Berlin. Geher Christopher Linke freut sich auf den 20-Kilometer-Wettbewerb am Breitscheidplatz, weil er dort Vorurteile ausräumen kann.

Christopher Linke lächelt, er hat die Frage schon oft gehört: Ist Gehen nicht ungesund? Es sieht ja tatsächlich etwas merkwürdig aus, wie die Geher mit den Hüften wackeln – aber ist es deshalb medizinisch bedenklich? „Im Gegenteil“, sagt Linke. „Es ist eine runde, geschmeidige Bewegung. Wie bei einer schönen Frau, die Absatzschuhe trägt und mit dem Hintern wackelt. Und da würde doch auch niemand behaupten, dass sie Hüftprobleme hat.“ Einen Unterschied gibt es allerdings: Die Frau in Stöckelschuhen zieht Blicke auf sich. Dagegen sind die Geher froh, wenn jemand mal Notiz von ihnen nimmt.

Linke kritisiert fehlende Aufmerksamkeit

Christopher Linke lächelt nun nicht mehr. Mit finsterer Miene beklagt er, dass seine Disziplin in den Medien so gut wie nicht stattfindet. Dass bei den Olympia 2016 in Rio, als der Potsdamer mit Rang fünf das beste Ergebnis eines deutschen Ausdauersportlers erreichte, im Fernsehen nicht eine einzige Sekunde davon übertragen wurde. Stattdessen lief drei Stunden lang Dressurreiten ohne deutsche Beteiligung. „Eine Schande“, meint Linke. „Andere fliegen im Vorlauf raus und kriegen lange Interviews.“

Umso mehr freut er sich auf die Wettbewerbe in Berlin. Am Sonnabend stehen die Geher hier im Rampenlicht: Das 20-Kilometer-Rennen findet wie schon das über 50 Kilometer mitten in der Innenstadt rund um den Breitscheidplatz statt – mit Linke als Medaillenkandidat. So bekommen jene Menschen, die sonst kaum mit der Leichtathletik zu tun haben, ein Gefühl davon, wie rasant es beim Gehsport zugeht.

Gehen ist eine komplexe Disziplin

Es ist eine komplexe Disziplin und hat nichts mit Nordic Walking zu tun, auch wenn dieser Vergleich fälschlicherweise immer wieder gezogen wird. Christopher Linke erinnert sich an einen gemeinsamen Lehrgang mit Athleten aus anderen Sportarten, allesamt Weltklasseleute. Jeder sollte seine Disziplin vorstellen. „Ich habe gedacht, ich lasse sie einfach einmal einen Kilometer gehen, jeder in seinem Tempo. Aber keiner hat auch nur zwei Runden durchgehalten“, sagt Linke.

Das habe manch einem doch die Augen geöffnet, wie anspruchsvoll das Gehen ist. Trotzdem fristet der Sport hierzulande ein Schattendasein. Linke hat nicht mal einen Ausrüstervertrag, muss Schuhe und Klamotten aus eigener Tasche bezahlen. Aber warum hat es das Gehen so schwer? Da ist zum einen das Dopingproblem – gerade in dieser Disziplin gab es in der Vergangenheit besonders viele Fälle. Zum anderen wird das Gehen in der Trainerausbildung nur knapp abgehandelt, weshalb sich viele Übungsleiter damit schlicht nicht auskennen. Dadurch gehen viele Talente verloren. Die Folge: In Deutschland gibt es aktuell nur etwa 300 aktive Geher.

Dann ist da noch das Klischee, dass derjenige, der als Läufer den Durchbruch nicht schafft, ja noch Geher werden kann. Es impliziert, dass Gehen zweitklassig ist, weshalb viele Läufer lieber aufhören, anstatt sich in dieser Disziplin zu versuchen. Auch Christopher Linke war zunächst Läufer, doch erst im Gehen hat er seine Berufung gefunden. Bei der EM 2014 war er Fünfter, ebenso 2016 bei Olympia und bei der WM 2017. Was jetzt noch fehlt, ist eine internationale Medaille. In Berlin will der 29-Jährige endlich aufs Treppchen gehen.

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