Der Bundestrainer opfert am Freitag in Kiew sogar sein Lieblingssystem, um die perfekte Mannschaft zu finden. Zwei Kandidaten fehlen jedoch.
Entspannt sah Joachim Löw aus, als er am Dienstag im Mannschaftshotel in Hamburg eintraf. Schwebenden Schrittes kam er daher, die schwarze Haarpracht verwegen gekämmt.
Wie könnte es ihm auch besser gehen? Die Qualifikation zur Europameisterschaft 2012 hat er mit dem Rekordergebnis von zehn Siegen aus zehn Spielen abgeschlossen. Hochbegabte Jungprofis wie Mario Götze, Marco Reus oder Sven Bender stehen Schlange. Und während sich Mannschaften wie Portugal, Tschechien oder die Türkei Freitag und Dienstag durch die Relegation quälen müssen, kann der Bundestrainer ganz relaxt gegen die Ukraine und die Niederlande testen. Nicht einmal das Donnergrollen im Deutschen Fußball-Bund (DFB), dessen Funktionäre sich wieder einmal auf Nebenkriegsschauplätzen austoben und mit steuerscheuen Schiedsrichtern sowie dem Querulanten Manfred Amerell herumschlagen müssen, dringt bis in die heile Welt der deutschen Nationalmannschaft durch.
Löw kann sich sogar um die hohe Diplomatie kümmern. Er hat Kapitän Philipp Lahm nicht nominiert für die beiden Länderspiele und damit den FC Bayern gebauchpinselt, dessen Bosse gern und oft gegen Testländerspiele wettern, die ihren Profis anschließend in der Bundesliga in den Beinen stecken. Auch Manuel Neuer, der Münchener Torwart, wird nur zum zweiten Spiel anreisen, in der Ukraine am Freitag dürfen Tim Wiese und Ron-Robert Zieler beweisen, dass sie gute Ersatzleute sind.
Vor allem aber sind die beiden Partien für Löw wertvolle Experimente. Wie Rennmechaniker an ihren Boliden werkeln auch Fußballtrainer unablässig an dem System ihres Teams. Löw hat das perfekte Setup gefunden. Das 4-2-3-1 funktioniert so gut wie Sebastian Vettels Formel-1-Auto: Vor der Viererabwehr kurbeln zwei Defensive (im Idealfall: Schweinsteiger und Khedira, alternativ: Kroos oder Sven Bender) das Spiel an. Davor verteilt der Spielgestalter (Özil) den Ball auf die offensiven Außenspieler (Podolski links, Müller rechts, alternativ Reus oder Götze), die wiederum den Mittelstürmer (Klose oder Gomez) mit Flanken bedienen.
Doch wie beim Autorennen kann es Umstände geben, unter denen das Erfolgsmodell angepasst werden muss. Was in der Formel 1 Regen ist oder Hitze, kann beim Fußball eine spezielle Formation des Gegners sein – oder der Ausfall eigener Schlüsselspielern. Nicht zu vergessen sind die Gefahren, die ein eingeschliffenes System mitunter birgt. „Gewisse Automatismen sitzen bei uns schon so gut wie bequeme Turnschuhe. Aber ich werde die Chance wahrnehmen, personelle und taktische Experimente bei den Tests vorzunehmen. Ich warne vor Selbstzufriedenheit. Größenwahn ist nicht angebracht“, sagt Löw und macht sich auf in den Kampf gegen Behäbigkeit.
Ursprünglich hatte sich der Bundestrainer deswegen fest vorgenommen, seine beiden Torgaranten endlich gemeinsam spielen zu lassen. Denn es ist ja ein Jammer, dass Löws Lieblingssystem nur Platz für einen echten Stürmer bietet, während Deutschland über zwei der weltbesten Angreifer verfügt: Mario Gomez und Miroslav Klose.
Gomez war in der vergangenen Saison mit 28 Treffern bester Torschütze der Bundesliga, und in dieser Saison scheint er diesen Wert noch einmal überbieten zu können: Bislang stehen für ihn 13 Tore aus elf Spielen zu Buche. Klose hingegen hat in seinem ersten Jahr bei Lazio Rom bereits unsterblich gemacht, als er in der Nachspielzeit des Stadtderbys den Siegtreffer gegen den AS Rom erzielte. „Il panzer“ nennen ihn die Tifosi, und was in Deutschland eher auf Übergewicht des Benannten schließen ließe, ist in Italien das denkbar größte Kompliment. Nur mit einem Tor Rückstand auf Udinese Calcio nimmt Lazio derzeit Platz zwei der Serie A ein, mit sechs Treffern aus zehn Spielen ist Klose drittbester Torschütze der italienischen Eliteliga.
In mindestens einem der beiden Testspiele wollte Löw die Doppelspitze loslassen, hatte er angekündigt – doch dieser Plan ist zumindest für das Ukraine-Spiel außer Kraft gesetzt. Klose ist mit einer Sehnenentzündung im Knie angereist und wird frühestens am Dienstag gegen die Niederlande mitspielen können. Das gleiche gilt für Marco Reus, der eine Magen-Darm-Grippe hat und zum fünften Mal bei sieben Nominierungen absagen muss. Nun hofft Löw, zumindest gegen die Niederlande Gomez und Klose gemeinsam aufbieten zu können.
In Kiew wird er nun zumindest Mesut Özil und Mario Götze gemeinsam im Mittelfeld aufbieten. Die beiden galten bislang wegen ihrer ähnlichen Spielanlagen als wenig kompatibel.
Taktische Variabilität ist aber wichtig für die deutsche Mannschaft. Zwar spielt sie in besagtem Ein-Stürmer-System bisher am erfolgreichsten, es macht das Team allerdings auch leicht ausrechenbar. Die gegnerischen Trainer wissen automatisch, was sie erwarten wird – und können ihre Spieler präzise darauf einstellen. Ist eine Mannschaft aber in der Lage, auch nach Plan B zu spielen, wird sie weniger berechenbar.
Nach derlei kleinen Vorteilen muss Löw suchen, wenn er im kommenden Sommer das große Duell mit Widersacher Spanien bestehen will: „Bei der Europameisterschaft wollen wir angreifen. Wir haben aufgeholt und können die Spanier besiegen. Im Moment haben wir die Qualität dazu.“ Und der Bundestrainer kann die Konzentrationsfähigkeit seiner Mannschaft testen. Für gewöhnlich nimmt die zum Jahresende ab: Sieben Jahre liegt es zurück, dass der DFB-Auswahl im abschließenden Länderspiel des Jahres ein Erfolg gelang – damals ein 5:1 in Thailand.