Am alljährlichen Stau zu Beginn der Sommerferien lässt sich die globale Gemengelage sehr hübsch erklären: Hunderttausende Urlaubsreisende regen sich über Hunderttausende Urlaubsreisende auf, die die Unverfrorenheit besitzen, zur gleichen Zeit in die Ferien aufzubrechen. Irgendein Trottel hat vergessen, Kühlwasser nachzufüllen, weshalb sich der Stau in der Baustelle weiter verfestigt. Egomanen brausen über den Standstreifen, die Tankstellen erhöhen die Preise, Laster schleichen, Drängler blinken sich links vorbei, und viele fahren in Autos, die sie sich eigentlich nicht leisten könnten. Jeder weiß natürlich, wie es besser ginge: breitere Straßen, Tempolimits, Autobahngebühren, Schilder abschaffen, Benzinpreis senken oder erhöhen. Wutbürger empören sich zugleich über Lärm und Qualm und neue Straßen. Die Polizei guckt hilflos zu. Es bleibt die nüchterne Erkenntnis: Stau ist nicht Schicksal, sondern Gemeinschaftswerk. Wir sind der Stau. Aber schuld sind natürlich alle anderen.
Mit der Finanzkrise verhält es sich ähnlich. Schnäppchenjäger schieben ihr Festgeld zu Banken, die unseriös hohe Zinsen anbieten. Staaten verschulden sich, um die Wünsche ihrer Bürger zu erfüllen, und Banken maximieren ihren Profit, weil das nun mal ihr Job ist. Bürger verachten Profiteure, wollen aber immer mehr Steuergeld spendiert sehen. Und Griechenland manövriert sich über Jahrzehnte in den Ruin, weil Banken wie Staaten weder Bonitätsprüfung noch Vorschriften ernst nahmen.
Dass sich weltweit Millionen Menschen zu Protesten zusammenfinden, weist Politik und Finanzindustrie erstmals darauf hin, dass sich da ein gehöriges globales Wutpotenzial staut, welches im Falle wirtschaftlicher Krisen sehr rasch außer Kontrolle geraten könnte. Andererseits: Protest ist auch keine Lösung. Empörung in allen Ehren, aber: Was ist der richtige Weg, um das Wohlergehen möglichst vieler zu maximieren? Wenn ohnehin schlingernde Banken in den Abgrund getrieben werden, mögen einige Manager ihren Job verlieren, aber zugleich unzählige Kleinsparer ihre Einlagen. Die Deutsche Bank ist nicht dem Gemeinwohl verpflichtet, sondern dem Börsenkurs. Und dass Wolfgang Schäuble heute anderes verkündet als neulich, ist ebenfalls nachzuvollziehen. In dieser Krise hat wohl jeder schon seine Meinung geändert, auch ein Hinweis darauf, wie unendlich kompliziert es ist, in komplex verflochtenen Systemen zu entscheiden. Rauswurf aus der Euro-Zone, Radikalkur oder ewige Finanzspritzen – es gibt keinen einfachen, schon gar keinen schnellen Weg für Griechenland. Und was noch kommt, weiß keiner.
Es ist verlockend, aber sinnlos, das beliebte Sündenbockspiel zu spielen. Der Stau ist nur zu vermeiden, wenn nicht alle gleichzeitig losfahren. Was bedeutet das für die Finanzkrise? Das Wiederentdecken des guten Wirtschaftens, privat wie öffentlich. Dafür müssen die Menschen Parteien wählen, die einen ausgeglichenen Haushalt zur obersten Maxime allen Handelns machen. Die gibt es aber leider nicht. Weil bislang die Nachfrage von Wählerseite fehlte.