"Im Angesicht des Verbrechens"

Arte zeigt Familiensaga zur Russenmafia

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Caroline Bock

Foto: ARD/Julia von Vietinghoff / ARD/Julia von Vietinghoff/ARD/ARTE

Sie gilt als brutal und schwer zu fassen: die Russenmafia. Vor allem Berlin hat die Organisation fest im Griff. Regisseur Dominik Graf inszenierte die Mafia in dem Epos "Im Angesicht des Verbrechens" und hat dafür viel Lob erhalten. Die Qualität soll so gut sein wie bei den US-Formaten wie "24", "Mad Men" und "Sopranos".

Bei der Berlinale hätte er sich vor Aufregung am liebsten unter dem Kinostuhl verkrochen. Aber das war nicht nötig. Regisseur Dominik Graf wurde für sein acht Stunden langes Russenmafia-Epos „Im Angesicht des Verbrechens“ gefeiert. Endlich eine gute deutsche Serie, fanden viele.

Ob der Fernsehzuschauer das genauso sieht, wird sich ab dem 27. April zeigen. Dann startet die aufwendige Serie auf Arte, wo sie dienstags und samstags in jeweils zwei Folgen um 22.00 Uhr ausgestrahlt wird. Im Herbst läuft die Mischung aus Krimi und Familiengeschichte im Ersten. Schauplatz ist Berlin.

Hauptdarsteller ist Max Riemelt („Die Welle“, „13 Semester“), der mit dieser Rolle einige Preise einheimsen dürfte und seine Fans nicht nur mit einem Nacktauftritt in Folge neun erfreuen wird. Der 26-Jährige spielt Marek Gorsky, einen jüdischen Polizisten und Sohn lettischer Einwanderer, dessen Bruder vor zehn Jahren ermordet wurde.

Seine Schwester Stella (Marie Bäumer) ist mit dem Russen Mischa (Misel Maticevic) verheiratet und führt ein Restaurant, das Treffpunkt der Mafiaszene ist. So gerät der junge Polizist, den seine Landsleute als „Müllmann“ schmähen, in Konflikte.

Wie kann er gegen das organisierte Verbrechen kämpfen und den Mörder seines Bruders finden, ohne seiner Schwester zu schaden? Zusammen mit seinem Partner Sven Lottner (herrlich als Kraftmeier mit Berliner Schnauze: Ronald Zehrfeld) steigt Marek zum Beamten beim Landeskriminalamt auf. Doch dort gibt es Maulwürfe, die die Russen mit Tipps versorgen.

Ein zweiter Handlungsstrang führt in die Ukraine, wo zwei junge Frauen unter falschen Versprechungen nach Berlin gelockt und in die Prostitution gezwungen werden. Eine Liebesgeschichte bahnt sich an: „Kindchen, unter Wasser siehst du den Mann, den du liebst“, verspricht die Großmutter der jungen Ukrainerin Jelena (Alina Levshin).

Geschäfte werden beim Golf besprochen, schmierige Freier schlummern in Bettwäsche mit Leopardenmuster, ein brutaler Russe bricht einem Partner mal eben die Hand. Und natürlich fließt viel Wodka. „Im Angesicht des Verbrechens“ ist nicht frei von Klischees.

Regisseur Graf („Die Katze“, „Das Gelübde“) kann sich aber auf die ausgeklügelten Figuren und Spannungsbögen verlassen, die ihm Rolf Basedow ins Drehbuch geschrieben hat. Es reizte Graf, zu zeigen, dass Deutschland ein Schmelztiegel der Kulturen geworden ist.

„Man muss die Klischees anders erzählen“, das hatte er sich bei den Dreharbeiten vorgenommen. Basedow habe sorgfältig im Milieu der kriminellen Strukturen recherchiert, sagte Graf in einem Interview. „Er kennt die Spielregeln, die Gewohnheiten, die Sprache.“

Wohl zum ersten Mal gibt eine deutsche Serie Einblicke in die Welt jüdischer Einwanderer in Berlin: Wie lebt ein junger Mann, der aus dem Baltikum kommt? Wie sieht es bei seiner Familie zu Hause aus? Für deutsche Fernsehverhältnisse neu ist auch, dass Graf Russisch mit Untertiteln laufen lässt, den Figuren keine Kunstsprache in den Mund legt und sie auch mal nuscheln lässt.

Die Besetzung ist international. Graf musste bei 150 Sprechrollen und Dreharbeiten von Berliner Hinterhöfen bis nach Osteuropa den Überblick behalten. Zweieinhalb Jahre war er mit seinem bisher größten Vorhaben beschäftigt, hinter den Kulissen lief nicht alles glatt, die Produktionsfirma Typhoon meldete Insolvenz an, das Projekt verzögerte sich.

Es war das erste Mal, dass Graf eine Serie von der ersten bis zur letzten Folge inszeniert hat. Er macht meistens nicht den Fehler, in steifen Dialogen die Handlung erklären zu lassen, sondern verlässt sich auf das Gespielte. Und er schafft, was im deutschen Fernsehen nicht oft gelingt, zuletzt vielleicht beim „KDD – Kriminaldauerdienst“. Diese Miniserie entwickelt einen Sog und ist spannend, teilt aber das Los anderer, anspruchsvoller Serien: Die Einschaltquoten sind mau, nach drei Staffeln macht das ZDF Schluss damit.

Doch das ist möglicherweise ein Zug der Zeit, in der es immer beliebter wird, sich Fernsehproduktionen im DVD-Pack zu besorgen und in einem Rutsch durchzugucken – bei Kultserien wie „24“ und „Lost“ ist das ähnlich, die Quoten sanken dementsprechend.

Wie realistisch der Einblick in die Berliner Mafiaszene ist und ob diese wirklich so bedrohlich ist, kann der Zuschauer nicht beurteilen. Aber er wird den vietnamesischen Zigarettenhändler, das russische Edelrestaurant und die Prostituierte am Straßenrand mit etwas anderen Augen sehen.

"Im Angesicht des Verbrechens", Dienstag, 27. April, 22.00 Uhr auf Arte

( dpa )