Leichtes Spiel hatte der US-amerikanische Medienjournalist Jeff Jarvis damit, sein Publikum im Friedrichstadtpalast Publikum um den Finger zu wickeln. Schon bei der Ankündigung, um was es in seinem Beitrag gehe, hatte er die Zuhörer für sich gewonnen: Nämlich Penisse.
Denn Deutsche würden sich weniger schämen, splitterfasernackt in die Sauna zu gehen und ihre Geschlechtsteile zu präsentieren, als über die Höhe ihres Gehaltes zu sprechen. Schon Jarvis’ deutscher Großvater hatte gesagt: „Über so etwas spricht man nicht!“
Also was ist eigentlich Privatsphäre und was gehört in die Öffentlichkeit? Bei der Debatte um Datenschutz im Netz, Internetsperren oder die – zugegeben naive - Drohung von Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner, sich aus dem sozialen Netzwerk Facebook abzumelden, dreht Jarvis den Spieß um: Für ihn gilt es, so öffentlich wie möglich zu leben.
Denn im Sinne von Jarvis ist der Begriff „Öffentlichkeit“ eher mit „Transparenz“ zu übersetzen. Warum sollte man sich für seine Jugendfotos auf Facebook schämen, wenn doch der eigene Chef dort – und für jedermann im Web zugänglich – als Teenager zu sehen ist, der seinen Rausch ausschläft? Und welcher Vorgesetzte hätte dann noch das moralische Recht, einen Mitarbeiter wegen ähnlicher Fotos zu kündigen?
Und damit wären wir schon bei einem der zentralen Thesen von Jarvis: Transparenz trägt zu einem ethischeren Umgang innerhalb einer Gesellschaft bei. Ob dies auch in der Realität so funktioniert, ist allerdings fraglich. Denn nicht jedes Handeln, oh Überraschung, ist von ethischen Grundsätzen getrieben. Doch Jarvis' Idee kann man nur zustimmen, dass von einer transparenteren (Web-)Gesellschaft alle profitieren - und so auch Rat, Tat oder Trost finden.
Wie im Fall von Jarvis selbst: Der Medienjournalist veröffentlichte im Netz fast alles, sei es die – ungefähre – Höhe seiner Einkünfte oder seine Krebserkrankung. Berühmtheit als Blogger erlangte Jarvis, als er seine Auseinadersetzung mit dem Computerhersteller Dell ins Netz stellte, weil er an deren Kundendienst verzweifelte.
Grenzen der Transparenz kennt jedoch auch er: Nämlich dann, wenn Dritte betroffen sind. Doch gerade da setzt die Kritik ein. Dritte sind fast immer betroffen. Nicht jeder will total öffentlich leben wie Jarvis selbst. Was ist, wenn Passanten ungefragt von Google-Street-View-Kameras gefilmt werden? Was ist, wenn persönliche Daten im Netz weitergereicht werden? Und die Betroffenen nicht einmal davon in Kenntnis gesetzt werden. Kurz, wenn Menschen die Kontrolle über ihre eigenen Daten verlieren? Den Antworten darauf blieb Jarvis in Berlin schuldig.