Es hätten wunderbare Werbebilder für Duisberg werden sollen. Bilder von tanzenden Menschen in lustigen Outfits, die schon Berlin zu einem neuen Image verhalfen. Spaßkultur statt Stahlindustrie und Schimanski. Nun ist Duisburg die Stadt der Loveparade-Toten. Die Stadt mit dem Tunnel. Die Stadt mit dem widerlichen Bürgermeister. Die Stadt mit immer noch 2,75 Milliarden Euro Schulden. Und einem Imageproblem XXL.
Duisburg ist auf der Landkarte des Grauens gelandet. Orte wie Ramstein, Winnenden, Mügeln haben sich dort unfreiwillig verewigt, ebenso Bad Kleinen und Gladbeck, Tschernobyl und Bhopal. Würde man die perfekte Karte davon zeichnen, so müsste man auch eine makaber anmutende Legende entwerfen. Bestimmte Symbole stünden für Unfall, Missbrauch, Rechtsradikalismus. Und verschiedene Farben für verschiedene Opferzahlen. In Klammern hinter den Orten würde wohl jeweils die Jahreszahl der Katastrophe stehen.
Doch noch viel eindrücklicher als jede Karte sind ohnehin die Bilder, die im Kopf bei der bloßen Nennung des Namens auftauchen. Amstetten – und schon ist da das Gesicht des Inzesttäters Fritzl. Eschede – der in groteskem Zickzack hingetrümmerte ICE. Rostock – der Nazi in der verpissten Hose. Rotenburg – der Kannibale.
Wie eine Anti-Imagekampagne katapultiert das Unglück die Orte in eine Welt des ungewollten Ruhms, in der ganz eigene, zynische Regeln gelten. Eine davon: Je kleiner und unbekannter der Ort, desto wahrscheinlicher landet er wegen eines Verbrechens auf der Landkarte. Der Schrecken klingt meist nach Provinz.
Nehmen wir Brieskow-Finkenheerd, 2500 Bewohner, südlich von Frankfurt/Oder gelegen. Der Ort zählt auf der Habenseite unter anderem eine Postfiliale, zwei Einkaufszentren, 15 Vereine und die Lage am Rande des Schlaubetals auf. „Sie sehen, man ist hier in den besten Händen“, heißt es auf der Webseite. Das liest sich auch im Jahr 2010 wie ein böser Witz. Oder muss jemand nicht an die neun toten Babys denken, die im Sommer 2005 gefunden wurden?
Auch Winnenden, knapp 30.000 Einwohner, wird den wenigsten als „Stadt mit einer sehr guten Infrastruktur und einem hohen Wohn- und Freizeitwert“ bekannt sein. Winnenden – ein Synonym für Amok und Hobbyschützenwahnsinn. Auch in Erfurt gab es einen Amoklauf. Doch dafür steht wohl eher der Name Robert Steinhäuser als die 200.000-Einwohner-Stadt.
11.9.2001 – die Metropolen-Katastrophe
Größe schützt nicht immer: Sogar Metropolen landen auf der Weltkarte des finsteren Ruhmes – wenn das Ausmaß der Katastrophe entsprechend dimensioniert ist. Seit dem 11. September 2001 klingt selbst New York nach Tragödie. Und seit dem 24. Juli eben auch Duisburg, die mit fast 500.000 Einwohnern fünftgrößte Stadt Nordrhein-Westfalens. Doch die Größe birgt auch die Chance, dass der Name auf der Schreckenskarte wieder verblasst. Die Darmstädter Stadtsoziologin Martina Löw sagt: „Ich glaube, dass Duisburg anders als zum Beispiel Winnenden eine Stadt ist, die nicht von einem einzigen Ereignis beschrieben werden kann. Duisburg hat immer noch viele andere Konnotationen.“ Immer noch stehe die Stadt für den industriellen Wandel im Ruhrgebiet, für einen riesigen Binnenhafen und eben auch für Schimanski.
Ist die Katastrophe da, hilft Lamentieren jedenfalls nicht mehr, wie der Fall Mügeln zeigt. Kurz nachdem 60 Jugendliche acht Inder durch den 4000-Einwohner-Ort jagten, versuchte der Bürgermeister zu beschwichtigen: „Wenn es rechtsextreme Geschehnisse waren, dann kamen die Täter nicht aus Mügeln.“ Ähnliche Abwiegelversuche gab es in Solingen, wo 1993 Skinheads das Haus einer muslimischen Familie anzündeten. Das örtliche Tageblatt warf „auswärtigen Sensations-Journalisten“ vor, die Stadt als „ausländerfeindlich“ zu brandmarken. Die Fakten ließen sich nicht wegdiskutieren. Solingen und Mügeln klingen nach Hoyerswerda, Mölln und Rostock.
„Duisburg muss sich nun ausführlich damit beschäftigen, was die Katastrophe für die Stadt bedeutet“, rät Stadtsoziologin Löw. Heißt: Die Duisburger müssen sich mit ihrer neuen Lage arrangieren, auch mit dem Mitleid und dem Abscheu, der damit einhergeht. „Bild“-Kolumnist Franz Josef Wagner hat schon zweimal an die Duisburger geschrieben. Im ersten Brief am Mittwoch hieß es: „Die Katastrophe Eurer Inkompetenz hat sie getötet, der Tsunami Eures Sicherheitskonzepts, Eure tauben Ohren vor Warnungen.“ Dann schien ihm das doch zu harsch. Am Donnerstag wünschte er dem „lieben Duisburg“ zur kommenden Trauerfeier am Samstag: „Hoffentlich wird an diesem Tag nicht gleich die ganze Stadt beerdigt.“
Auch wenn der Duisburger Bürgermeister Adolf Sauerland unerbittlich an seinem Amt festhält – immerhin hat die Stadt die Internetseite duisburg.de( hier ) schwarz eingefärbt. Neben dem Foto eines Kondolenzbuches ist geschrieben: „Noch immer stehen wir fassungslos vor dieser Tragödie, die Menschen getroffen hat, die in unsere Stadt gekommen waren, um auf der Loveparade ein friedliches und fröhliches Fest zu feiern.“ Die Stadt Duisburg trauert. Auch um sich selbst.