Berlin. Mediziner und Pflegekräfte des Universitätsklinikums leisten freiwillige Dienste in der ehemaligen Polizeikaserne

Behutsam erklärt Thomas Schlabs der besorgten Mutter, dass ihre Tochter stark erkältet ist und ein Medikament nehmen muss. Die Frau kommt aus Syrien, sie gehört zu den rund 1700 Flüchtlingen, die derzeit auf dem Gelände der früheren Schmidt-Knobelsdorf-Kaserne in Spandau untergebracht sind. Schlabs ist Kardiologe an der Charité, arbeitet eigentlich in der Rettungsstelle des Virchow-Klinikums. Doch an diesem Vormittag versieht der junge Arzt seinen Dienst in der ehemaligen Polizeikaserne – freiwillig, versteht sich.

Seit Donnerstag vergangener Woche übernimmt die Charité die medizinische Basisversorgung für Kinder und Jugendliche an der Spandauer Erstaufnahmeeinrichtung. Knapp 200 Ärzte und Pflegekräfte haben sich binnen weniger Tage bereit erklärt, an dieser Aufgabe mitzuwirken. „Die Bereitschaft unserer Mitarbeiter, sich zum freiwilligen Dienst zu melden, war überwältigend“, berichtete Joachim Seybold, stellvertretender Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums, am Montag. Seybold koordiniert die Aktion „Charité hilft“. Stolz konnte er verkünden: „Der Dienstplan bis Weihnachten steht.“ Die Mitarbeiter trügen sich selbst in diesen Plan ein und sprächen sich mit Kollegen ab. Lücken in der klinischen Versorgung entstünden nicht, versicherte er.

Erkältungen und Erschöpfungssyndrome

Nun kann montags bis freitags, jeweils von 9 bis 17 Uhr, eine medizinische Ambulanz vor Ort angeboten werden. Ein Mediziner und eine Pflegekraft sind jeweils vier Stunden im Einsatz, vormittags hält ein Erwachsenenarzt Sprechstunde, nachmittags ein Kinderarzt. Die Charité-Mitarbeiter werden für diese Aufgabe freigestellt, viele, so Seybold, engagierten sich aber auch in ihrer Freizeit oder sogar im Urlaub für ihre neuen Patienten. Oft würden aus den vier Stunden doch einige mehr.

Die Charité-Mediziner nehmen keine systematischen Reihenuntersuchungen vor, ihr Angebot entspricht einer allgemeinmedizinischen Ambulanz. Viele der geflüchteten Kinder würden unter Erkältungs- oder Grippesymptomen leiden, erläuterte Seybold. Bei den Erwachsenen müssten oft Verletzungen und Erschöpfungssyndrome behandelt werden. Wird bei einem Patienten eine schwere Erkrankung diagnostiziert oder träten Probleme außerhalb der Sprechzeit auf, werde er vom Rettungsdienst ins Krankenhaus gebracht.

Bald auch Versorgung durch Zahnärzte

Das Universitätsklinikum stellt aber nicht nur das Personal für diese Grundversorgung, sondern geht auch bei Medikamenten und Hilfsmitteln wie Verbänden und Kompressen in die finanzielle Vorleistung. Ob diese Sachkosten später von der Senatsverwaltung übernommen werden, blieb am Montag offen. „Für uns steht die medizinische Versorgung im Mittelpunkt“, sagte der stellvertretende Ärztliche Direktor der Charité diplomatisch. Das Angebot solle in Kürze durch zahnärztliche und psychotraumatologische Behandlungsmöglichkeiten erweitert werden.

Am Montag informierte sich auch Sandra Scheeres (SPD), Wissenschaftssenatorin und Aufsichtsratsvorsitzende des Universitätsklinikums, über die Arbeit der Ärzte und Pflegekräfte. Die Senatorin hatte nach einem Besuch des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (Lageso) an der Turmstraße in Moabit vorgeschlagen, die Charité an der medizinischen Versorgung der Flüchtlinge zu beteiligen, und damit den Anstoß zu „Charité hilft“ gegeben.

Rund 50 Patienten pro Tag

Rund 50 Patienten pro Tag nehmen derzeit die Dienste der Charité-Mitarbeiter in Anspruch. Die Sozialarbeiter des Heimbetreibers Prisod weisen als erste Ansprechpartner der Flüchtlinge auf das Angebot hin. Unabhängig davon haben sie bereits ein Netzwerk von Arztpraxen und Krankenhäusern in der Umgebung aufgebaut, das die weitere medizinische Versorgung der Asylbewerber gewährleistet. Zudem hat das Gesundheitsamt Spandau damit begonnen, in einem der Zelte auf dem Gelände Flüchtlinge zu impfen. Dabei gehe es vor allem um eine Grundimmunisierung, erläuterte Joachim Seybold. Diese soll insbesondere Diphtherie, Hepatitis B, Keuchhusten, Kinderlähmung, Tetanus und Masern verhindern.

Die Charité-Sprechstunden müssen nicht in einem Zelt stattfinden. Dafür steht ein kleiner Raum zur Verfügung, in dem früher die Sanitätsstelle der Polizeikaserne untergebracht war. Die Gespräche zwischen Arzt und Patient werden meist auf Englisch geführt. Das Smartphone mit diversen Übersetzungsprogrammen liegt stets in Griffweite. Wenn es nötig ist, holen die Prisod-Mitarbeiter einen Dolmetscher. Vor allem Flüchtlinge aus Syrien, Pakistan, Afghanistan und dem Irak leben nun an der Schmidt-Knobelsdorf-Straße – rund 1000 Menschen in den alten Backsteinbauten, etwa 640 in den 71 Zelten, die auf dem Hof des Geländes aufgebaut wurden und inzwischen alle über eine Heizung verfügen.