In der Oppositionshochburg Homs sind eine amerikanische Kriegsreporterin und ein französischer Fotograf ums Leben gekommen. Die USA sollen erwägen, die Rebellen zu bewaffnen.
Noch wenige Stunden vor ihrem Tod hat die US-Journalistin Marie Colvin im britischen Sender BBC davon gesprochen, was sie derzeit während des Dauerbeschusses durch syrische Truppen in der Protesthochburg Homs miterlebt. „Es ist absolut widerwärtig“, sagte die Redakteurin der "Sunday Times".
„Ich habe heute ein kleines Baby sterben sehen, einen Zweijährigen – ein Schrapnell hatte ihn links in der Brust getroffen, und der Doktor sagte: 'Ich kann nichts tun.' So etwas geschieht hier immer wieder und wieder und wieder.“
Marie Colvin und der französische Fotograf Rémi Ochlik kamen am Mittwochmorgen in dem belagerten Stadtviertel Bab Amro in Homs ums Leben. Die Streitkräfte hatten offenbar mit Raketen auf das Gebäude geschossen, in dem sich die Journalisten aufhielten. Auch sieben syrische Aktivisten sollen während des Angriffs gestorben sein.
Colvin und Ochlik starben in Trümmern eines Hauses
Paul Conroy, ein britischer Fotograf, der mit Colvin zusammenarbeitete, und Edith Bouvier, eine französische Reporterin der Zeitung Le Figaro, wurden verletzt. „Dieses Haus war so etwas wie ein provisorisches Medienzentrum. Einige Journalisten waren dort untergebracht, und Aktivisten, die mit den Medien zusammenarbeiten “, sagt Abu Bakr, ein Aktivist, der den Angriff überlebt hat.
„Wir haben noch geschlafen. Dann, gegen sechs Uhr früh, hörten wir plötzlich 20, 25 Explosionen. Die Türen brachen ein, alle Fenster zersplitterten.“ Es gelang Abu Bakr, zu fliehen und sich in einem Gebäude auf der anderen Seite zu retten.
Marie Colvin und Rémi Ochlik aber starben in den Trümmern. Paul Conroy und Edith Bouvier werden derzeit in einem der notdürftigen Feldlazarette behandelt, die die Aktivisten in Bab Amro eingerichtet haben. Die französische Reporterin soll in kritischem Zustand schweben.
"Marie erlebte den Krieg mit denen, die unter dem Krieg litten"
Die Mittfünfzigerin Marie Colvin zählte zu den prominentesten Kriegsjournalisten der Welt. Seit mehr als 30 Jahren hat die Amerikanerin für die britische "Sunday Times" aus zahlreichen Konfliktzonen im Nahen Osten und Asien berichtet, unter anderem über den Israel/Palästina-Konflikt, aus Ost-Timor, Irak und Tschetschenien. Ihr Mut, an Orte zu gehen, an die sich sonst niemand wagt, machte sie in Großbritannien zu einer Legende.
2001 kostete sie eine Schrapnell-Verletzung in Sri Lanka ein Auge. Seither zeigte sie sich in der Öffentlichkeit stets mit einer schwarzen Augenklappe. „Für Marie ging es bei der Kriegsberichterstattung nicht darum, ein paar Interviews zu führen und eine schnelle Geschichte zu schreiben“, sagt Peter Bouckaert, Emergency Director bei der Organisation Human Rights Watch, der sie persönlich kannte.
„Sie erlebte den Krieg mit denen, die unter dem Krieg litten. Deshalb war ihren Beiträgen eine besondere Lebendigkeit eigen.“
Vier Journalisten in zwei Wochen getötet
Auch Rémi Ochlik war mit 28 Jahren bereits ein erfahrener Kriegsberichterstatter. In diesem Monat ist er für seine Arbeit in Libyen mit einem World Press Photo Award ausgezeichnet worden. Der Tod der beiden macht wieder einmal deutlich, welche Risiken Journalisten derzeit auf sich nehmen, um aus Syrien berichten zu können.
Erst in der vergangenen Woche ist Anthony Shadid, zweifacher Pulitzer-Preisträger und Nahost-Korrespondent der New York Times, in Nordsyrien an einem Asthma-Anfall gestorben. Am Mittwoch kam während des Bombardements in Bab Amro auch der bekannte Bürgerjournalist Rami al-Sayed ums Leben.
Der 26-Jährige hatte die Gewalt auf den Straßen in seiner Heimatstadt gefilmt und im Internet verbreitet. Es war ihm sogar gelungen, einen Livestream einzurichten, über den das Bombardement zeitweise im Internet verfolgt werden konnte.
Lebensgefährlicher Kampf um neutrale Berichterstattung
Seit dem Beginn des Aufstandes gegen das Assad-Regime im März 2011 lässt Syrien keine ausländischen Journalisten mehr einreisen. Vereinzelt aber haben sich Reporter in den vergangenen Monaten von Schmugglern aus den Nachbarländern über die Grenze bringen lassen.
Was sie tun ist lebensgefährlich, doch ihre Arbeit hat eine ganz erhebliche Bedeutung: Denn die überwiegende Mehrheit der Journalisten muss sich bei der Berichterstattung über Syrien auf die Aussagen und Bilder verlassen, die die Oppositionellen selbst übermitteln.
Doch Aktivisten sind keine neutralen Quellen, und was sie schildern, lässt sich oft nicht prüfen. Daher liefern die Berichte der unabhängigen Reporter, die illegal einreisen, wertvolle Einblicke aus erster Hand in die belagerten Städte.
Rotes Kreuz warnt vor humanitärer Katastrophe
Die Streitkräfte des Regimes haben ihre Angriffe auf das Viertel Bab Amro in dieser Woche offenbar erneut verstärkt. Das tägliche Bombardement in den Wohnsiedlungen hat bereits Hunderte Todesopfer gefordert. Die Versorgungslage hat sich mittlerweile dramatisch zugespitzt, laut Rotem Kreuz droht eine humanitäre Katastrophe.
„Die Panzer haben Bab Amro von allen Seiten umzingelt. Manchmal versuchen sie, vorzurücken, aber das lassen wir nicht zu“, sagt Abu Thaer, ein desertierter Oberstleutnant aus Homs, der jetzt auf Seiten der „Freien Armee Syriens“ kämpft. „Doch wir beschränken uns auf die reine Verteidigung des Viertels, weil wir nur leichte Waffen und viel zu wenig Munition haben.“
Die beispiellos brutale Offensive in Homs hat inzwischen auch den Syrischen Nationalrat (SNC), dem wichtigsten Bündnis syrischer Oppositioneller im In- und Ausland, zum Umdenken gebracht. Am Mittwoch sagte das SNC-Führungsmitglied Basma Kodmani vor Journalisten in Paris, ein militärisches Eingreifen zeichne sich als die einige Lösung für den Konflikt in Syrien ab.
Bislang hatte der Nationalrat sich stets gegen eine internationale Intervention ausgesprochen. „Es gibt zwei Übel“, sagte Basma Kodmani nun: „eine Militärintervention oder ein sich hinschleppender Bürgerkrieg.“
USA sollen Bewaffnung der Rebellen erwägen
Die amerikanische Regierung erwägt offenbar inzwischen zumindest die Bewaffnung der Freien Armee Syriens. Zwar wolle Washington nicht zu einer weiteren Militarisierung des Konflikts beitragen, sagte der Sprecher des Weißen Hauses, Jay Carney.
„Wir denken immer noch, dass eine politische Lösung das ist, was wir brauchen“, so der Regierungssprecher. Allerdings würden andere Möglichkeiten nicht mehr ausgeschlossen, sofern sich die internationale Gemeinschaft nicht auf geeignete Schritte einigen kann.