Berlin. Den freien Montag verbrachte Fabian Lustenberger mit seiner Familie. Der Defensivspieler von Hertha BSC ist im November zum dritten Mal Vater geworden. Da ist man zu Hause schon mal gern gesehen. Und es ist ja auch nicht so, dass Lustenberger ansonsten oft die Arbeit beim Eintreten an der Wohnungstür ablegen und an den Haken hängen konnte wie einen Mantel. Zur Geburt seiner Tochter im November zum Beispiel, als seine Frau in der Schweiz entband, bekam der 29-Jährige von Hertha zwar ein paar Tage frei. Aber er brachte auch einen Laufplan mit, um täglich auf seine Kilometer zu kommen.
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Nun ist es sicher die Pflicht eines Fußballprofis, sich fit zu halten, egal in welcher Lebenslage. Aber manchmal überlegt sich die Fitness das auch anders und verabschiedet sich, weil der Körper den Dienst quittiert und jeden noch so gut gemeinten Laufplan unbrauchbar macht. Bei Lustenberger war das in seinen zehneinhalb Jahren bei Hertha oft so. Mal war der eine Muskel verletzt, mal der andere. Mal strahlte vom Schambein ein Schmerz aus, dass kaum ans Laufen zu denken war. Und wenn sich Lustenberger dann wieder berappelt hatte und zurück auf dem Spielfeld stand, ärgerte sich sein Trainer Pal Dardai oft darüber, dass er den Schweizer schon nach 60 Minuten wieder auswechseln musste. Die Fitness war nicht in voller Pracht heimgekehrt.
Trainer Dardai lobt ihn als „einen der Besten bei uns“
Das hat sich nun geändert. Dardai ärgert sich nicht mehr über Lustenberger. Er schwärmt von ihm: „Wenn er frisch ist, ist Lusti einer der Besten bei uns“, sagt der Ungar. „Wenn er müde ist, dann hat er Probleme. Aber im Moment macht er das sehr gut.“ Der 41-Jährige hat sich deshalb festgelegt, beim Heimspiel gegen Dortmund am Freitag (20.30 Uhr) wieder auf Lustenberger neben Niklas Stark in der Innenverteidigung zu setzen, obwohl mit Jordan Torunarigha ein schnellerer und mit Sebastian Langkamp ein erfahrenerer und kopfballstärkerer Vertreter des weiterhin verletzten Karim Rekik (Muskelverletzung im Aufbautraining) zur Verfügung stünden.
Lustenberger wurden diese Aussagen seines Trainers übermittelt und sie haben ihn gefreut. Es kam ja nicht allzu oft vor. Seit sein früherer Mitspieler Dardai vor drei Jahren sein Chef wurde, demontierte er den Defensivallrounder schrittweise. Er nahm ihm erst die Kapitänsbinde und dann den Stammplatz. Lustenberger schmerzte das, aber er machte es, wie es mal der Schriftsteller und Bukowski-Übersetzer Carl Weissner als Lebensweisheit formulierte: „Durchhalten ist alles. Man weiß nie, wozu’s noch mal gut ist.“
Kein Zucker mehr und eine bewusstere Ernährung
Über Einsätze in der Europa League, als Dardai beim Personal noch rotieren ließ, empfahl er sich für die Bundesliga und überzeugte vor allem beim 3:2 gegen Leipzig kurz vor Weihnachten. Da dirigierte er – aus dem Mittelfeld zurückgezogen ins Abwehrzentrum – Herthas Team in Unterzahl zum Überraschungserfolg. Und hielt 94 Minuten lang durch. „Ich bin gerade topfit“, sagt Lustenberger und erklärt, dass er seit Sommer – mit Ausnahme der kurzen Babypause – keine Trainingseinheit der Profis verpasst habe. Dass auf dieser Strecke nicht doch wieder ein Muskel rebellierte, hat auch mit einem Verzicht zu tun: „Ich habe meine Ernährung umgestellt. Ich lasse seit Mai radikal Zucker weg und ernähre mich bewusster. Das ist sicher ein kleiner Faktor“, sagt Lustenberger.
Sein Körper ist also wieder vollumfänglich im Dienst, sein Kopf war es ohnehin immer. Lustenbergers große Stärke beschreibt Dardai so: „Er kann das Spiel lesen.“ Lustenberger antizipiert das in der Zukunft liegende Spielgeschehen, erspürt den Weg des nächsten Gegnerpasses, um ihn dann abzufangen.
Dem Gegner in die Augen statt auf die Füße gucken
„Das passiert instinktiv. Ich gucke dem Gegenspieler oft nicht auf den Fuß, sondern in die Augen, um zu erkennen, wohin er laufen wird, oder wohin er spielen wird“, sagt Lustenberger. Mit dieser besonderen Spielintelligenz gelingt es dem Defensivallrounder, vorhandene Geschwindigkeits- und Größendefizit auszugleichen. Er läuft schon los, bevor der Ball den Fuß des Gegners verlassen hat. In ein Kopfballduell, das dem 1,80-Meter-Mann aussichtslos erscheint, geht er erst gar nicht und lässt sich lieber ein paar Meter nach hinten fallen, um den zweiten Ball zu ergattern. Das hat mit Vororientierung des Spielers auf dem Feld zu tun – eine wichtige Qualität im modernen Fußball.
Jene Eigenschaft ermöglicht dem eigentlich gelernten, defensiven Mittelfeldspieler auch den Einsatz in der Innenverteidigung, wo das Spiel zum Lesen vor ihm liegt. Zudem verfügt er über ein gutes Aufbauspiel, das bei Hertha meist Rekik übernommen hat. Gegen Stuttgart (0:1) war Lustenberger mit 88 Prozent der passsicherste Spieler auf dem Feld. Für Dardai ist er nun gegen Dortmund das geringere Risiko. Und das ist ja auch eine Qualität.
Der größte Unterschied zwischen dem Mittelfeld und der Abwehr sei im Übrigen das Laufpensum, sagt Fabian Lustenberger. Bis zu zwei Kilometer weniger müsse er als Verteidiger rennen. Im Moment ist das wegen der guten Fitness zwar egal. Aber noch Puste übrig zu haben, ist ja nicht verkehrt. Man weiß nie, wozu’s noch mal gut ist.