Die Katastrophe zeichnete sich ab. Staatlich unterstützte islamische Gelehrte im Sudan hatten zu Massenprotesten nach den Freitagsgebeten gegen die hetzerische Billigproduktion „Unschuld der Muslime“, die den Propheten Mohammed herabwürdigt. Sudans Außenminister hatte öffentlich Bundeskanzlerin Angela Merkel für dafür kritisiert, vor einigen Wochen den Protest von rechtsradikalen Aktivisten vor einer Moschee im Berliner Stadtteil Wedding zugelassen zu haben. Einige der Demonstranten hätten Karikaturen des Propheten Mohammed auf Plakaten mit sich getragen. In der Stellungnahme des sudanesischen Außenministeriums hieß es: „Die deutsche Kanzlerin hat unglücklicherweise diesen Angriff auf den Islam gebilligt, der eine klare Verletzung aller Prinzipien der Koexistenz von Religionen und Toleranz zwischen Religionen widerspricht.“
Der sudanesische Außenminister kritisierte auch, dass die Kanzlerin vor zwei Jahren einen Preis an einen dänischen Cartoonisten verliehen hatte, der im Jahr 2005 Mohammed zum Gegenstand seiner Arbeit gemacht und damit weltweite gewaltsame Proteste ausgelöst habe.
Folgerichtig brachen etwa 5000 wütende Demonstranten nach den Gebeten am Freitag auf, um zunächst vor die deutsche und die britische Botschaft zu ziehen, später dann vor die US-amerikanische Vertretung. Das zahlenmäßig weit unterlegene Wachpersonal feuerte mit Tränengaspatronen auf die tobende Menge, die dennoch das Botschaftsgebäude angreifen und teilweise verwüsten konnte. Einige Demonstranten drangen auf das Botschaftsgelände vor, holten die deutsche Flagge ein, verbrannten sie und und hissten die islamische schwarze Flagge mit dem Glaubensbekenntnis „Es gibt keinen Gott außer Allah und Mohammed ist sein Prophet“.
Es gab keine Toten oder Verletzten, die deutsche Botschaft ist am Freitag normalerweise geschlossen. Nach Angaben des Auswärtigen Amts hielt sich Botschafter Rolf Welberts zum Zeitpunkt der Angriffe nicht auf dem Gelände auf. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) verurteilte in Berlin den aus den USA stammenden Schmäh-Film über den islamischen Propheten Mohammed, forderte aber zugleich ein Ende der Attacken auf westliche Botschaften in arabischen Ländern. Die Empörung über den Film könne keine Rechtfertigung für Gewalt wie etwa die Stürmung der deutschen Botschaft im Sudan sein, sagte der Minister.
„Ich verurteile dieses schändliche Video“, sagte Westerwelle. „Ich verstehe die Empörung in der islamischen Welt über dieses anti-islamische Hass-Video.“ Es verletzte die Gefühle von Millionen Gläubigen. Zuvor hatte er den sudanesischen Botschafter einbestellt und ihn in aller Deutlichkeit auf die Verpflichtung sienes Landes hingewiesen, ausländische Diplomaten zu schützen. Das Schmähvideo „Unschuld der Muslime“ stammt offenbar aus den USA.
Angriff auf britische Botschaft
Der sudanesische Mob griff auch die benachbarte britische Botschaft in Khartum an. Beide Gebäude sind nicht annähernd so gut gesichert wie die erst vor einigen Jahren gebaute US-Botschaft, die am Rand der sudanesischen Hauptstadt Khartum liegt. Dort hielten am Freitagnachmittag Hunderte schwer bewaffnete Soldaten die aufgebrachte Menge zurück. Das könnte ein wichtiger Grund für den Angriff auf die deutsche Auslandsvertretung sein, generell hat Deutschland bislang weitgehend reibungslose Beziehungen mit dem islamisch geprägten Land unterhalten.
Sudans Präsident, der wie ein Diktator regierende Omar Hassan al-Baschir, steht unter dem Druck radikaler Islamisten, die der Regierung vorwerfen, die religiösen Werte, die 1989 einmal als Grundlage der Herrschaft gegolten hatten, verraten zu haben. Die Vereinigung islamischer Rechtsgelehrter rief die Gläubigen dazu auf, den Propheten Mohammed friedlich zu verteidigen.
Einige religiöse Führer aber riefen zu den Protesten vor den westlichen Botschaften auf und forderten die Ausweisung der fremden Diplomaten. „Wir werden hinausgehen und den Propheten Mohammed verteidigen. Wir werden das friedlich aber mit Nachdruck tun“, sagte Salah al-Din Awad, Generalsekretär der Gelehrtenvereinigung in Khartum.
Auch in anderen arabischen Länder gab es Proteste. Die USA entsandten angesichts gewaltsamer Ausschreitungen in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa Elitesoldaten in das arabische Land. Dort waren die Sicherheitskräfte mit Tränengas gegen rund 2000 Demonstranten vorgegangen, die vor die amerikanische Vertretung ziehen wollten. Am Donnerstag hatten Hunderte Menschen die US-Botschaft schon einmal gestürmt und eine US-Flagge verbrannt.
Die Proteste gegen den ästhetisch schlecht gemachten Schmähfilm, den Muslime als Gotteslästerung empfinden, hatten sich zuerst in Libyen und Ägypten entzündet.
US-Botschaft in Tunis gestürmt
In Tunesien stürmten Demonstranten auf das Gelände der US-Botschaft in der Hauptstadt Tunis. Aufgebrachte Menschen sprangen über die Botschaftsmauer, schlugen Fenster ein und setzten Bäume in Brand, fünf Demonstranten wurden angeschossen.
In Teheran demonstrierten mehrere tausend Menschen gegen die USA und Israel. Die Menge rief Parolen wie „Hollywood ist zum Zentrum des Zionismus geworden“ oder „Die USA und Israel werden untergehen, der Islam niemals“. Während des Freitagsgebets sagte Ayatollah Ahmad Dschannati, der anti-islamische Film „Unschuld der Muslime“ sei ein weiterer verzweifelter Versuch der USA, den wachsenden Einfluss des Islams in der Welt zu stoppen. „Die Geschichte ändert sich in Richtung einer globalen Islamisierung.“
Die religiöse Führung des Iran verlangte von den USA, die Macher des Videos zu bestrafen. „Wenn amerikanische Politiker es ehrlich meinen mit ihrer Behauptung, nichts mit diesem Film zu tun zu haben, dann müssen sie diejenigen bestrafen, die für dieses schwere, abstoßende Verbrechen verantwortlich sind“, forderte das geistliche Oberhaupt Ajatollah Ali Chamenei. „Die US-Regierung und die Zionisten sind die Hauptverdächtigen für dieses abscheuliche und im Rausch begangene Verbrechen, das die Herzen der Muslime weltweit gebrochen hat.“
Im Libanon, wo seit Freitag Papst Benedikt XVI zu Besuch ist, wurde mindestens ein Mensch getötet, 25 weitere wurden bei Protesten verletzt. Auch in Indonesien, in Malaysia und in Afghanistan demonstrierten Muslime ihre Wut über Film. „Tod den Juden“ und „Tod Amerika“ riefen rund 200 Indonesier vor der nach den Angriffen auf die US-Vertretungen in Libyen, Ägypten und Jemen schwer bewachten US-Botschaft in Jakarta. Über Libyen, wo der US-Botschafter sowie drei seiner Mitarbeiter am Donnerstag getötet worden waren, wurden US-Drohnen gesichtet. In Ägypten lieferten sich die ganze Nacht zu Freitag hindurch einige hundert Demonstranten Straßenkämpfe mit den Sicherheitskräften. Die meisten von ihnen waren junge Fußball-Fans, sogenannte Ultras.
Noch während der Freitagsgebete lag der Dunst des Tränengases in den Straßen im Zentrum Kairos. Molotow-Cocktails und Steine auf der Seite der Demonstranten, Tränengas und Gummigeschosse auf der anderen Seite; selbst das Freitagsgebet lässt Demonstranten und Sicherheitskräfte nicht einhalten.
Es ist der vierte Tag in Folge, an dem sich aufgebrachte Ägypter in Kairo versammeln, um gegen den ehrabschneidenden Film zu protestieren, der zwar schon ein paar Monate per Trailer auf dem Markt ist, aber erst jetzt ins Arabische übersetzt und im Internet gezielt verbreitet wurde. Für viele ist der Film nur eine gute Entschuldigung, die Sicherheitskräfte des Innenministeriums anzugreifen. Das Misstrauen und der Hass auf die Polizei ist bei den meisten Ägyptern noch groß, und vor allem die Fußball-Hooligans haben in den vergangenen 21 Monaten immer wieder an vorderster Front gegen die Sicherheitskräfte gekämpft und ihre brutalen Vorgehensweisen vor, während und nach der Revolution am eigenen Leib miterlebt.
Die meisten, die Steine werfen, haben den verunglimpfenden Mohammed-Film noch nicht einmal gesehen. Ihnen geht es ums Prinzip. „Wir sind nur hier, um unsere Rechte einzufordern und sie schießen auf uns, schlagen und verhaften uns“, sagt ein 21-jähriger Demonstrant. „Nichts hat sich verändert im Innenministerium, es ist immer noch ihr Job, uns zusammenzuschlagen.“
Salafisten distanzieren von Gewalt
Die salafistische Al-Nour-Partei hat sich mittlerweile von den gewalttätigen Demonstrationen distanziert. Die Partei rief dazu auf, friedlich zu demonstrieren. „Wir sind gegen Gewalt, doch einige Kriminelle wollen uns Muslime und Kopten entzweien“, sagt Parteisprecher Mohammed El-Nour. „Das ist natürlich absurd. Wir gehören zusammen, gerade hier in Ägypten.“ In den ägyptischen Medien wurde im Zusammenhang mit der Verbreitung des Anti-Islam-Films auch immer wieder der Name eines ägyptischen Kopten mit Sitz in den USA genannt.
Fünf Anzeigen sind inzwischen beim Generalstaatsanwalt wegen des Films eingegangen. Dem Sprecher des Generalstaatsanwaltes zufolge werden in Amerika ansässige Kopten beschuldigt, den Film gemeinsam mit anderen produziert und verbreitet zu haben.
Mehrere Kopten wurden auf eine sogenannte „schwarze Liste“ gesetzt, um sie bei der Einreise nach Ägypten sofort dem Gericht zuzuführen. Die koptische Kirche hat den Film verurteilt. Kopten, die den Film gesehen haben, empfinden ihn als ebenso anstößig wie Muslime. Auch die Muslimbruderschaft verurteilte die gewalttätigen Ausschreitungen und die Stürmung der US-Vertretung in Kairo, bei der Demonstranten die Mauern des Geländes erklommen und die US-Fahne entfernt hatten. In Brüssel fand Präsident Mursi klare Worte und zitierte den Koran: „Wer nur einen Menschen töte, habe gleichsam die ganze Menschheit getötet.“