- Die Impfungen mit dem Vakzin von Astrazeneca wurden in Deutschland und zahlreichen anderen Ländern gestoppt
- Grund dafür sind vereinzelte Fälle von Hirnvenenthrombosen
- Die EMA hat nun bewertet, wie hoch das Risiko bei dem Impfstoff tatsächlich ist
- Das steckt hinter der Entscheidung der Arzneimittelbehörde
Nach der Aussetzung des Astrazeneca-Impfstoffs in Deutschland und zahlreichen anderen Ländern hat sich die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) am Donnerstag mit dem Thema befasst. Am Nachmittag hat die Behörde eine Risikobewertung abgegeben.
EMA empfiehlt Astrazeneca auch weiterhin
Aus Sicht der EMA ist das Corona-Vakzin von Astrazeneca sicher. Das teilte die Behörde am Donnerstag im Rahmen einer Pressekonferenz in Amsterdam mit. In Zukunft soll allerdings verstärkt auf die Risiken des Impfstoffs aufmerksam gemacht werden: Eine Warnung vor möglichen Blutgerinnseln in Hirnvenen soll in die Liste der möglichen Nebenwirkungen aufgenommen werden. Lesen Sie hier: Wer den Astrazeneca-Impfstoff nicht bekommen sollte.
EMA-Chefin Emer Cooke hatte schon vor ein paar Tagen erklärt, man sei immer noch „zutiefst überzeugt“, dass die Vorteile des Impfstoffs das Risiko der Nebenwirkungen überwiegen.

Die Bundesregierung wird sich an der EMA-Empfehlung zum Astrazeneca-Impfstoff orientieren. "Es ist klar, dass wir der Entscheidung folgen", sagte der Sprecher des Gesundheitsministeriums, Hanno Kautz, bereits am Mittwoch in Berlin.
Warum wurde die Verabreichung des Impfstoffs pausiert?
Nach Angaben des zuständigen Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) hatte es zunächst sieben bekannte Fälle gegeben, in denen Blutgerinnsel der Hirnvenen im zeitlichen Zusammenhang zur Impfung aufgetreten waren. Drei der Fälle seien tödlich verlaufen. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sprach bereits von acht Fällen insgesamt. Lesen Sie auch: Astrazeneca-Impfstoff - Was es mit der Thrombose auf sich hat
Nach dem vorsorglichen Stopp der Astrazeneca-Impfungen sind weitere Vorfälle in Deutschland bekannt geworden. Inzwischen gebe es 13 gemeldete Fälle von Blutgerinnseln (Thrombosen) in Hirnvenen in zeitlichem Zusammenhang zu Impfungen. Das teilte das Bundesgesundheitsministerium am Donnerstag mit.
Der ursächliche Zusammenhang zu den Impfungen bleibt aber weiter unklar. Jeder einzelne Thrombosefall, jedes Detail im Gesundheitszustand der Verstorbenen muss einzeln betrachtet werden. Neben Deutschland haben inzwischen mehr als ein Dutzend weitere EU-Staaten die Verwendung von Astrazeneca ausgesetzt. Lesen Sie hier: Welche Länder die Impfung mit Astrazeneca gestoppt haben - und welche nicht.
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Für Deutschland hatte die Astrazeneca-Aussetzung erhebliche Folgen. Immerhin ist dieses Vakzin gegen das Virus breit verfügbar und muss nicht kompliziert aufbewahrt werden. Tausende Impftermine mussten wegen des Stopps abgesagt werden. Auch die Entscheidung über die geplante Verabreichung in Hausarztpraxen verzögerte sich. Dabei wollten Bund und Länder schon an diesem Mittwoch festlegen, ab wann Hausärzte Astrazeneca verimpfen können. Nun wurde der Termin auf Freitag verschoben.
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Wie groß ist der Schaden für die Impfkampagne?
Auch wenn die EMA nun zu dem Ergebnis gekommen ist, dass der Wirkstoff von Astrazeneca weiterhin verwendet werden darf, müssen die Menschen länger auf ihren Corona-Schutz warten. Zuerst muss der Impf-Stopp in Deutschland aufgehoben werden, dann müssen die abgesagten Impftermine erst einmal nachgeholt werden. Die Hausärzte warnten vor negativen Folgen. „Die Aussetzung des Impfstoffs von Astrazeneca maximiert den Imageschaden, unter dem die deutsche Impfstrategie von Beginn an leidet“, sagte der Bundesvorsitzende des Hausärzteverbands, Ulrich Weigeldt. Der Schritt habe nicht dazu beigetragen, „das schwindende Vertrauen weiter Teile der Bevölkerung in die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie wieder zu stärken“.
Welche neuen Erkenntnisse gibt es zu den jüngsten Verdachtsfällen?
Die Fälle einer speziellen Thrombose, die Grund des Aussetzens der Astrazeneca-Impfungen waren, betrafen laut PEI Menschen zwischen etwa 20 und 50 Jahren. Sechs der sieben ursprünglichen Falle hätten eine sogenannte Sinusvenenthrombose gehabt, alles Frauen in jüngerem bis mittlerem Alter. Ein weiterer Fall mit Hirnblutungen bei Mangel an Blutplättchen sei medizinisch sehr vergleichbar gewesen. Alle Fälle seien zwischen 4 und 16 Tagen nach der Astrazeneca-Impfung aufgetreten. Drei der Betroffenen seien verstorben. Die Zahl der Fälle nach Impfungen mit Astrazeneca ist den Angaben nach statistisch bedeutend höher als die Anzahl von Hirnvenenthrombosen, die normalerweise in der Bevölkerung ohne Impfung auftreten.
Ob ein kausaler Zusammenhang besteht, werde untersucht. Weiter betonte das Institut, von den schwerwiegenden Hirnvenenthrombosen mit Blutplättchenmangel sei nicht die Altersgruppe betroffen, die ein hohes Risiko für einen schweren oder tödlichen Covid-19-Verlauf habe – also nicht Senioren –, sondern Menschen in jüngerem bis mittlerem Alter.
Worauf sollten Geimpfte achten?
Entwickeln sie 4 bis 14 Tage nach der Impfung mit Astrazeneca dauerhafte Kopfschmerzen oder punktförmige Hautblutungen, sollten sie einen Arzt aufsuchen.
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Was ist mit Menschen, die auf die zweite Astrazeneca-Dosis warten?
Nach Ansicht von Experten müssen sie sich zunächst keine Sorgen um fehlenden Immunschutz machen. „Nach allem, was wir wissen, ist es nicht problematisch, die zweite Impfung aufzuschieben“, sagte Stefan Kaufmann, emeritierter Direktor am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin. Bereits die erste Dosis schützt vor schweren Verläufen. Laut Herstellerangaben sollte die zweite Dosis innerhalb von vier bis zwölf Wochen nach der ersten Dosis gegeben werden. Der Impfstoff ist ungeöffnet im Kühlschrank sechs Monate haltbar. Auch wegen der einfacheren Logistik setzen Hausärzte auf das Vakzin.
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Wie haben die Bundesländer auf den Impfstopp reagiert?
Die meisten Bundesländer setzten die Impfungen sofort aus. In Berlin wurden etwa vorübergehend zwei Corona-Impfzentren an den früheren Flughäfen Tegel und Tempelhof geschlossen, die Impfungen des Klinikpersonals wurden ebenso ausgesetzt wie das Pilotprojekt für Impfungen durch niedergelassene Ärzte. In Deutschland sind bislang rund 1,6 Millionen Dosen verimpft worden.
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Erste Zweifel am Präparat kamen aus Dänemark
Am vergangenen Donnerstag hatte zunächst Dänemark die Impfungen mit dem Vakzin ausgesetzt. Es folgten zahlreiche weitere Staaten. Zuvor waren einzelne Fälle in Dänemark und auch in Norwegen bekannt geworden, in denen schwere Blutgerinnsel nach der Verabreichung des Mittels auftraten.
Impf-Stopp dürfte Zweifel an Astrazeneca verstärken
Der vorläufige Impf-Stopp für Astrazeneca dürfte die verbreitete Skepsis gegenüber dem mit der Uni Oxford entwickelten Vakzin noch verstärken. Nach Klagen über starke Impfreaktionen hatten viele medizinische Fachkräfte eine Impfung abgelehnt. Die EMA erklärte darüber hinaus am vergangenen Freitag, dass schwere allergische Reaktionen auf die Liste der Nebenwirkungen des Astrazeneca-Impfstoffs aufgenommen werden müssten.
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Zudem litt der Ruf des Vakzins darunter, dass seine Schutzwirkung Studien zufolge mit 70 Prozent nicht so hoch ist wie bei den Impfstoffen von Biontech/Pfizer oder Moderna mit mehr als 90 Prozent. Das Vakzin war in Deutschland zunächst nur für unter 65-Jährige zugelassen worden. Grund dafür war, dass zunächst zu wenige Studiendaten zur Wirksamkeit für Ältere vorlagen. Mittlerweile ist der Impfstoff aber für alle Erwachsenen zugelassen.
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Auch der Mediziner und SPD-Politiker Karl Lauterbach äußert sich ähnlich auf Twitter. „EMA hat nach AstraZeneca Impfung 22 Thrombembolien bei 3 Millionen Geimpften gefunden", schrieb er dort. Und weiter: „Das entspricht der Rate ohne Impfung. Es ist richtig, das weiter zu untersuchen. Aber Impf-Stopp war falsch. Ausgesetzte Impfung ist für viele tödlich, die jetzt verzichten.“
Astrazeneca: Das Unternehmen äußert sich zum Impf-Stopp
Astrazeneca hatte betont, die Analyse von mehr als zehn Millionen Fällen habe „keinerlei Beweis für ein erhöhtes Risiko für eine Lungenembolie oder Thrombose" ergeben. Mitentwickler Andrew Pollard, Leiter der Oxford Vaccine Group, erklärte am Montag, es gebe „sehr beruhigende Beweise“, dass das Vakzin in Großbritannien – bislang sein Haupteinsatzgebiet in Europa – nicht zu einer Zunahme von Blutgerinnseln geführt habe.
Auch die dänische Behörde betonte, es sei gut dokumentiert, dass das Mittel sowohl sicher als auch effektiv ist. Wichtig sei zu unterstreichen, dass man den Astrazeneca-Impfstoff nicht ablehne, die Verabreichung lediglich aussetze. Allerdings müsse auf Berichte zu möglichen ernsthaften Nebenwirkungen reagiert werden. Nach einer zweiwöchigen Verabreichungspause werde man sehen, wie man weiter vorgeht.
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(dpa/afp/mja/jule/bef/day/te)