Berlin. Entspannt mit der U-Bahn, S-Bahn oder Bus nach Hause – plötzlich vibriert das Smartphone und eine AirDrop-Anfrage ploppt auf. Doch statt eines lustigen Fotos verbirgt sich dahinter eine unschöne Überraschung: ein Bild eines erigierten Penis. Dann der verwirrte Blick in die Umgebung. Der Absender kann nicht weit sein, maximal neun Meter (AirDrop-Reichweite laut Apple).
Wenn Menschen unerwünschte Nacktbilder verschicken, nennt man das Cyberflashing. Immer mehr Frauen berichten, dass sie unerwünschte Bilder per AirDrop oder Bluetooth zugesendet bekommen haben. Vor allem für Kinder und Jugendliche können diese Bilder verstörend und unangenehm sein.
Warum verschicken Männer Dickpics?
Täter von digitalen Übergriffen sind überwiegend Männer. Doch warum halten sie es für notwendig, sogenannte Dickpics (Penisbilder), zu versenden? 22 Prozent der an einer YouGov-Umfrage im Jahr 2017 teilgenommenen Männer gaben an, bereits ein Dickpic verschickt zu haben. 30 Prozent der Männer seien schon einmal danach gefragt worden, acht Prozent verschickten ohne Aufforderung.
Oft benutzen sie dafür Dating-Apps oder Social Media. Plattformen wie „Snapchat“ sind ideal, da Fotos nach der Betrachtung binnen Sekunden gelöscht werden. AirDrop bietet jetzt neue Möglichkeiten, Bilder in einem Umkreis weniger Meter zu verschicken, sodass die Reaktion der Empfänger beobachtet werden kann.
Das Motiv der Absender: Sie wollen imponieren, so eine Studie im Journal of Sex. Viele erwarten im Gegenzug andere private Bilder als Austausch. Außerdem wollen sie ihre Opfer oft demütigen und Macht ausüben, erklärt Kerstin Demuth vom Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe – Frauen gegen Gewalt unserer Redaktion.
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Cyberflashing: Wie viele Frauen sind betroffen?
Betroffen sind meist Frauen, Nonbinary-, Trans- und Intergeschlechtliche-Personen. Bei der YouGov-Umfrage gaben über die Hälfte der Frauen (53 Prozent) im Alter zwischen 18 und 34 Jahren an, schon einmal ein Dickpic bekommen zu haben. Dabei sei das bei 41 Prozent gegen ihren Willen geschehen.
Auch ältere Frauen sind betroffen. 35 Prozent der Befragten zwischen 35 und 54 Jahren gaben an, bereits ein Dickpic erhalten zu haben. Bei den über 55-Jährigen waren es acht Prozent. Die Reaktionen darauf waren überwiegend Ekel, Unglaube und Trauer.
Cyberflashing: Digitale Gewalt ist strafbar
Was die wenigsten Betroffenen wissen: Cyberflashing gehört wie Cyber-Stalking oder online Erpressungen zu digitaler Gewalt und ist strafbar. Ungewollte Dickpics fallen unter den Tatbestand des Paragrafen 184 im Strafgesetzbuch zur Verbreitung pornografischer Schriften.
Dabei wird die Tat nicht auf die leichte Schulter genommen und kann mit einer Geldstrafe bis hin zu einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr bestraft werden. Allerdings sind digitale Straftaten oft schwer verfolgbar.
Cyberflashing: Gewalt kann zu Angst und Retraumatisierung führen
Dabei geht sexualisierte Gewalt bei Betroffenen oft nicht ohne Spuren vorbei. „Es gibt weiterhin viele Vorurteile gegenüber Betroffenen und wie sie sich zu verhalten haben“, betont Kerstin Demuth vom Bundesverband.
Dadurch würden sich viele Opfer schämen und nicht über ihre Erlebnisse sprechen. Auch wenn die Gewalt digital stattgefunden hat, mache es sie nicht weniger real. Pornografische Bilder wie Dickpics sind ein großer Eingriff in die Psyche des Menschen.
Von Genervt-sein bis Ekel könne sexualisierte Gewalt auch eine Retraumatisierung auslösen, merkt Demuth an. Dickpics könnte Erinnerungen an vorherigen Missbrauch wieder hochholen. „Das kann zu Angstzuständen, sozialem Rückzug, Depressionen und Schlafentzug führen.“
Vor allem Dickpics per AirDrop können ein Bedrohungsgefühl bei der betroffenen Person auslösen, da der Absender nicht weit sein kann. „Das kratzt enorm am Sicherheitsempfinden der Betroffenen“, erklärt Catharina Beuster, Referentin für Prävention und Intervention bei sexualisierter Gewalt, unserer Redaktion.
Cyberflashing: Gefahr für Kinder und Jugendliche
Vor allem für Kinder und Jugendliche kann das Gefahr bedeuten. Bei AirDrop ist schwer erkennbar, ob der Empfänger schon volljährig ist. „Digitale Übergriffe sind von außen nicht einsehbar. Täter und Täterinnen können sich sehr einfach digital den Kindern nähern, dann spricht man von Cybergrooming“, erklärt Beuster.
Für die Schutzbedürftigen kann es besonders verstörend und traumatisierend sein, ungewollte Bilder zu erhalten. Beuster rät deshalb Eltern und Bezugspersonen zu folgendem: „Sehr regelmäßig mit ihren ihnen anvertrauten Kindern zu besprechen, dass es digitale Übergriffe gibt und sie sich schnellstmöglich melden dürfen, wenn sie einen erleben.“ Außerdem sei es notwendig, die Telefone mit den verfügbaren Schutzeinstellungen zu sichern und nur bestimmte Apps zu erlauben.
Cyberflashing: Wie kann man sich schützen?
Daneben können auch Erwachsene Maßnahmen treffen, um in Zukunft kein Opfer von Cyberflashing zu werden. In erster Linie sollten sich Betroffene klarmachen, dass sie nicht Schuld sind, sagt Beuster. „Die Entscheidung, dass ein Übergriff passiert, die hat der Täter getroffen. Und damit zwingt er den jeweils Betroffenen bestimmte Gefühle auf.“
Außerdem können AirDrop und Bluetooth ausgeschaltet werden. Beuter rät dazu, nur Nachrichten von bekannten Kontakten zu öffnen und sichere Messenger-Dienste zu verwenden.
Allerdings betont die Referentin mit den Schwerpunkten „Sexualisierte Gewalt in Institutionen, sexualisierte Cybergewalt und betroffenengerechte Kommunikation“, dass die Verantwortung nie den Betroffenen zugeschoben werden sollte. „Schuld haben immer die Täter.“
Es können zudem Hilfetelefone und Beratungsstellen für sexuellen und digitalen Missbrauch aufgesucht werden. Wenn Strafanzeige gestellt wird, rät Beuster, sich Unterstützung aus dem Umfeld zu suchen. Bei Vorfällen auf Online-Portalen sollten die Täter gemeldet werden. Beuster fordert, dass Digitale Dienste stärker in die Pflicht gezogen werden, für Sicherheit zu sorgen.
Wenn man merkt, dass Freunde oder Familie Opfer von sexuellem Missbrauch wurden, sollte ihnen geglaubt werden. „Es muss ein Klima entstehen, in dem es normal wird, dass wir das Verhalten von Tätern ahnden, statt zu fragen, wie sich Betroffene hätten besser schützen können.“