Noch herrscht Ruhe vor dem Sturm: Union und Hertha trainieren konzentriert, um sich auf das große Duell vorzubereiten. Zum Derby der besonderen Art werden 75.000 Berliner im Stadion erwartet.
Das Prozedere ist aus anderen Sportarten hinlänglich bekannt. Die Ansprüche sind – sofern sie sich nicht schon längst aus den sportlichen Vorzeichen ergeben haben – formuliert, die verbalen Duftmarken sind gesetzt. Noch einmal ziehen sich die beiden Duellanten zurück, um sich ein letztes Mal zu konzentrieren, sich auf die eigenen Stärken zu besinnen. Hertha BSC mit der Abschlusseinheit auf dem Schenckendorffplatz, der 1. FC Union mit seinem finalen Training auf dem Rasen der Alten Försterei, jeweils am Freitag unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Noch ein Tag liegt zwischen dem Showdown der beiden Berliner Profiklubs Samstag im Olympiastadion. Es ist die Ruhe vor dem Sturm, den beide Klubs am Samstag im zweiten Hauptstadtderby entfachen wollen. Und knapp 75.000 Zuschauer werden genau hinschauen, welcher der Zweitligisten die Vorbereitung besser für sich genutzt hat.
Dem Anlass entsprechend stellten beide Seiten noch einmal die Ausnahmestellung dieser ganz und gar nicht normalen Fußball-Partie heraus. „Das ist ein besonderes Spiel für Berlin“, sagte Herthas Manager Michael Preetz. Unions Teammanager Christian Beeck stellte klar: „Berlin hat sich dieses Derby verdient.“ Hertha gegen Union – die Anspannung ist deutlicher denn je spürbar, bei allen Beteiligten. „Wenn einer so abgebrüht ist, dass es nicht mehr kribbelt – Decke drauf“, lässt das Gastspiel seiner Mannschaft beim Klassenprimus auch Union-Trainer Uwe Neuhaus keineswegs kalt. Oder wie es sein Gegenüber Markus Babbel erklärt: „Ein Derby vor 75.000 Zuschauern ist auch für mich etwas Besonderes.“ Und wenn jemand der Protagonisten sagen kann, in seiner Karriere schon einiges erlebt zu haben, so ist es mit Sicherheit der Hertha-Coach.
Beide Seiten wissen um die Möglichkeit, sich vor einem großen Publikum präsentieren zu können. Die Chance, neue Fans für sich zu begeistern, kann besser nicht sein. So soll das Derby für Hertha nur der Startschuss zu einem Saisonendspurt werden, den möglichst viele Sympathisanten begleiten sollen. Und der natürlich in der Rückkehr in die Bundesliga gipfeln soll. „Wenn die Mannschaft sich gegen Union gut präsentiert, haben wir intern die Hoffnung, dass von den verbleibenden sechs Heimspielen noch mehr ausverkauft sein werden“, sagte Preetz. Wenn schon nicht ausverkauft, so doch wenigstens so gut gefüllt, dass der Zuschauerdurchschnitt locker die 40.000er-Marke überschreitet.
Schon die derzeitigen 38.558 Besucher, die Hertha im Durchschnitt in den Heimspielen unterstützten, waren nicht erwartet worden. Dieses Vertrauen der Anhänger in die Mannschaft und den Trainerstab soll nicht enttäuscht werden. Weil es nicht enttäuscht werden darf, soll das neue Zusammengehörigkeitsgefühl in Blau-Weiß nicht erste Risse bekommen. „Unsere Fans haben uns in dieser Saison fantastisch unterstützt“, sagt Babbel denn auch: „Wir wollen dieses Vertrauen mit einem Derby-Sieg zurückzahlen.“
Einer Herausforderung ganz anderer Art sehen sich die Unioner gegenüber. Denn bei den Köpenickern wird es in erster Linie darum gehen, mit dieser Kulisse erst einmal klar zu kommen. Dafür sei sicher „auch ein Stück Erfahrung“ nötig, weiß Trainer Neuhaus. Erfahrung, die seine Schützlinge bislang jedoch noch nicht gemacht haben. Einzig Schlussmann Marcel Höttecke durfte im Tor von Borussia Dortmund einmal erleben, wie es ist, vor einer vergleichbaren Kulisse zu spielen – mit dem Unterschied, dass die absolute Mehrheit seine Mannschaft angefeuert hat. Dies wird am Samstag anders sein.
„Für viele Spieler ist es eine einmalige Gelegenheit“, sagt Neuhaus. Und fordert: „Sie müssen sich einfach auf das konzentrieren, was auf dem Platz passiert, und nicht auf das Drumherum.“ Leichter gesagt als getan, vor allem für die gebürtigen Berliner in den Reihen des Tabellen-13. „In erster Linie ist es schön, auch mal im Olympiastadion zu spielen, vor ausverkauftem Haus, da passt eigentlich alles“, sagt zum Beispiel Christian Stuff.
Klar ist jedoch auch: Wer Samstag zu viel und zu lange über die Atmosphäre staunt, wird sich schnell auch darüber wundern, wie einfach es dem Gegner gelungen ist, ein Tor zu erzielen. Genau das, einen schnellen Gegentreffer, wollen die Unioner mit aller Macht verhindern. Zumindest der Kapitän ist überzeugt, dass dies nicht passieren wird. „Man muss niemanden extra motivieren. Wer sich auf das Spiel nicht freut, ist hier fehl am Platz“, sagte Torsten Mattuschka. Dass sich seine Hoffnung nun erfüllt, „dass ich da mal ein Pflichtspiel bestreiten darf“, kann und will allerdings auch der gebürtige Cottbuser nicht verhehlen.
Es ist bezeichnend für die rot-weiße Gefühlslage, dass der Trainer seine Mannen speziell auf dieses Derby vorbereiten wird. „Ich habe da schon was vor“, sagte Neuhaus. So dürfen die Spieler, anders als bei anderen Auftritten in der Fremde, die Nacht vor dem Spiel zu Hause verbringen. Das Prozedere soll den Eindruck eines Heimspiels vermitteln und seinem Team die nötige Sicherheit geben.
Sicherheit, die Union aber auch dem Kontrahenten geben will. Folglich spielt Neuhaus die Karte des Außenseiters weiter gekonnt aus – und lässt in Sachen Aufstellung alle Optionen offen. „Unsere personelle Situation ist weiter sehr angespannt. Welche Elf spielen wird, entscheidet sich erst am Spieltag selbst.“ Wobei durchaus mehr als vermutet werden darf, dass der 51-Jährige über seine Startformation schon mehr Bescheid weiß, als er öffentlich machen will.
Auch Markus Babbel kennt das Spiel, sich vor einer wichtigen Begegnung nicht in die Trainer-Karten schauen zu lassen, offenbar genau. Wieviel er über den morgigen Gegner weiß, wurde der 39-Jährige gefragt. „Ich weiß schon einiges über die Stärken und Schwächen bei Union, aber die werde ich nur der Mannschaft verraten.“ Was folgte war Ruhe. Die Ruhe vor dem Derby-Sturm.
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