Berlin. „App löschen“. Mein Daumen schwebte über dem leuchtenden WhatsApp-Icon auf meinem Smartphone. Ich holte tief Luft und tippte auf das Display. Das gleiche wiederholte ich bei Instagram, Twitter, Facebook und Co. Sogar Xing und LinkedIn mussten dran glauben. Zwei Stunden später kam es mir selbst lächerlich vor, dass ich so lange mit mir gehadert hatte. Schließlich ging es lediglich darum, eine Woche lang auf den Gebrauch von Sozialen Netzwerken zu verzichten.
Für jemanden, der Social-Media-Plattformen nicht nutzt, mag sich das nach einem lächerlich kurzen Zeitraum anhören. Aber für einen Digital Native wie mich, für den Instagram zum Alltag wie der Kaffee zum Frühstück gehört, ist das kein Honigschlecken. Oder wie eine meiner Freundinnen es ausdrückte, als sie von meinem Selbstexperiment erfuhr: „Oha krass, ich glaube, das würde ich niemals durchhalten“.
Um es gleich vorwegzunehmen: Ich habe es durchgehalten. Und es war sogar einfacher und angenehmer als erwartet. Trotzdem konnte ich die Bedenken meiner Freundin verstehen. Schließlich verbrachte auch ich viel zu viel Zeit mit dem Scrollen durch meinen Insta-Feed und dem Aufnehmen von WhatsApp-Sprachnachrichten. Zwischendurch dann immer wieder der erwartungsvolle Blick auf das Handy, ob man nicht doch irgendeine neue Push-Benachrichtigung bekommen hat.
Durchschnittlich 89 Minuten Social Media pro Tag
Aber meine Freundin und ich sind wohl nicht die einzigen, denen es so geht, denn eine Statista-Studie zeigte im März dieses Jahres, dass 67 Prozent der Befragten, die zwischen 18 und 64 Jahre alt waren, soziale Medien täglich nutzen. Und zwar im vergangenen Jahr durchschnittlich 89 Minuten pro Tag, was aus einer anderen Studie bei Statista hervorgeht. Die Apps werden zum regelrechten Zeitfresser und Experten warnen schon lange vor ihren negativen Auswirkungen.
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„Digitale Medien können inspirieren und emotional erfüllend sein, aber auch Stress und psychisches Unwohlsein befördern. Dies zeigt sich in besorgniserregendem Maße gerade bei jüngeren Menschen“, erklärt Dr. Leif Krampf, der kürzlich mit dem VOCER Institut für Digitale Resilienz in Hamburg eine Studie zu dem Thema „Digitale Resilienz in der Mediennutzung“ veröffentlichte. Es war also dringend an der Zeit für ein Selbstexperiment: eine Woche ohne Soziale Medien. Welche Auswirkungen würde der Verzicht auf meinen Alltag haben? War ich wirklich so abhängig?
Buch statt Smartphone und Social Media
Aus alter Gewohnheit griff ich zumindest an meinem ersten Social-Media-freien Morgen noch im Halbschlaf sofort nach meinem Handy. Erst als ich es bereits entsperrt hatte, fiel mir ein, dass das ja zwecklos war. Im Laufe des Tages fand ich mich mindestens ein Dutzend weitere Male in der gleichen Situation, und so wurde mir bewusst, dass das ständige „Kurz-mal-checken“ wohl zu einer festen Gewohnheit geworden war, über die ich nicht einmal mehr nachdachte.
Aber damit war nun Schluss. Schließlich gab es nichts mehr, was ich mal eben hätte checken können. Die Konsequenz davon war - gerade, wenn ich im Homeoffice an Artikeln schrieb – mehr als positiv: Wenn ich normalerweise mit Sicherheit schon mindestens zehn Mal auf das Display meines Handys geschaut und mich abgelenkt hätte, arbeitete ich – wer hätte es gedacht – plötzlich viel kontinuierlicher und konzentrierter.
Social-Media-Verzicht belebt das Buchlesen
Insgesamt stellte ich fest, dass das Leben ziemlich schön und befreiend war, ohne das ständige Gefühl zu verspüren, noch auf irgendwelche Nachrichten antworten zu müssen oder die neuesten Instagram-Trends nicht verpassen zu dürfen.
Wenn ich jetzt mit der Bahn irgendwo hinfuhr, hatte ich kein Handy mehr in der Hand, sondern ein Buch. Das ist für mich zwar kein ungewöhnliches Phänomen, weil ich grundsätzlich viel und gerne lese, aber ich muss mir selbst eingestehen, dass mein Bücherkonsum deutlich abgenommen hat, seitdem ich in Besitz eines Smartphones bin. Das änderte sich nun wieder.
Einmal hob ich meinen Blick und bemerkte, dass ausnahmslos alle anderen Menschen um mich herum wie gebannt auf ihre Smartphones starrten. So wie ich, noch bis vor wenigen Tagen. Die sozialen Medien hatten uns offensichtlich voll im Griff.
Alltag ohne Social Media bewusster erleben
Und auch mein Gehirn schien den Social-Media-Verlust kompensieren zu wollen: Ich schaute seit Beginn des Experimentes plötzlich viel öfter in mein Mail-Postfach auf dem Smartphone und freute mich regelrecht über jede Nachricht, die ich bekam. Genauer gesagt über jede E-Mail. Ich hätte nicht gedacht, dass ich das jemals sagen würde. Die mediale Resonanz, die ich normalerweise über Instagram-Likes und WhatsApp-Nachrichten generierte, hatte sich nun also offensichtlich auf meine E-Mails verlagert. Das fand ich, ehrlich gesagt, so lächerlich, dass ich mich selbst darüber lustig machte. Zum Glück bekam ich das Problem schnell in den Griff.
Nichtsdestotrotz benutzte ich mein Handy weiterhin zum Musikhören und für Google Maps, aber das sind auch Möglichkeiten der modernen Zeit, die ich schlichtweg nicht missen möchte. Sie sind praktisch und machen das Leben einfacher.
Aber ohne soziale Medien lässt es sich in der Tat aushalten. Sogar sehr gut. Von der Angst, etwas zu verpassen, die auch „FoMO“ (fear of missing out) genannt wird, konnte ich zum Glück nicht klagen.
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Vielmehr genoss ich es, die Zeit, die ich online sparte, im Offline-Leben nutzen zu können. Ich erlebte meinen Alltag dadurch bewusster, ließ mich weniger ablenken und hatte natürlich mehr Zeit, für alles, was ich gerne machte: Sport, lesen, Freunde treffen, raus gehen. Ich stellte außerdem fest, dass das gute alte Telefonieren doch auch gar nicht so schlecht ist: Wenn ich mich mit Freunden verabredete, gab es auf einmal kein „lass noch mal schreiben“ und „wir können ja spontan noch mal schauen“ mehr. Stattdessen telefonierten wir eine halbe Minute, klärten, wann und wo wir uns treffen wollten, und waren zu dem vereinbarten Zeitpunkt vor Ort. So einfach konnte es sein.
Nach ein paar Tagen das Fazit: Nichts verpasst ohne Social Media
Dann aber der entscheidende Tag: Ich lud mir alle Apps wieder herunter. Einige, die mir nicht im Geringsten gefehlt hatten, ließ ich direkt weg. Doch die anderen installierte ich, schließlich war ich inzwischen doch ein bisschen gespannt. War mir etwas entgangen, hatte ich etwas verpasst? Einen Blick auf WhatsApp, Instagram und Twitter später wusste ich: Nein. Nichts. Gar nichts.
Natürlich kann ich nicht leugnen, dass ich gerne mit Freunden in Kontakt bin und darüber informiert sein möchte, was in der Welt so los ist, und da bringen die sozialen Medien nun einmal viele Vorteile mit sich. Aber vielleicht muss man dafür nicht 24/7 erreichbar und immer up to date sein, indem man alle zehn Minuten sein Handy checkt.
Ich zumindest werde in Zukunft versuchen, mir bewusst jeden Tag ein paar Social-Media-freie Stunden zu nehmen und mich vor allem nicht ständig ablenken zulassen. Das Social-Media-freie Leben kann nämlich auch ganz cool sein.