Kolumne Immer Hertha

Aus den Stadionkurven auf den Laufsteg

| Lesedauer: 4 Minuten
Jörn Lange
Keine Seltenheit: Fußballer wie Ex-Profi Christoph Metzelder auf der Fashion Week

Keine Seltenheit: Fußballer wie Ex-Profi Christoph Metzelder auf der Fashion Week

Foto: Monika Skolimowska / picture alliance / Monika Skolim

Die Fashion Week in Berlin zeigt, dass der Fußball inzwischen sogar die Modewelt erobert hat. Über die Hipsterisierung des Fanschals.

Berlin. Der Zirkus ist in der Stadt, das ist in diesen Tagen unübersehbar. Seit Anfang der Woche wimmelt es in der Hauptstadt-Manege von langbeinigen Gazellen, naturgemäß flankiert von zahlreichen Löwen, die es kaum abwarten können, fette Beute zu machen. So viele luftig bekleidete Schönheiten fallen nun mal auf im nasskalten Berlin, und spätestens, wenn man in ein Spontan-Fotoshooting in der U-Bahn geraten ist, wird klar: Es ist wieder Fashion Week. Was das alles mit Fußball zu tun hat? Eine ganze Menge! Um ehrlich zu sein, viel mehr, als man glauben mag.

Halten Sie die Modewelt für verrückt, liebe Leserinnen und Leser, halten Sie sie für übergeschnappt, aber die Frau von heute trägt in diesem Winter tatsächlich klassische Fanschals. Zwar muss nicht zwingend Hertha BSC, 1. FC Union oder Bayern München auf dem Halswärmer prangen, aber der klassische Look – farbige Fransen, große Schrift und große Logos – wurde von etlichen Fashion-Labels kopiert.

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Die letzte Bastion der Fanblöcke scheint zu fallen

„Anti-Chic“, nennt man das offenbar, jedenfalls gelten die Fanschals inzwischen als die neuen „Key-Pieces“ und „Statement-Accessoires“ für die modische Avantgarde, was insofern verwunderlich ist, als dass sie über Jahrzehnte nur für ein Statement standen: die Liebe zum Fußball, zu einem Verein und den dazugehörigen Farben, ganz sicher aber nicht für gesteigertes Interesse am eigenen Erscheinungsbild. Nun aber scheint dieses Alleinstellungsmerkmal der Fußballfans dem Ausverkauf, dem Mainstream geweiht. Wie soll er künftig noch als identitätsstiftendes Erkennungszeichen dienen, wenn x-beliebige It-Boys und -Girls seine Symbolik aufweichen?

Fanschals sind nicht beliebig, im Gegenteil, unter den Fan-Utensilien sind sie gewissermaßen die Evergreens. Mützen und Fahnen kamen und gingen, auch die klassischen Kutten sind inzwischen selten geworden. Der Schal aber blieb, weil er erschwinglich ist und praktisch, da multifunktional verwendbar. Schals wärmen (zur Not auch unterm Hintern), können geschwenkt werden oder einfach stolz gehalten, doch noch wichtiger wirkt der ideelle Wert. Ein Fanschal ist ja immer auch ein Bekenntnis, ein Zeichen der Zugehörigkeit und Abgrenzung.

„Wir gegen den Rest der Welt“ – nur dass die halbe Welt den eigenen Stil plötzlich nicht mehr „prollig“ findet, sondern „cool“. Mit der Hipsterisierung der Schals droht die letzte Bastion der Fanblöcke zu fallen.

Fußball und Mode - über Jahrzehnte ein Missverständnis

So absurd diese Entwicklung auch anmuten mag: Vielleicht ist sie einfach ein Zeichen ausgleichender Gerechtigkeit. Der Fußball, das kann man nicht anders sagen, hat die Mode schließlich über Jahrzehnte mit Füßen getreten, indem er einen stilistischen Sündenfall nach dem nächsten hervorbrachte: absurd anmutende Trikotdesigns und Trainingsanzüge aus Ballonseide, die Kombination von Vokuhilas, Miniplis und Schnauzer oder die abenteuerlichen Sakkos des früheren Nationalmannschaftstrainers Uli Stielike. Bis in die Nullerjahre blieb die Liaison zwischen Fußball und Mode vor allem eins: ein riesiges Missverständnis.

Das hat sich längst geändert. Allen voran Englands Glamour-Kicker David Beckham hat dafür gesorgt, dass beide Branchen heute Doppelpass spielen. Extravagante Haarschnitte und flächendeckende Tattoos zählen bei den Profis längst zum Standard, genauso wie schräge Outfits. Kein Schuh hat zu viel Glitzer, keine Farbe scheint zu gewagt – so ungelenk sich die Mode im Fußball bedient, so ungelenk bedient sich auch der Fußball in der Mode. Wer sich durch die Instagram-Accounts der Stars klickt, endet zwischen Bewunderung, ungläubigem Kopfschütteln und andauerndem Lachanfall.

Bei Hertha genießt vor allem Mitchell Weiser den Ruf eines „Fashion Victim“. Auch bei der Fashion Week wurde der 23-Jährige schon gesichtet, so wie etliche andere Profis. Ob ihr Interesse tatsächlich kurzlebigen Trends gilt oder eher langbeinigen Damen, darüber darf man streiten. Bei nicht wenigen Spielerfrauen stellt sich später ja heraus: Beruflich sind sie – Models.