Das Wetter ist das letzte große Rätsel in unserem System ohne Restrisiken. Umso schwerer tun wir uns, Kälte und Regen klaglos zu akzeptieren.
Am Ende des Ersten Akts des Singspiels "Im weißen Rössl“ von Ralph Benatzky kommen die Gäste und die Angestellten des gleichnamigen Hotels in St. Wolfgang im Salzkammergut auf die Bühne und singen gemeinsam ein Lied:
Wenn es hier mal richtig regnet, ja dann regnet es sich ein/ Denn die Gegend ist gesegnet, mit Regen allgemein/ Wenn die ersten Tropfen fallen, fallen die andern Tropfen auch/ Und man hört sie förmlich knallen, auf den Kopf und auf den Bauch.
Auf den ersten Blick nur ein lustiges Lied, wie alles in dem Klassiker der leichten Unterhaltung, der 1930 in Berlin uraufgeführt wurde. Aber die Szene hat es in sich, sie enthält eine wichtige Botschaft: Vor dem Wetter sind alle gleich, die Herrschaften und die Dienstboten, die Direktion und das Personal.
Wenn es stürmt und donnert, zieht der Arbeiter auf seinem Moped ebenso den Kopf ein wie der Unternehmer in seiner Limousine. Und wenn in einem ICE die Klimaanlage ausfällt, führt das innerhalb von Minuten zur Bildung einer klassenlosen Gesellschaft.
Das Wetter ist ein Faszinosum. Es soll Menschen geben, die sich die "Tagesschau“ nur anschauen, um die Wetterkarte nicht zu verpassen. In den USA gibt es einen Weather-Channel, der rund um die Uhr Wetterberichte sendet, für den Osten, den Westen, den Süden und den Norden.
Die Verantwortung der Wetterfrösche
Ein ähnliches Projekt hat in der Bundesrepublik nicht funktioniert, das Land ist zu klein. Aber der Weatherman, mag er nun Jörg Kachelmann oder Maxi Biewer heißen, genießt hier den gleichen Kult-Status wie seine Kollegen in den USA. Weil er so nah an den Naturgewalten dran ist, glauben die Menschen, dass er sie auch beeinflussen kann.
Eine Annahme, die nicht so absurd ist, wie sie sich anhört. „Wir tragen eine große Verantwortung“, stellt ein für das Fernsehen tätiger Wetterfrosch fest, "sagen wir zum Beispiel am Wochenende schlechtes Wetter für die Ostseeküste voraus, kann das für die Hotellerie und Gastronomie katastrophale Auswirkungen haben; also versuchen wir den Wetterbericht so zu formulieren, dass er nicht völlig aussichtslos klingt. Wir sagen dann ,überwiegend Regen' statt ,Dauerregen' und betonen, dass man bei den milden Temperaturen gut spazieren gehen kann“.
Noch schlimmer, wenn sich der Wetterfrosch irrt und statt „Sonne bei leichter Bewölkung“ schwarze Wolken den gesamten Himmel verdüstern. „Dann bekommen wir Morddrohungen, die Leute machen uns verantwortlich.“
Der ambitionierte Wetterexperte nimmt die Herausforderung an. Wilhelm Reich, Psychoanalytiker und Sexualforscher, 1897 im österreichischen Teil Galiziens geboren, 1957 in einem Gefängnis in Pennsylvania gestorben, hat nicht nur über „Die Funktion des Orgasmus“ und die „Massenpsychologie des Faschismus“ geschrieben, er hat auch die „Orgontherapie“ und den „Orgonakkumulator“ erfunden und einen „Cloudbuster“ konstruiert, mit dem er Wolken „melken“ konnte.
Auf einen Pick-up montiert, sahen die Geräte wie Kanonen aus. Aus Reichs Aufzeichnungen, die in der Universität von Harvard liegen, geht hervor, dass er es einige Male tatsächlich geschafft hat, Regen zu erzeugen. Noch heute kann man Anleitungen zum Bau von „Cloudbustern“ im Internet finden.
Vielleicht ist an der Sache wirklich was dran. Der Präsident der Vereinigten Arabischen Emirate, Scheich Khalifa bin Zayed Al Nahyan, soll einer Schweizer Firma den Auftrag erteilt haben, Regen in der Wüste zu erzeugen.
Dazu wurden in der Gegend von Al Ain, südlich von Dubai, riesige „Luft-Ionisierer“ aufgestellt, die ein elektrisches Umfeld erzeugen, das die Luftpartikel negativ auflädt. Über die Ergebnisse ist verlässlich wenig bekannt, das Experiment ist streng geheim.
Der gewöhnliche Wetterkonsument will ohnehin nur eines: Dass die Sonne scheint, wenn er Ferien macht. Und so sieht und hört man in diesen Tagen allerorten verzweifelte Menschen. So schlecht wie in diesem Jahr war der Sommer noch nie, klagen sie, und wenn sie die Möglichkeit hätten, das Wetter zu verklagen, würden die Gerichte unter der Last der Verfahren zusammenbrechen.
Aber – das war schon immer so. Die Landung der Alliierten in der Normandie im Sommer 1944 musste wegen schlechten Wetters mehrmals verschoben werden. 31 Jahre später, 1975, plantschte Rudi Carrell in einem Pool, umgeben von Nixen in Badeanzügen, und sang: „Wann wird's mal wieder richtig Sommer, ein Sommer, wie er früher einmal war/Mit Sonnenschein von Juni bis September und nicht so nass und so sibirisch wie in diesem Jahr“
Heute warten alle darauf, dass es richtig Sommer wird, ein Sommer, wie er früher einmal war. Geändert hat sich nur die Erwartungshaltung, sie ist aggressiver geworden. Hat man einst gesagt: „Es gibt kein schlechtes Wetter, nur die falsche Kleidung“, so scheint es heute ein Grundrecht auf gutes Wetter zu geben, das immer dann eingefordert wird, wenn die Urlaubssaison losgeht, also ungefähr von Mitte Dezember bis Ende Oktober.
Aus dem allgemeinen „Pursuit of Happiness“, 1776 in der Unabhängigkeitserklärung der USA festgeschrieben, ist ein „Pursuit of Sunshine“ geworden. Dass die „Sonn' ohn' Unterlass“ scheinen werde, sobald die „Verdammten dieser Erde“ aufgewacht sind und die Kapitalisten verjagt haben, davon waren schon die Kämpfer für eine bessere Welt überzeugt, wenn sie die „Internationale“ anstimmten.
Von diesem Geist des proletarischen Internationalismus ist wenig übrig geblieben, sieht man von den Reaktionen enttäuschter Urlauber ab, die sich in Internet-Foren treffen, um Erfahrungen auszutauschen: eine Woche Regen auf den Balearen gegen zwei Wochen Bodenfrost auf Bornholm.
Das Wetter ist das letzte große Rätsel
Die Klimawandel-Diskussion verkompliziert die Sache. Ist der Klimawandel menschengemacht oder nur eine Laune der Natur? Hat man noch vor 50 Jahren mit einer neuen Eiszeit gerechnet, so steht nun die globale Erwärmung auf der Agenda. Für die eine wie die andere Entwicklung gab und gibt es „wissenschaftliche“ Erklärungen, die sich so zueinander verhalten wie die Jahreszeiten: Die einen kommen, wenn die anderen gehen.
Weswegen der normale Bürger, der zwischen Wetter und Klima nicht unterscheidet, dennoch die Frage stellt: Wenn der Mensch das Klima manipulieren kann, wieso kann er dann nicht das Wetter beeinflussen? Wie kommt es, dass Politiker, die den Anstieg der globalen Erwärmung bis 2050 auf zwei Grad begrenzen wollen, nicht dafür sorgen können, dass es im August auf Rügen nicht regnet?
Das Wetter ist das letzte große Rätsel in einem System, das sich darauf spezialisiert hat, Restrisiken abzuschaffen, eine Insel der Anarchie im Meer der „Planungssicherheit“. Wer „im Einklang mit der Natur“ leben will, sollte sich also nicht über das Wetter beschweren.
Als am 8. Juni 1783 der Vulkan Laki auf Island ausbrach, war das der Beginn einer der schlimmsten Naturkatastrophen der Neuzeit. Die Eruption dauerte neun Monate, kostete Tausende das Leben und veränderte das Klima in Europa so nachhaltig, dass es überall zu Missernten und Hungersnöten kam. Der Brotpreis stieg, die Französische Revolution nahm ihren Lauf.
So betrachtet, war der Sommer 2011 bis jetzt gar nicht so übel.