Theater in Berlin

Diese Stücke sind für den Friedrich-Luft-Preis nominiert

| Lesedauer: 9 Minuten
Stefan Kirschner und Katrin Pauly
Treppen, die die Welt bedeuten: „der die mann“ in der Volksbühne, Regie führt Herbert Fritsch

Treppen, die die Welt bedeuten: „der die mann“ in der Volksbühne, Regie führt Herbert Fritsch

Foto: Eventpress Hoensch / picture alliance / Eventpress Ho

Zehn Aufführungen hat die Jury für den Friedrich-Luft-Preis der Berliner Morgenpost nominiert. Die meisten kann man sich noch anschauen

Im vergangenen Jahr erhielt Thorsten Lensing den Friedrich-Luft-Preis der Berliner Morgenpost für die beste Berliner und Potsdamer Aufführung überreicht. „Karamasow“ hatte er inszeniert und in den Sophiensälen aufgeführt. Dostojewskis Roman ist nun erneut nominiert, 2015 hat ihn Frank Castorf auf die Bühne gebracht. Zehn Inszenierungen sind für den Friedrich-Luft-Preis nomminiert Wir stellen die zehn Anwärter auf den Theaterpreis vor; keine leichte Auswahl, denn das Theaterjahr 2015 war außergewöhnlich gut. Der Gewinner wird im März bekanntgegeben.

„Die Brüder Karamasow“

Castorf und Dostojewski, das ist eine sehr fruchtbare Beziehung. Zum Abschluss seiner Volksbühnen-Intendanz hat der Hausherr mit „Die Brüder Karamasow“ auch seine Dostojewski-Dramatisierungen beendet. Die Inszenierung ist so etwas wie die Bilanz seines Regisseur-Lebens: Ein maßloser, überbordender, das Publikum fordernde und gleichermaßen beglückende Abend, sechseinhalb Stunden totales Castorf-Theater. Mit einem herausragenden Alexander Scheer, mit lang vertrauten Schauspielern wie Hendrik Arnst, der mit Frank Castorf schon zu DDR-Zeiten in Anklam gearbeitet hat. Und gleichzeitig ist der Bühnenraum, der sich mit dem Zuschauerraum vereint, ein Vermächtnis des Volksbühnen-Chefausstatters Bert Neumann, der überraschend im Sommer 2015 starb. Diese Inszenierung muss man einfach gesehen haben.

Volksbühne: 30.01., 6.02., 26.02.

„Wintersonnenwende“

Es beginnt wie eines dieser klassischen Eheschlachten-Stücke: Gereizte Stimmung, Vorwürfe, Streit, die Beziehung fragil. Die Situation verschärft sich, als Bettinas Mutter ankommt. Corinna lebt schon lange allein, es ist der 23. Dezember, kurz vor Weihnachten. Sie sucht Familienanschluss und bekommt Alkohol. Natürlich ist das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter belastet; das Zimmer der achtjährigen Marie ist Rückzugs- und Fluchtort der Erwachsenen. Und dann taucht auch noch ein Fremder auf, der lange Zeit in Südamerika gelebt hat. Einer mit seltsamen, ein bisschen völkisch anmutenden Ansichten. Regisseur Jan Bosse hat Roland Schimmelpfennigs „Wintersonnenwende“ am Deutschen Theater als Boulevard-Komödie inszeniert, aufs Wesentliche reduziert – und umschifft damit elegant auch die Pathos-Falle.

Deutsches Theater, Termin: 22.2.

„Nora“

In Berlin eine „Nora“ zu inszenieren, ist ein mutiges Unterfangen. Kaum ein Theaterliebhaber wird Thomas Ostermeiers legendäre Schaubühnen-Inszenierung mit Anne Tismer vergessen haben, die viele Jahre lang am Lehniner Platz lief. Stefan Pucher hat es trotzdem gewagt, und die Dramaturgie des Deutschen Theaters hat ihm vorsichtshalber noch eine neue Fassung spendiert: Ex-Gorki-Intendant Armin Petras hat das Ibsen-Stück sprachlich durchökonomisiert; Pucher kontrastiert das auf einer Videoleinwand mit Ausschnitten aus einer vermeintlich alten, klassischen Inszenierung, die natürlich auch von ihm stammt. Ein reizvoller, unterhaltsamer Abend.

Deutsches Theater, Termine: 23.2., 2.3.

„der die mann“

Konrad Bayer kennen nur noch wenige, der Autor gehörte dem Wiener Kreis um H. C. Artmann und Gerhard Rühm an, einem bohemehaften Zirkel, der sich in den 50er- und frühen 60er-Jahren zu Recht in Dingen der Literatur für die Avantgarde hielt. Ihnen wurde unter anderem „böswilligste Sprachzertrümmerung“ vorgeworfen.Regisseur Herbert Fritsch beschäftigte sich schon früh mit Bayers Werk, die Verehrung merkt man seiner an der Volksbühne realisierten Aufführung „der die mann“ an: Fritsch hält sich mit Slapstickeinlagen, die ja fester Bestandteil seiner Bühnenarbeiten sind, zurück, räumt Bayers Texten in dieser Sprachoper ganz viel Raum ein – so viel wie keinem anderen Autor in seinen Inszenierungen. Er verbeugt sich demütig vor dem Schriftsteller und bringt dessen Werk zum Klingen.

Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Termin: 24.01.

"Right of passage“

Falls der Grenzwächter mich noch einmal anschreien sollte, so viel steht fest, garantiere ich für nichts mehr. Seine Haare sind fettig, sein Körper ist fettig, und was ich ihm wirklich übel nehme, ist, dass er mir den Zutritt in die Lörische Republik verweigert. „Right of Passage“ heißt das Stück, das die Gruppe Machina eX im Hau3 aufführt. Selbstverständlich ist jede Skepsis gegenüber Theater im Mitmach-Modus komplett berechtigt, nur liegt in diesem Fall die Sache anders. Drei Stunden lang ist man Flüchtling und lernt eine nicht erklärliche Welt mit ihren Augen zu sehen. In dem Aufnahmelager, in das die Zuschauer gesteckt werden, versteht man erst die Regeln nicht, später erscheinen sie einem willkürlich. Man versucht eine Arbeitserlaubnis zu erhalten, verliert sein Geld – 500 Pradt gab es am Beginn – beim Glücksspiel, gibt den Rest an der Bar aus, beobachtet die Mitspieler, die sich alle geschickter anzustellen scheinen. Vielleicht sollte ich den Grenzwächter bestechen? Ein paar Pradts (oder Pradten?) habe ich ja noch.

Hau 3, Termin: Nicht bekannt

„Richard III.“

Weil er nicht zum Liebhaber taugt, hat er sich entschlossen, ein Scheusal zu sein. Und was für eins! Mit seiner Inszenierung von Shakespeares „Richard III.“ an der Schaubühne spendiert Regisseur Thomas Ostermeier Berlin den monströsesten Fiesling des Theaterjahres. Ein Außenseiter mit Buckel und Zahnspange, den Klumpfuß krumm hinter sich herschleppend. Der König als intriganter Freak, den Ansatz zieht die Inszenierung im nachgebauten Globe Theatre konsequent durch und bleibt in dieser Fassung, die Marius von Mayenburg sprachlich modernisiert hat, dennoch nah am Original. Lars Eidingers Richard ist ein gekränkter, virtuos durchtriebener Menschenverführer. In der Banalität des Buckeligen erschließt sich an diesem Abend ein universelles Psychogramm des Bösen.

Schaubühne, Termine: 26.2., 27., 28.2

„Eine Familie“

Mutter hat den Durchblick. Das nutzt sie schamlos aus. „Du weißt ja, dass ich alles weiß“, sagt Violet einmal zu ihrer Tochter. Alles, das ist in der Familie Weston ziemlich viel: Verbotene Lieben, eine inzestuöse Verbindung, Krankheit, Sucht. Als abgründige familiäre Psychoschlacht inszeniert der israelische Regisseur Ilan Ronen den Broadway-Hit „Eine Familie“ (im Original:„August: Osage County“) von Tracy Letts und holt das Stück damit erstmals nach Berlin. Produziert hat es die unabhängige Truppe der Santinis Production, zu sehen war es im Theater am Kurfürstendamm. Bitterkomisches Schaudern erzeugt diese geradlinige Inszenierung auf der mehrstöckigen Simultanbühne mit enorm präzise entwickelten Figuren, jede einzelne gebrochen, vielschichtig und ungemein menschlich. Ein Schauspielerfest.

Theater am Kurfürstendamm, Termine: nicht bekannt

„Ophelias Zimmer“

Ach, Ophelia! An der Schaubühne nimmt sich Regisseurin Katie Mitchell in „Ophelias Zimmer“ Hamlets Geliebte vor und inszeniert ihr unglückliches Leben als Riesenseufzer. In ihrem kerkerkahlen Zimmer fristet die Unglückselige, die bei Shakespeare nur in wenigen Szenen in Erscheinung tritt, ein von den Männern und den Umständen determiniertes Dasein als Opfer. Mitchell schickt sie auf Basis des Textes von Alice Birch in eine Endlosschleife aus sticken, schlafen und darben. Aus der einsehbaren Geräuschkabine liefern zwei Darsteller live den passenden Sound zu diesem einsamen Höllentrip, der Ophelias Wahnsinn und ihr Ende als Wasserleiche vorbereitet. In kühlem Stakkato wird hier die deprimierend-faszinierende Geschichte einer Zerstörung und einer Entmystifizierung erzählt.

Schaubühne, Termine: 19.02., 20.02.

„Und dann kam Mirna“

Sie stampfen wieder. Sibylle Bergs zornige Mädchen sind zurück. Hilfloser, frustrierter und verzweifelter als sie es je sein wollten. „Und dann kam Mirna“ ist die Fortsetzung der Erfolgsinszenierung „Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen“. Wieder führt Sebastian Nübling am Maxim Gorki Theater Regie. Zwischen den Mittzwanzigerinnen von damals und den überforderten Mitt- bis Enddreißigerinnen von heute liegt: „eine gelungene Befruchtung“. Vier Chorsprecherinnen hadern wuchtig mit den Widrigkeiten des Mutterseins, vier biestige Schlaumeier-Töchter bieten ihnen altklug Paroli. Acht Brillenträgerinnen am Rande des Nervenzusammenbruchs. Sie brauchen nichts dafür als eine leere Bühne. Ob sie jemals ihr Glück finden werden? Es ist aussichtslos. Aber umwerfend komisch und herzzerreißend.

Maxim Gorki: Termine: 19.01., 18.2.

„Eine Frau, die weiß, was sie will“

Zwei Personen in mehr als 20 verschiedenen Rollen, aberwitzige Kostümwechsel, die Bühnentür klappert im Minutentakt. Barrie Koskys Inszenierung „Eine Frau, die weiß, was sie will“ ist der pure Verwandlungs-Exzess. An der Komischen Oper zeigt er die musikalische Komödie von Oscar Straus in rasanter Personalverknappung. Die Story der Diva, die versehentlich mit der Tochter um denselben Liebhaber konkurriert, ist relativ banal, die Umsetzung sensationell. Dagmar Manzel und Max Hopp spielen in diesem verdrehten Operetten-Kammerspiel unter der musikalischen Leitung von Adam Benzwi nur auf dem schmalen Streifen vorm Orchestergraben zu zweit problemlos eine ganze Abendgesellschaft, sie wechseln Tonlage, Alter und Geschlecht in einem so Schwindel erregendem Tempo, dass einem auf höchst unterhaltsame Art Hören und Sehen vergeht.

Komische Oper, Termine: 7.02., 12.2.