Forschung

Zahl der Tierversuche in Berlin steigt

| Lesedauer: 11 Minuten
Lena Eyerich, Anne Klesse und Tanja Laninger

In Deutschland gibt es zwar immer weniger Labortiere, gleichzeitig steigt die Zahl der Tierversuche immer weiter. Allein in Berlin wurden 2007 rund 350.000 Experimente durchgeführt. Auch die Nachfrage nach dem Verjüngungsmittel Botox treibt die Versuchzahlen mit Mäusen und Affen in die Höhe.

Hunderttausende Mäuse sterben Jahr für Jahr in den Forschungslaboren der Stadt. Sie stellen mit 81 Prozent die meisten Versuchstiere, sind aber nicht die einzigen. Auch Kaninchen, Katzen, Hunde, Affen und Fische lassen zu Medikamententests und Krankheitserforschung ihr Leben. Rund 350.000 Tierversuche gab es im Jahr 2007 in Berlin, 2,6 Millionen waren es deutschlandweit. Die Zahlen steigen. Tierschützern ist jedes einzelne Opfer zu viel, worauf sie Freitag, am „Internationalen Tag zur Abschaffung der Tierversuche“, besonders hinweisen möchten.

"Die horrenden Tierversuchszahlen belegen, dass die derzeitigen Bestimmungen zur Genehmigung von Tierversuchen in Deutschland nicht ausreichen. Die Schutzstandards für Versuchstiere müssen verbessert, die Tierversuchszahlen massiv gesenkt werden“, erklärt Brigitte Rusche. Sie ist Vizepräsidentin des Deutschen Tierschutzbundes, dem der Tierschutzverein für Berlin angehört.

Doch Tierversuche sind erlaubt und auch vorgeschrieben, wenn sie unerlässlich sind, um Krankheiten vorzubeugen, zu erkennen oder zu behandeln, um Umweltgefährdungen zu erkennen, um Produkte auf Verträglichkeit des Menschen zu prüfen und zur Grundlagenforschung.

Ausbau tierversuchsfreier Forschung gefordert

„Dringend erforderlich ist der konsequente Ausbau einer tierversuchsfreien Forschung. Hierfür wurde bisher viel zu wenig getan“, kritisiert Brigitte Jenner. Die 64-Jährige ist Vorsitzende der Tierversuchsgegner Berlin Brandenburg. Der Verein hat 800 Mitglieder und feiert in diesem Jahr sein 30-jähriges Bestehen.

Jenner ist seit 1981 dabei. „Als wir anfingen, war die Erforschung von Alternativen zu Tierversuchen in den Kinderschuhen. Wir haben das durch permanenten Druck ins Rollen gebracht.“ Ihr Beispiel heißt Aszitis-Maus. „Bis 1990 haben wir immer wieder zu hören bekommen, dass man monoklonale Antikörper nur in der Aszitis-Maus gewinnen kann – ein sehr schmerzhafter Prozess für die Tiere“. Monoklonale Antikörper brauchen Mediziner, um Krankheiten zu diagnostizieren und Therapieverfahren zu entwickeln. Doch inzwischen können die Antikörper in speziellen Rotationskammern gewonnen werden.

Auch Horst Spielmann betont, dass Tierversuche in bestimmten Bereichen zu ersetzen sind. „Heute kann man menschliche Haut biotechnologisch herstellen und kaufen. Da muss kein Kaninchen mehr für Tierversuche herhalten.“ Ob Alternativen entwickelt würden, hänge vom politischen Druck ab. „Deshalb ist der Tag zur Abschaffung von Tierversuchen so wichtig“. Der 67 Jahre alte Spielmann weiß wo von er spricht: Er hat von 1989 bis 2007 die Zebet geleitet, die Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch.

FU-Professorin entwickelt Alternativen

Monika Schäfer-Korting ist eine der Forscherinnen, mit denen die Zebet eng zusammenarbeitet Sie ist seit 1995 Professorin an der Freien Universität Berlin. Im März hat sie ein neues Projekt begonnen, das ihre Untersuchungen zur Resorption der Haut fortsetzt. „Wir etablieren jetzt eine Methode, um den Metabolismus in der Haut zu untersuchen. Ohne Tierversuche möchten wir erkennen können, welche Substanzen Gifte in der Haut entstehen lassen, die z.B. das Erbgut verändern oder zur Allergisierung führen“, sagt Schäfer-Korting. Mittels eines anderen Vorhabens sollen Methoden entwickelt werden, die für die Prüfung auf chronische Toxizität von Bedeutung sind. „Wir sind da ganz vorne. Wir wollen Tierversuche durch Untersuchungen an Zellkulturen ersetzten“, so die Professorin weiter. Dabei handelt es sich um einfache „Zellrasen“ bzw. um komplexe, dreidimensionale Gewebe – die dann die Tests am lebenden Tier ersetzen.

Sie habe noch nie einen Tierversuch beantragt, sagt die Professorin. „Ich muss aber anfügen, dass es Punkte in meiner Forschung gibt, wo das nötig wird“.

Beispiel ist die Entwicklung eines Arzneimittels gegen Hautkrebs. „Wir haben zusammen mit Forschern der Universität Düsseldorf am Computer erst das Zielenzym und dann die Wirkstoffe modelliert. Die Synthesen erfolgten von Chemikern der FU und die Prüfung auf Hemmung der Vermehrung von Tumorzellen in Zellkulturen wieder von uns. Doch in der nächsten Stufe seien Tierversuche zwingend vorgeschrieben. „Ohne toxikologische Prüfung im Tierversuch darf in Deutschland kein Arzneimittel am Menschen untersucht werden. Wenn sie an den Menschen wollen, müssen sie zuerst ans Tier. Dies erfordert einfach unsere Verantwortung für die Versuchspersonen in klinischen Prüfungen!“ Die Versuche mit dem Tumormittel an Mäusen hat ein Toxikologe aus Hamburg durchgeführt.

Doch allein in der Arzneimittelforschung sei ein enormer Rückgang von Versuchstieren in den letzten 25 Jahren zu verzeichnen, sagt sogar Tierversuchsgegnerin Brigitte Jenner. „Vor 25 Jahren wurden jährlich noch über vier Millionen Tiere in Deutschland für die Entwicklung und Prüfung von Medikamenten in Versuchen verbraucht – jetzt sind es 600.000 pro Jahr.“ Es werde mitnichten weniger geforscht, betont Jenner. „Viele Tiere werden eingespart, weil im Vorfeld, also im screening, alternative Methoden eingesetzt werden.“

Zahl der Tierversuche steigt – auch wegen Botox

Dass die Zahl der Tierversuche trotzdem steigt, hat laut Schäfer-Korting zwei Gründe. Trotz der unbestreitbaren Erfolge bei der Entwicklung von Alternativverfahren haben aber zwei Gründe laut Schäfer-Korting zum Anstieg des „Tierverbrauchs“ in den letzten Jahren geführt. „Inzwischen werden auch die Tiere zu Versuchstieren gezählt, die zur Organ- und Zellentnahme getötet werden, das war früher nicht so.“ Außerdem würden immer mehr transgene und knockout Tiere eingesetzt. Das sind Tiere mit gezielten Erbgutveränderungen, d.h. deren Zellen ein zusätzliches Fremdgen eingepflanzt oder denen ein Gen ausgeschaltet wurde. So gibt es heute Versuchtiere, die u.a. Fettsucht, Zuckerkrankheit oder Alzheimer entwickeln und für die Erforschung dieser Krankheiten eingesetzt werden. Ein Beispiel ist die Adipositas-Maus. Die Maus trägt das Gen der Fettleibigkeit in sich, an ihr können die entsprechenden Krankheiten, die auch adipöse Menschen bekommen, untersucht werden.

Ex-Zebet-Chef Spielmann zum Ziel der Grundlagenforschung: „Wir wollen verstehen, wie Krankheiten entstehen und verlaufen und geheilt werden können – und dazu haben wir nur den Tierversuch mit dem transgenen Tier als Modell.“ Spielmann hat aber noch einen anderen Verursacher für den Anstieg der Tierversuche ausgemacht – und der heißt Botox. Nicht nur die betuchte Sängerin Madonna lässt sich das Nervengift zur Faltenglättung ins Gesicht spritzen.

Längst ist Botox als Lifestyleprodukt und Verjüngungshilfe angesagt, der Verbrauch rasant gestiegen und damit auch die Zahl der Tierversuche. Denn Botox als starkes Nervengift kann rasch tödlich überdosiert werden. „Darum muss der Gehalt an Botox in jeder Produktionseinheit, der Charge, überprüft werden“, erklärt die Schweizer Organisation ‚Ärzte für Tierschutz in der Medizin’. Hierzu spritze man Mäusen Botox in die Bauchhöhle und bestimme die Dosis, die es braucht, bis die Hälfte der Tiere tot ist. „Die Tiere erleiden einen qualvollen Tod durch die Nervenlähmungen, bis sie an der Lähmung der Atmung ersticken. Dies kann mehrere Tage dauern.“

Berlin plant Stiftungsprofessur

Während sich im Berliner Abgeordnetenhaus fast alle Fraktionen klar gegen Tierversuche aussprechen, verweist man bei der CDU auch auf die Notwendigkeit solcher Tests. „Wir sind gegen sinnlose Tierversuche“, betont Gregor Hoffmann, Fraktionspolitischer Sprecher zum Thema Tierschutz. In bestimmten Bereichen der medizinischen Forschung gebe es jedoch keine Alternative: „Dann ist es eine Frage der Abwägung – zwischen dem Wohl der Tier und dem des Menschen. Wir entscheiden uns da im Interesse des Menschen.“ Dort, wo Tierversuche unabdingbar seien, würden diese unter den „besten Bedingungen für die Tiere“ durchgeführt. „Die Kommission Landesamt für Gesundheit und Soziales entscheidet für die einzelnen Forschungsvorhaben, da gibt es strenge Auflagen. Unter diesen Voraussetzungen halte ich Tierversuche für vertretbar.“

SPD und Linke wollen sich mit dem Stand der Dinge nicht abfinden. Sie diskutieren zurzeit einen Antragsentwurf zum Thema. „Grundsätzlich ist ein solcher Anstieg der Tierversuchszahlen, bundesweit und in Berlin, nicht in Ordnung“, sagt der tierschutzpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Daniel Buchholz. Diesen Trend wolle man stoppen – „ohne Einbußen bei der Forschung und Entwicklung.“ Überlegt wird, in Berlin eine Stiftungsprofessur zum Thema zu schaffen, für die sich die Freie Universität bereits beworben hat. Marion Platta von der Linken sagt: „Wir müssen die Alternativen, die es zu Tierversuchen ja durchaus gibt, voranbringen. Ziel ist es, die Ressource Tier zu schonen und Forschung und Entwicklung in andere Richtungen auszuweiten und zu fördern.“ Ein vielversprechendes Beispiel seien Versuche an Zellkulturen, die zuvor aus tierischen oder, was für die Ergebnisse förderlicher wäre, aus menschlichen Zellen gewonnen wurden.

Die FDP-Fraktion würde einen solchen Antrag grundsätzlich unterstützen. „Dort, wo es Ersatzmethoden gibt, sollten diese auch genutzt werden“, sagt der Tierschutzexperte der Fraktion, Mirko Dragowski. Gänzlich auf Tierversuche verzichten ist aus seiner Sicht nicht möglich. Um langfristig von Tierversuchen Abstand zu nehmen, sollte in die Weiterbildung von Wissenschaftlern investiert werden.

Bei den Grünen setzt man auf politische Anreize. „Es gibt ja gute Alternativmethoden“, sagt Tierschutzexpertin Claudia Hämmerling. „Nun müssen wir Forscher dazu bringen, diese weiterzuentwickeln.“ Ihre Idee: Um die besten Projekte zu unterstützen solle ein Wissenschaftspreis ausgelobt werden. Vorteil eines solchen Preises wäre wohl die Finanzierung: Im Gegensatz zu einer Professur, die wohl mehrere Millionen Euro öffentliche Gelder bedürfte, könnte ein solcher Preis schon mit weitaus weniger Mitteln finanziert werden.

Außerdem fordert Hämmerling eine Offenlegung aller Daten aus Tierversuchen, international. „Absolut unsinnig ist es, Tierversuche doppelt und dreifach zu machen.“ Politische Gegner wollen genau das nicht – aus Angst um die Bedeutung des eigenen Instituts, der eigenen Stadt, des eigenen Landes als Forschungsstandort.

Schauspieler protestieren

Um auf das Elend der Tiere aufmerksam zu machen, veranstalten die Tierversuchsgegner Berlin und Brandenburg am Sonnabend den 25. April 2009 zwischen 12 und 16 Uhr eine Aktion auf dem Joachimsthaler Platz. Mitglieder sowie Ex-Zebet Chef Spielmann informieren über Tierversuche. Auch die Schauspielerinnen Ingrid van Berger und Ursela Monn haben ihr Kommen zugesagt.