Der Berliner Klinikbetreiber Vivantes strebt eine außergerichtliche Einigung mit der entlassenen Altenpflegerin Brigitte Heinisch an und hat ihr 70.000 Euro angeboten. „Wir wollen einen Rechtsfrieden mit Frau Heinisch erreichen“, sagte Sprecherin Kristina Tschenett am Dienstag in Berlin. Heinisch hatte Strafanzeige gegen ihren Arbeitgeber Vivantes erstattet, weil das Unternehmen zu wenig Personal habe und deshalb nicht in der Lage sei, die Bewohner eines Pflegeheims ausreichend zu versorgen. Daraufhin wurde ihr gekündigt. Vivantes kündigte außerdem an, die Mitarbeiter besser über Beschwerdemöglichkeiten zu informieren.
Spätestens seit dem 21. Juli dürfen sogenannte Whistleblower (Tippgeber, Flüsterer) auch in Deutschland auf richterlichen Schutz zählen. An diesem Tag hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg entschieden, dass die Entlassung der Berliner Altenpflegerin Brigitte Heinisch nicht rechtens war. Die Frau hatte auf Pflegemängel an ihrem Arbeitsplatz hinweisen wollen.
Heinisch hatte nicht nur Einzelheiten der Zustände an ihrem Arbeitsplatz notiert, sondern zeigte Ende 2004 auch ihren Arbeitgeber wegen besonders schweren Betruges an. Dabei handelte es sich um den Berliner Klinikkonzern Vivantes, an dem das Land mit einer Mehrheit beteiligt ist. Heinischs Angaben zufolge erhielten 2003 und 2004 Pflegebedürftige und ihre Angehörigen wegen Personalmangels keine angemessene Gegenleistung für die von ihnen getragenen Kosten. Staatsanwaltschaftliche Ermittlungen erbrachten jedoch keine Ergebnisse und wurden im Januar 2005 eingestellt.
Deutsche Gerichte lehnten Wiedereinstellung ab
2005 wurde Heinisch von Vivantes entlassen. Eine erste Kündigung stellte ihr das Unternehmen im Januar 2005 zum März wegen „erheblicher krankheitsbedingter Fehlzeiten“ aus. Im Februar des Jahres wurde eine „verhaltensbedingte außerordentliche Kündigung“ nachgeschoben. Damit bezog sich Vivantes auf die Strafanzeige Heinischs gegen das Unternehmen. Eine weitere Kündigung bekam Heinisch im April 2005 wegen „verleumderischer Äußerungen“ in der Zeitung „Neues Deutschland“.
Bis zur Entscheidung auf europäischer Ebene musste sich Heinisch durch die Instanzen deutscher Gerichte kämpfen – erfolglos. Diese hatten eine Wiedereinstellung abgelehnt. Heinisch war zuletzt vor dem Bundesarbeitsgericht und dem Bundesverfassungsgericht gescheitert. Daher stand die Bundesrepublik vor dem EGMR. Erst in Straßburg billigten ihr die Richter zu, im Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt worden zu sein.
Vivantes hat Gespräche über Wiedereinstellung angeboten
Die Bundesrepublik Deutschland müsse ihr eine Entschädigung in Höhe von 10.000 Euro und zudem 5.000 Euro für die entstandenen Kosten zahlen, urteilte der EGMR. Heinischs Anwalt Benedikt Hopmann will am 22. Oktober 2011, einen Tag nachdem das Urteil rechtskräftig ist, ein Wiederaufnahmeverfahren vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg anstrengen (LAG). Das LAG hatte im März 2006 die Kündigungen gegen Heinisch für rechtens erklärt. Gegner ist dann wieder Vivantes.
Inzwischen hat Vivantes dem Anwalt Hopmann Gespräche über eine mögliche Wiedereinstellung Heinischs angeboten.