Berlin. Das Vokabular, das Fußball-Trainer gern verwenden, wenn ihre Mannschaft in den ersten Wochen einer Saison eine gute Phase erwischt hat, womöglich auch noch in der Spitzengruppe der Liga zu finden ist, kennt wenig Spielraum. Momentaufnahme ist oft zu hören, auch dass es noch ein langer Weg sei oder die Konkurrenz stark. Urs Fischer, Coach des 1. FC Union, zählt zu jenen Übungsleitern, die dieses Vokabular perfekt beherrschen.
Vor diesem Hintergrund ließ der Schweizer nun jedoch aufhorchen, als er nach dem 2:2 beim Hamburger SV auf die Tabellensituation der Zweiten Liga angesprochen wurde. Der HSV führt nach 14 Spieltagen vor Mitabsteiger 1. FC Köln und Union – ein Szenario, mit dem sich Fischer am Ende der Saison anfreunden könnte? „Das würde dann auch ein wenig meinen Aussagen entsprechen, dass der HSV und Köln die absoluten Favoriten sind. Und dass dann eine Mannschaft von vielen auf dem dritten Platz stehen würde“, erklärte der 52-Jährige. Um dann hinzuzufügen: „Aber ich hätte es dann lieber schon noch anders – dass ich nicht ins Relegationsspiel gehen müsste.“
Da davon auszugehen ist, dass damit nicht der vierte Platz gemeint sein soll, ist klar: Union wagt sich aus der Deckung, die Köpenicker haben den Status eines Aufstiegskandidaten endgültig angenommen.
Startserie der Köpenicker gilt als gutes Omen
Es wirkt so, als hätten die Berliner das Spitzenduell im Volksparkstadion, zwei Tage vor der Mitgliederversammlung am Mittwoch (19 Uhr, Ballsporthalle Hämmerlingstraße), noch abwarten wollen. Das Ergebnis, vor allem aber der Auftritt der eigenen Mannschaft haben am Montagabend gezeigt, dass mit Union im Aufstiegsrennen bis zum letzten Spieltag zu rechnen sein wird. Und das nicht zwingend in der Rolle des Verfolgers.
Sogar die Statistik spricht deutlich für die Berliner. Seit Einführung der eingleisigen Zweiten Liga im Jahre 1981 haben es Mannschaften, die mindestens die ersten 14 Spieltage einer Saison nicht verloren haben, in die Bundesliga geschafft. Spitzenreiter ist hier der 1. FC Köln mit 25 Spielen vom Saisonstart weg ohne Niederlage (2002/03). Lediglich 2012/13 scheiterte der 1. FC Kaiserslautern trotz 16 Partien ohne Pleite zu Saisonbeginn noch in der Relegation gegen die TSG Hoffenheim (1:3, 1:2).
Macht es da überhaupt noch Sinn tiefzustapeln? „Es wissen jetzt viele Mannschaften, dass es schwer ist, gegen uns zu spielen. Wenn man 14 Spiele ungeschlagen ist, will jeder natürlich der erste sein, der uns schlägt, folglich sind die Gegner gegen uns sehr motiviert. Aber wir geben nicht auf, auch wenn wir mal hintenliegen“, sagte Linksverteidiger Ken Reichel. Grischa Prömel pflichtete seinem Teamkollegen bei. „Klar gehört auch ein Quäntchen Glück dazu, so spät den Ausgleich zu machen. Das hat immer auch mit Überzeugung zu tun“, erklärte der Mittelfeldspieler: „Aber irgendwann wird jedes Team geschlagen, keine Frage.“ Auch Union?„Ich glaube, in der Zweiten Liga ist jede Mannschaft zu schlagen, da sind wir keine Ausnahme. Aber wir würden uns nicht dagegen wehren, wenn es anders kommt“, feixte Reichel.
„Wir sind jetzt einen Schritt weiter“
Ein Blick in die jüngere Klubgeschichte belegt jedoch die Entwicklung, die Union gemacht hat. Noch vor rund eineinhalb Jahren stand man trotz aussichtsreicher Position nach Niederlagen gegen Hannover (0:2), Stuttgart (1:3) und Braunschweig (1:3) mit leeren Händen da. Nun gab es in Köln (1:1) und Hamburg immerhin jeweils einen Punkt. „Natürlich sind wir jetzt einen Schritt weiter, das sieht man, das spürt man. Hamburg hat sehr, sehr gute Spieler in der Offensive, das muss man erst einmal verteidigen“, sagte Unions Kapitän Christopher Trimmel: „Und dass wir wieder zurückgekommen sind, ist typisch wir. Das spricht schon für uns.“
Selbst Unterschiede zum Spitzenduo zu finden, fällt schwer. Union hat sich ebenso reichlich verstärkt wie vor allem Köln. Hamburg hat mit Ex-Herthaner Pierre-Michel Lasogga (sieben Tore), der wegen eines Muskelfaserrisses in der Wade allerdings drei Wochen ausfallen wird, und Köln mit Ex-Unioner Simon Terodde (17) einen echten Torjäger. Union hat Sebastian Polter (vier) entgegenzusetzen, der nach auskuriertem Achillessehnenriss ja immer noch nicht wieder bei hundert Prozent ist. Auch „vom Einsatz her sieht man wenig Unterschied“, musste Prömel zugeben: „Vielleicht haben Hamburg und Köln mehr individuelle Klasse. Wir fahren ganz gut damit, dass wir uns dahinter positionieren.“
Das Signal an die Konkurrenz wurde jedenfalls eindrucksvoll ausgesandt. „Ich glaube, wir haben schon in mehreren Spielen gezeigt, dass man uns vielleicht nicht unterschätzen sollte. Ob das bis Saisonende hält, kann ich aber nicht sagen. Der Fußball ist nicht planbar“, erklärte Fischer, ehe er natürlich wieder den Begriff Momentaufnahme einstreute. Vielleicht war es auch HSV-Trainer Hannes Wolf, der Union letztlich aus der Reserve lockte: „Großen Respekt vor Union. Wir haben gegen eine Top-Mannschaft der Liga gespielt. Sie selber geben das ja nicht so zu, aber es ist eindeutig so.“ Momentaufnahme hin oder her.