Als der Krebsforscher Harald zur Hausen in den siebziger Jahren behauptete, dass Viren Krebs auslösen können, widersprach er damit der vorherrschenden Lehrmeinung. Nun, 25 Jahre später, erhält er den Nobelpreis für Medizin. Zur Hausen – ein Außenseiter, der ein medizinisches Dogma zum Einsturz brachte.
Der Medizin-Nobelpreis geht in diesem Jahr an den deutschen Krebsforscher Harald zur Hausen sowie an zwei französische Entdecker der Aidsviren. Zur Hausen hat die Papillomviren gefunden, die Gebärmutterhalskrebs auslösen können - und schuf die Grundlagen für einen breit angewandten Impfstoff. Der Wissenschaftler vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg bekommt eine Hälfte des diesjährigen Nobelpreises, wie das Karolinska-Institut am Montag in Stockholm mitteilte. Der Franzose Luc Montagnier und seine Kollegin Françoise Barré-Sinoussi teilen sich die andere Hälfte für die Entdeckung des Aidserregers HIV.
Zur Hausen habe sich gegen ein medizinisches Dogma gewandt, als er bereits in den 1970er Jahren postulierte, dass Viren Krebs auslösen können, begründete das Komitee seine Wahl.
„Harald zur Hausen ging gegen die vorherrschende Lehrmeinung und postulierte, dass das onkogene Humane Papillom-Virus (HPV) Gebärmutterhalskrebs auslöst, den zweithäufigsten Krebs bei Frauen. Er erkannte, dass HPV-DNA im nicht produktiven Teil von Tumoren existieren kann und bei besonderen Untersuchungen auf virale DNA entdeckt werden sollte. Er fand heraus, dass HPV eine heterogene Familie von Viren sind. Seine Entdeckung hat zur Charakterisierung der natürlichen Geschichte der HPV-Infektion, einem Verstehen der Mechanismen HPV-ausgelöster Krebsentstehung und zur Entwicklung von vorbeugenden Impfstoffen gegen HPV-Ansteckung geführt“, heißt es in der englischen Begründung in einer nicht offiziellen Übersetzung.
Die sexuell übertragbaren Papillomviren vom Typ HPV 16 und 18 sind Ursache von 70 Prozent aller Gebärmutterhalstumore weltweit. Auf Grundlage der Forschungen von zur Hausen wurde eine Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs entwickelt.
Für Deutschland empfahl die Ständige Impfkommission im März 2007 die Impfung für alle Mädchen im Alter von 12 bis 17 Jahren – sie sollte in jedem Fall noch vor dem ersten Geschlechtsverkehr erfolgen. In Deutschland erkranken jedes Jahr rund 6500 Frauen an Gebärmutterhalskrebs.
Harald zur Hausen gilt unter Kollegen als Visionär. Seine Theorie, dass Viren Gebärmutterhalskrebs auslösen können, wurde von den meisten Forschern vor drei Jahrzehnten spöttisch belächelt. „Seine Leistung geht auf seine seherischen Fähigkeiten zurück“, sagt Peter Hillemanns, Geschäftsführender Direktor des Zentrums für Frauenheilkunde an der Medizinischen Hochschule Hannover. Dass er am Montag ausgezeichnet werden würde, ahnte zur Hausen vorsichtig voraus: „Ich habe natürlich schon mal gelegentlich dran gedacht, weil ich wusste, dass ich öfter schon vorgeschlagen war. Aber erwartet hab' ich's nicht.“ Was er mit seinem Teil des Preisgeldes machen möchte, wusste der 72-Jährige am Montag noch nicht.
Bewundert wird zur Hausen vor allem für die unerschütterliche Beharrlichkeit, mit der er seine Idee verteidigte. „Zur Hausen hat zu früheren Zeiten mit seinem Ansatz sehr kontrovers dagestanden und musste manches Gelächter einstecken. Er hat sich gegen alle Widerstände durchgekämpft“, sagt die Berliner Aidsforscherin Karin Mölling vom Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik. Die Zuerkennung des Medizin-Nobelpreises sei hoch verdient, betonte Hillemanns: „Das ist phänomenal, die Würdigung einer unglaublichen Leistung.“
Harald zur Hausen wurde am 11. März 1936 in Gelsenkirchen geboren. Er studierte in Bonn, Hamburg und Düsseldorf Medizin und arbeitete nach seiner Habilitation 1960 am Institut für Mikrobiologie der Universität Düsseldorf. Es folgten Einsätze am virologischen Institut der Kinderklinik in Philadelphia (US-Staat Pennsylvania) und am virologischen Institut der Universität Würzburg. Von 1977 bis 1983 war er an der Universität Freiburg Professor für Virologie und Hygiene.
Von 1983 bis zu seiner Emeritierung im März 2003 war er Vorsitzender und Wissenschaftliches Mitglied des Stiftungsvorstands des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg. Er hatte großen Anteil daran, dass das DKFZ mittlerweile zu den weltweit führenden Instituten der Krebsforschung zählt. Seit 2003 ist zur Hausen Vizepräsident der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina in Halle.
Von Vorteil sei während seiner wissenschaftlichen Laufbahn stets gewesen, dass zur Hausen die Fähigkeit habe, sehr gute Leute um sich zu scharen und sich entwickeln zu lassen, sagt Hillemanns. Er verfüge deshalb über eine sehr gut harmonierende Arbeitsgruppe. Ihnen galt am Montag auch der Dank zur Hausens: „Ich freue mich natürlich auch für meine Mitarbeiter, die ja alle in einem sehr großen Umfang mit dazu beigetragen haben.“
Der mit der aus Südafrika stammenden Virusforscherin Ethel-Michele de Villiers verheiratete Mediziner ist seit einigen Jahren Chefredakteur des „International Journal of Cancer“. Dieses Fachblatt habe er zur renommiertesten Krebszeitschrift der Welt gemacht, sagt Reinhard Kurth, bis Ende 2007 Leiter des Robert Koch-Instituts (RKI) in Berlin. Zudem schreibe er Bücher – und das nicht nur über Krebsviren. 2007 erschien „Genom und Glaube: Der unsichtbare Käfig“, in dem sich zur Hausen unter anderem mit den ethischen Grenzen der Gentechnik beschäftigt.
Viel Zeit für Privates lässt sich zur Hausen nach wie vor nicht. „Er hat sein Leben der Wissenschaft verschrieben“, sagt Kurth. Begeistern könne er sich für Pflanzen. „Er gärtnert sehr gern und hat einen fantastischen Wintergarten am Haus.“
Für seine Leistungen wurde Harald zur Hausen schon vor der Zuerkennung des Medizin-Nobelpreises 2008 mit vielen Auszeichnungen bedacht. Unter anderem erhielt er den Robert-Koch-Preis (1975), den Paul-Ehrlich- und Ludwig-Darmstaedter-Preis (1994), den Ernst-Jung- Preis (1996), den Charles Rodolphe Brupbacher-Preis (1999) sowie den Raymond Bourgine Award (2006). Dem Forscher wurden zudem mehrere Ehrendoktor-Würden und im April 2004 das Große Bundesverdienstkreuz verliehen.
ap/dpa/oc