Wie formulierte es Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) jüngst in der ihr eigenen Art vor der versammelten Hauptstadtpresse? „Wir haben weiter viel zu tun.“ Ja, so kann man es ausdrücken. Denn in der Tat hat die schwarz-gelbe Koalition einige Projekte, die im Koalitionsvertrag verabredet waren, liegen gelassen – insbesondere die versprochene große Steuerreform. Andere Aufgaben wie die Energiewende sind noch lange nicht über den Berg und müssen in jedem Fall weiterverfolgt werden, auch wenn die Wähler sich jetzt für eine anders zusammengesetzte Regierung entscheiden sollten. Die Berliner Morgenpost nennt wichtige Politikfelder, auf denen in den nächsten vier Jahren Handlungsbedarf besteht:
Steuern und Entlastungen
Zwar wurden die Deutschen (insbesondere die Familien) von der Regierung Merkel durch die Erhöhung des Kindergeldes, den höheren Kinderfreibetrag sowie die Abschaffung der Praxisgebühr und die schrittweise Senkung der Rentenversicherungsbeiträge tatsächlich entlastet. Aber die als besonders ungerecht aufgefasste „kalte Progression“ gibt es immer noch unverändert. Sie führt dazu, dass Steuerzahler trotz Lohnerhöhungen unter Umständen weniger Geld als vorher in der Tasche haben, weil das zusätzliche Einkommen durch automatische Steuererhöhung und Inflation wieder aufgefressen wird. Die Bundesregierung hat sich hierüber mit dem von SPD und Grünen dominierten Bundesrat nicht einigen können, die Reform wird bislang in der Länderkammer blockiert.
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Da gibt es Schlichtungsbedarf. Dazu kommt die von Experten seit Jahren angemahnte, aber nicht in Angriff genommene ernsthafte Vereinfachung des Steuerrechts mit mehr Pauschalregelungen sowie einer Reduktion von Berichtspflichten und Bürokratie. Bei der Gewerbe-, Unternehmens- und Mehrwertsteuer gibt es weiter ein undurchschaubares Dickicht aus verschiedenen Steuersätzen. In diesen Bereichen könnte sich eine große Koalition womöglich leichter einigen, da dann die Blockadesituation im Bundesrat aufbräche.
Euro-Rettung
Die Notlage der Gemeinschaftswährung war im Wahlkampf kein so dominantes Thema, wie man erwarten konnte. Das lag auch am vorherrschenden Eindruck, dass die Bundeskanzlerin die Sache als Europas oberste Krisenmanagerin im Griff hat. Doch spätestens seit der offenherzigen Ankündigung ihres Finanzministers Wolfgang Schäuble (CDU), dass es für Griechenland „noch einmal ein neues Paket“ geben muss, ist klar, dass bereits kurz nach der Wahl über neue Hilfen für Hellas verhandelt werden wird.
Das laufende Programm weist eine Finanzierungslücke auf, die vom Internationalen Währungsfonds (IWF) auf mehr als zehn Milliarden Euro beziffert wird. Das Land kommt alleine weiterhin auf keinen grünen Zweig, der Schuldenstand Athens liegt inzwischen bei 160 Prozent der Wirtschaftsleistung. Da frische Kredite hier keine Abhilfe schaffen, wird hinter den Kulissen über einen Schuldenschnitt der Staatengemeinschaft diskutiert. Als wahrscheinlicher gelten aber Entlastungen, die nur Schritt für Schritt gewährt werden, um den Reformdruck auf die Griechen aufrechtzuerhalten. Hierzu müssen nicht zwingend Kredite abgeschrieben werden, man könnte auch die Laufzeiten der Darlehen verlängern oder weniger Zinsen verlangen. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird Deutschland jedenfalls auf Forderungen verzichten müssen – für die neue Bundesregierung muss es darum gehen, diese Verluste so gering wie möglich zu halten. Doch auch Irland, Portugal, Spanien und Zypern bleiben Euro-Brandherde. Rufe nach neuen Hilfen könnten zum Dauerzustand werden. Auch wird es neue Debatten darum geben, ob mehr Kompetenzen nach Brüssel abzugeben sind. Was die Geldinstitute betrifft, so hat sich Schwarz-Gelb bislang mit juristischen Argumenten gegen die Schaffung einer Bankenunion gewehrt. Die Regierung Merkel will die Bankenrettung auf nationaler Ebene organisieren, um zu verhindern, dass am Ende mit deutschem Geld spanische Institute gerettet werden müssen. Hauptstreitpunkt ist, ob es zu einer gemeinsamen Haftung für die Altschulden der Banken kommen soll. Bei einer Übertragung der Kompetenzen an die EU könnte Deutschland es nicht mehr verhindern.
Energiewende
Es gibt keine Partei, die in ihrem Wahlprogramm darauf verzichtet, in großen Worten die Wichtigkeit des Abschieds von der Kernenergie zu proklamieren. Doch der Umbau der Energieversorgung bleibt eine Großbaustelle. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) mahnt bereits einen 100-Tage-Fahrplan an. Zentrale Probleme sind die explodierenden Strompreise, die nicht nur die Privatkunden, sondern auch Teile der Wirtschaft belasten, sowie die Versorgungssicherheit. Doch wie das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) reformiert werden könnte, darüber scheiden sich die Geister. Die Wochenzeitung „Die Zeit“ prophezeite: „Bei der Energiewende herrscht nur noch Chaos. Bleibt es nach der Wahl dabei, endet das Vorhaben in einem Debakel.“
Sicherheit
Die Enttarnung der Mordserie der Neonazi-Gruppe NSU, die jahrelang unbehelligt von Sicherheitsbehörden agierte, hat die Notwendigkeit von Reformen bei Polizei, Staatsanwaltschaft und Verfassungsschutz deutlich werden lassen. Das ist Aufgabe des Parlaments, aber auch der Bundesregierung. Insbesondere der Verfassungsschutz, bei dem 16 Landesämter nebeneinanderher operierten, braucht eine Rosskur. Diskutiert wird eine radikale Zusammenlegung. Auch die Internetkriminalität und der Datenschutz der Bürger werden (nicht zuletzt durch die Enthüllung der Spionageaktivitäten der Amerikaner) Großthemen in der nächsten Legislaturperiode. Der Dauerstreit über die Regelung der Vorratsdatenspeicherung muss beendet werden.
