Bundesliga

Herthas Sehnsucht nach dem Tor (zur Welt)

| Lesedauer: 5 Minuten
Jörn Lange
Beim 2:1 im Hinspiel bereitete Herthas Mitchell Weiser (r.) einen Treffer vor

Beim 2:1 im Hinspiel bereitete Herthas Mitchell Weiser (r.) einen Treffer vor

Foto: Jan Kuppert/SVEN SIMON / picture alliance / SvenSimon

Hertha BSC droht beim Hamburger SV ein bitterer Torlos-Rekord, doch die Berliner dürfen auf den Hamburg-Faktor hoffen.

Berlin.  Man müsste fast von einer Gabe sprechen. Pal Dardai hat schließlich schon viele schlummernde Offensivpotenziale geweckt. Wenn es darum geht, Spieler aus der sogenannten Tor-krise zu befreien, ist Herthas Chefcoach ein Spezialist. Als Vedad Ibisevic bei seinem Ex-Klub VfB Stuttgart auf dem Abstellgleis gelandet war, machte Dardai ihn wieder zu jenem gefürchteten Stürmer, der der Bosnier einst war. Flügelspieler Mathew Leckie, der bei seinem vorherigen Arbeitgeber FC Ingolstadt 30 Spiele lang ohne Erfolgserlebnis blieb, traf in seinen ersten fünf Spielen unter Dardai vier Mal. Auch der frühere Leipziger Davie Selke fand beim Ungarn zurück zu alter Torgefahr, von Salomon Kalou ganz zu schweigen. Als dem Ivorer 2015 partout kein Treffer mehr gelingen wollte, ließ Dardai ihn nach dem Training aufs leere Tor schießen, redete ihm gut zu und löste so die Blockade des Angreifers. Man müsste also. Wäre da nicht ...

Manager Preetz nimmt auch die Verteidiger in die Pflicht

Nach inzwischen vier Spielen ohne Berliner Treffer führt am Konjunktiv kein Weg mehr vorbei. An diesem Sonnabend (15.30 Uhr) beim Hamburger SV droht Herthas Jahrgang 2017/18 sogar ein unrühmlicher Rekord. Fünf Partien ohne eigenes Tor gab es noch nie beim Hauptstadtklub, und man braucht nicht viel Fantasie, um sich die alarmierenden Folge-Schlagzeilen vorzustellen. Ibisevic, Kalou und Co. wären plötzlich die harmloseste Mannschaft der Hertha-Historie. Eine Schmach, die es tunlichst zu vermeiden gilt. An der Waterkant soll endlich Schluss sein mit der Sturmflaute.

Wie das klappen soll? Nicht mit Brechstangen-Methoden. Dardai, der heute 42 Jahre alt wird, behandelte das Thema auffällig unauffällig, wollte die Torkrise nicht größer machen, als sie ist. „Wir machen keine Extra-Sachen“, betonte er, „sondern bleiben einfach dran.“ Auf dem Trainingsplatz sah man weder Einzelgespräche noch Sondertraining. Dienstag kombinierten sich Herthas Profis ohne Gegenwehr aufs gegnerische Tor, Mittwoch wurden Überzahlsituation geprobt. Das Ergebnis: durchwachsen. Mitunter wiesen die Verteidiger eine höhere Erfolgsquote auf als die Angreifer. Michael Preetz sah es positiv. „Jeder darf Tore schießen“, sagte der Manager, „auch die Innen- und Außenverteidiger.“

Der HSV lädt zum Toreschießen ein

Nun scheint die Gelegenheit beim HSV dafür besonders günstig. Einen anfälligeren Gegner als die stark abstiegsbedrohten Hanseaten hätte Hertha nicht bekommen können. Der neue Trainer Christian Titz (46), seit Wochenbeginn im Amt, hat zwar viele Veränderungen angekündigt, aber ob es ihm gelingt, der verunsicherten Mannschaft mehr Stabilität einzuhauchen, bleibt abzuwarten.

Das, was der HSV bisher auf den Platz brachte, hatte die Bezeichnung Verteidigung kaum verdient. Die Defensivbilanz liest sich verheerend. Nur Hannover hat in dieser Saison mehr Großchancen zugelassen als die Hamburger, die ihren Gegnern schon 46 „Hundertprozentige“ gewährten. Mit sechs schweren Fehlern vor Gegentoren hat der HSV mehr Schützenhilfe geleistet als jedes andere Team der Liga.

Nur der in der Hinrunde ins Bodenlose gefallene 1. FC Köln hatte die gegnerischen Angreifer noch weniger im Griff als der HSV. Der FC kassierte 29 Stürmer-Treffer, Hamburg 22. Weitere Horror-Zahlen gefällig? Die viertmeisten Gegentore der Saison (41), die zweitmeisten der Rückrunde (16) und ein krachendes 0:6 in München am vergangenen Wochenende. Anders ausgedrückt: So groß wie bei Hertha die Sehnsucht nach dem Tor ist, so günstig scheint die Chance auf Linderung am selbsternannten Tor zur Welt.

Weisers Kontakt mit Leverkusen bringt Unruhe

Einer, der mittelfristig durch das Tor zur großen Fußballwelt gehen will, zählt dabei zu den größten Hoffnungsträgern. Mitchell Weiser, Herthas Angriffslustigster, fiel in dieser Woche jedoch nicht durch besonders viele Tore und Vorlagen auf, sondern durch ein angebliches Treffen mit Leverkusens Manager Jonas Boldt. Darauf angesprochen, reagierte Michael Preetz einsilbig. Ein etwaiger Flirt zwischen Weiser und dem Champions-League-Anwärter sei „kein Thema“, sondern nur eine „Geschichte aus den Zeitungen“.

In jenen will Hertha so schnell wie möglich wieder positive Berichte provozieren, am liebsten schon am Sonnabend. „Auswärts haben wir zuletzt gut ausgesehen“, sagte Dardai, ehe er sich an einen seiner größten Coups als Tor-Herauskitzler erinnerte. „In Hamburg haben wir mal durch ein Kopfballtor von Basti Langkamp gewonnen.“ Für den nach Bremen abgewanderten Verteidiger war es der einzige Treffer in 121 Spielen für Hertha. Das beweist: In Hamburg ist wirklich alles möglich.