Berliner Morgenpost: Frau Ministerin, Sie haben wieder und wieder an die Risiken eines neuen NPD-Verbotsverfahrens erinnert. Jetzt kommt es doch, die Länder haben sich zu einem neuen Anlauf beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entschlossen. Wie ist Ihnen zumute?
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Die Innenminister wollen ein politisches Signal setzen – und blenden dabei ihre eigenen Zweifel aus. Ich habe schon verwundert zur Kenntnis genommen, dass aus den Ländern von einer 50-zu-50-Wahrscheinlichkeit gesprochen wird. Ich empfehle einen nüchternen Blick auf das rein Juristische. Entscheidend ist doch die Frage: Sind die Erfolgsaussichten deutlich besser als beim ersten Anlauf?
Sind sie das nicht?
Die Risiken sind seit dem Scheitern des ersten Verbotsverfahrens nicht unbedingt geringer geworden. Ich bin skeptisch, ob die Erfolgsaussichten gestiegen sind. Es reicht ja nicht, irgendwelche Hetzschriften zu sammeln, um die Verfassungsfeindlichkeit dieser Partei zu belegen. Vielmehr muss eine aggressiv, aktiv kämpferische Haltung gegen unsere Verfassungsordnung nachgewiesen werden. Das bedeutet, dass Mitglieder der NPD und ihre Anhänger die freiheitlich-demokratische Grundordnung aktiv beseitigen wollen und nicht bei der Kritik stehen bleiben. Das ist eine Hürde, die genommen werden muss. Dies wäre zweifelsfrei der Fall, wenn man die NSU-Mordserie der NPD zurechnen könnte.
Das erste Verfahren ist gescheitert, weil etliche V-Leute des Verfassungsschutzes in der Führungsebene der Partei waren.
Auch das V-Leute-Problem ist für mich noch nicht sicher ausgeräumt. Es sind im Lauf des Jahres wohl V-Leute abgeschaltet worden. Aber ob das gesamte Material von Informanten des Verfassungsschutzes unbeeinflusst ist, wollen nur wenige Länder garantieren. Ich weiß nicht, aus wie vielen Ländern überhaupt Material gekommen ist – und ob die Länder, die besonders laut ein neues Verbotsverfahren fordern, tatsächlich geliefert haben. Ich kann nur warnen: Der frühere Bundesinnenminister Schily ist in Karlsruhe kläglich gescheitert.
Sie empfehlen der Bundesregierung also, den Verbotsantrag der Länder nicht zu stützen.
Der Bundesinnenminister, der den besten Einblick in das Material hat, ist nach wie vor sehr skeptisch. Und ich teile diese Skepsis. Die Bundesregierung ist gut beraten, sich eine eigene Meinung zu bilden. Die Bundesregierung muss sich einem NPD-Verbotsantrag des Bundesrates nicht zwangsläufig anschließen. Im Übrigen gibt es auch im Bundestag große Zweifel. Die FDP-Bundestagsfraktion hat schon beim ersten Verbotsverfahren nicht mitgestimmt.
Die FDP stand damals mit dieser Haltung ziemlich alleine da.
Es geht darum, der Verantwortung gerecht zu werden, die man bei Parteienverboten hat. Niemand sollte sich fragen, ob er im Wahlkampf besser dasteht, wenn er einen NPD-Verbotsantrag unterstützt. Das wäre unverantwortlich. Im Übrigen sind auch in der Union und bei den Grünen kritische Stimmen laut geworden.
Der Kampf gegen den Rechtsextremismus könnte einfacher werden, wenn es die NPD nicht mehr gibt.
Nein. Unterstellt, das Verbotsverfahren wäre erfolgreich: Die rund 6000 NPD-Mitglieder können leicht in anderen rechtsextremistischen Organisationen unterkommen oder neue Gruppierungen ins Leben rufen. Laut Verfassungsschutzbericht sind über 22.000 Bürger in rechtsextremen Gruppierungen organisiert. In Nordrhein-Westfalen gründet sich bereits eine Formation, die sich „Die Rechte“ nennt. Das Denken ist doch nicht weg, wenn man eine Partei verbietet. Mich treibt eines sehr um: Man macht ein neues NPD-Verbotsverfahren, weil man zeigen will, dass man alles tut gegen Rechtsextremismus. Und das ist fatal. Die Terrorzelle NSU hat zehn Jahre lang ungehindert gemordet. Kommen wir da weiter mit einem Verbot? Das ist doch kein Erfolg gegen den Rechtsextremismus! Eine Organisationshülle fällt weg – nicht mehr und nicht weniger.
Die NPD hat bereits angekündigt, vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen ein Verbot in Deutschland zu klagen. Ist das ein aussichtsreiches Unterfangen?
Der Menschenrechtsgerichtshof hat sich mehrfach mit solchen Fragen befasst – und auch schon Parteienverbote in europäischen Staaten aufgehoben. Das wird eine sehr kritische zweite Prüfung, die wir bei unserer Entscheidung in Deutschland im Blick haben müssen.
Haben Sie allgemein den Eindruck, dass aus der Mordserie der Terroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) mit zehn Toten zwischen 2000 und 2007 die falschen Schlüsse gezogen werden?
Es ist äußerst zaghaft, was da im Moment passiert. Eine grundlegende Reform der Sicherheitsarchitektur bleibt für mich ganz oben auf der Agenda. Wir brauchen effektivere Strukturen. Dazu müssen wir Verfassungsschutzämter der Länder zusammenlegen – und den Militärischen Abschirmdienst auflösen. Genauso wichtig ist es, die Frühwarnsysteme in unserer Zivilgesellschaft zu verbessern. Wir müssen mehr tun im präventiven Bereich.
Nämlich was?
Aussteigerprogramme sind das wichtigste Beispiel. Es geht darum, möglichst viele Menschen herauszubrechen aus ihrem rechtsextremen Umfeld. Wir sollten die Strukturen vereinheitlichen und ein gemeinsames Exit-Programm von Bund und Ländern schaffen, das beispielsweise vom Bundeskriminalamt koordiniert wird. Darüber hinaus sollten wir uns vornehmen, im Bundeskanzleramt einen Staatsminister für Extremismusprävention einzurichten – genauso wie Frau Böhmer für Integration zuständig ist. Das ist vielleicht eine Aufgabe für die nächste Wahlperiode.