben.

Morgenpost Online : Tierversuchsgegner sagen, Affenversuche seien besonders verwerflich, weil Primaten so menschenähnlich sind.

Kreiter : Da werden Makaken mit Menschenaffen vermischt. Dabei ist der Unterschied in den geistigen Fähigkeiten zwischen einem Menschenaffen und einem Makaken größer als zwischen Menschen und Menschenaffen. Die Zoologie betrachtet Primaten nicht als eine Ordnung, die über allen anderen Säugetieren steht. Ich vermute, wenn Affenversuche einmal verboten sind, werden die Tierversuchsgegner genau andersherum argumentieren. Sie werden dann die Gemeinsamkeiten aller Säugetiere hervorheben, um zu einem generellen Verbot zu gelangen, was ja das erklärte Ziel ist.

Morgenpost Online : Gibt es Tierversuche, die Sie ablehnen?

Kreiter : Ich bin sehr froh, dass wir Versuche machen, bei denen die Belastung der Tiere minimal ist. Aber ich will nicht den Fehler machen, die Grenze genau dort anzusetzen, wo ich selbst nicht mehr betroffen bin. Grundsätzlich finde ich, dass man so weit wie irgend möglich verhindern sollte, Tieren schwere Schmerzen zuzufügen. Das kann man nur in sehr gut begründeten Fällen vertreten, wo es absolut keine andere Möglichkeit gibt.

Morgenpost Online : Was darf man aus Ihrer Sicht nicht mit Tieren machen?

Kreiter : Ich halte es für fragwürdig, Tiere zum Beispiel für reine Freizeitvergnügen erheblichen Leiden auszusetzen. Das sind verzichtbare Zwecke. Während in der Forschung Tiere ganz selbstverständlich nur genutzt werden dürfen, wenn es keine andere Möglichkeit gibt, eine wesentliche Erkenntnis zu erzielen, sind die Regeln in allen anderen Bereichen des Umgangs mit Tieren sehr viel lockerer. Würden wir das Ausschlusskriterium der „Ersetzbarkeit“, das bei Tierversuchen gilt, auf die Nutzung von Rindern, Schweinen und Hühnern anwenden, müssten wir sofort unseren Fleischkonsum ebenso wie das Tragen von Lederschuhen einstellen. Denn beides ist nicht unverzichtbar, und die Leiden in der Stallhaltung und bei Tiertransporten sind daher schwer zu rechtfertigen. Ein Bereich, über den sich kaum einer Gedanken macht, ist die Schädlingsbekämpfung. Wir können aus gesundheitlichen Gründen nicht mit Ratten zusammenleben. Deshalb akzeptieren wir, dass diese Tiere in großer Zahl und oftmals auf qualvolle Weise getötet werden.

Morgenpost Online : Warum, glauben Sie, sind gerade Sie zur Hassfigur geworden?

Kreiter : Ich wurde für diese Kampagne gezielt zum Bösewicht aufgebaut. Je dämonischer der Feind ist, desto besser steht man selber da. Da nur wenige Menschen eigene Erfahrungen mit Primaten in wissenschaftlichen Projekten haben, werden auch völlig absurde Beschuldigungen bereitwillig geglaubt. Ich habe daher in den letzten zehn Jahren vielen Hundert Bremer Bürgern unsere Labors und unsere Haltungsräume gezeigt. Die waren oftmals sehr verblüfft, dass sich die Tiere ganz normal entspannt verhalten.

Morgenpost Online : Primatenversuche gibt es auch in anderen Städten. Warum kocht diese Debatte gerade in Bremen so hoch?

Kreiter : Es ist für Politiker eine verlockende Möglichkeit, von den realen Problemen abzulenken, von denen es ja in Bremen genügend gibt. Das Thema ist immer in den Wahlkämpfen hochgekocht. Als Bürgermeister Jens Böhrnsen sich als Nachfolger von Henning Scherf profilieren wollte, hat er dieses Thema benutzt. Im Übrigen wohnt hier einer der mächtigsten Verbandsfunktionäre.

Morgenpost Online : Sie meinen Herrn Apel vom Deutschen Tierschutzbund?

Kreiter : Ja. Es gibt eine große Nähe zwischen ihm und zahlreichen Politikern.

Morgenpost Online : Fühlen Sie sich als Wissenschaftler in Deutschland ausgegrenzt?

Kreiter : Es fängt doch schon mit der Unterstellung an, dass man als Biologe ein Tierquäler ist. Vergleichbare Behauptungen, etwa Lehrern von vornherein zu unterstellen, dass sie regelmäßig Kinder verprügeln, würde niemand akzeptieren. Als Wissenschaftler steht man hingegen unter Generalverdacht.

Morgenpost Online : Was geschieht mit den Affen, wenn die einstweilige Anordnung nicht erfolgt und Sie Ihre Arbeit abbrechen müssen?

Kreiter : Das weiß ich nicht. Wir stehen dann vor einem Dilemma. Die Tiere brauchen spezielle Pflege. Die können nicht einfach in einem Gehege untergebracht und in Ruhe gelassen werden. Für diese Pflege müssen sie in den Primatenstuhl, den wir dann ja nicht mehr benutzen dürften. Außerdem würden dann die schon gemachten Versuche entwertet und die laufenden Projekte faktisch vernichtet. Letztlich müssten die Versuche an anderen Orten wiederholt werden.