Museen

Das Ethnologische Museum und seine missachtete Weltsammlung

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Matthias Wulff

Foto: Amin Akhtar

Das Ethnologische Museum in Dahlem hat immer weniger Besucher. Wenn sie erst ins Schloss nach Mitte umziehen, werden wieder mehr Menschen kommen, glauben Dahlems Museumsmacher. Ein Besuch.

Wer es etwas genauer wissen will, braucht allein für den ersten Raum eine halbe Stunde. Ausgestellt werden unzählige Waffen, Gefäße, Töpfe, Masken, Handwerkszeuge aus dem heutigen Mexiko. Ein Fledermausgott aus Oaxaca hier, eine Grabarchitektur der Zapoteken dort, eine weitere Figur gleicht einer leicht verunglückten Kreuzung eines bösartigen Schweins mit einer Schlange. In kleinen Hunden aus Ton sind Öffnungen eingebaut und dienten als Aufbewahrungsbehälter. Die sind aber niedlich, könnte man sagen. Wäre man nicht allein.

Immer weniger Besucher wollen die Ausstellung sehen

In dieser halben Stunde im Ethnologischen Museum hätte man mit den beiden Wachleuten, die stumm ihre Kreise ziehen, Skat spielen können. Wir wären ungestört geblieben, kein weiterer Besucher befand sich an diesem Nachmittag in der Ausstellungshalle. Die Atmosphäre ist leicht beklommen, man fühlt sich wie in einer Galerie, in der der Inhaber einen still begutachtet. Und es bricht einem das Herz, dass das, was als weltweit einmaliger Schatz archäologischer Exponate gilt, unbeachtet bleibt, ja, fast vergessen ist. 1989 zählten Dahlems Museen 569.000 Besucher, Mitte der 90er-Jahre waren es nur 248.000, weitere zehn Jahre hatte sich Zahl noch einmal halbiert. 2012 schauten 140.000 Besucher vorbei, in diesem Jahr werden es wohl 120.000 Besucher sein.

Das Museum zieht um

Nun soll ja alles besser, ab 2019, dann wird das Ethnologische Museum ins zweite Obergeschoss und das Museum für Asiatische Kunst ins dritte Obergeschoss nach Mitte ziehen, genau genommen ins Berliner Schloss. Dieser Tage möchte das Humboldtforum ein wenig gute Stimmung für sein Vorhaben machen und berichtet über zügige Baufortschritte. Beliebt ist das Schloss dennoch nicht, laut Umfragen weder bei den Berlinern noch bei den Deutschen und auch nicht bei Kulturstaatssekretär André Schmitz. Dieser bezeichnete den Entwurf des Architekten Stephan Braunfels als „bestechend“ und „schön“.

Das bringt nur wenig, da sich der Bund vor Jahren für den Vorschlag von Franco Stella entschieden hatte. Die Debatte um den Braunfels-Vorschlag komme „leider“ ein bisschen zu spät, sagte die neue Kulturstaatsministerin Monika Grütters dieser Tage. Kurzum, für 590 Millionen Euro wird mit halbem Herzen, unterfüttert mit Sachzwang-Argumenten und ohne Vorfreude ein Barockschlösschen gebaut. Zieht also eine ungeliebte Sammlung ins ungeliebte Schloss und wird dann, weil ja Minus mal Minus Plus ergibt, daraus ein Publikumsrenner?

Hauptsache weg aus Dahlem

Viola König, die Direktorin des Ethnologischen Museums, wird die Antwort nicht mehr erleben. Das klingt dramatischer, als es ist. Denn Viola König, Jahrgang 1952, wird in Rente gehen, wenn das Schloss eröffnet. Sie findet das auch gar nicht verkehrt; sie bevorzuge ohnehin Konzeptionen und Gestaltung gegenüber dem Betreiben eines fertigen Museums. Da ist sie in Berlin, der Stadt der Zukunftsversprechen, allgemein gut aufgehoben und beim Humboldtforum ganz besonders. Mehrmals wurden die Planungen für das Schloss unterbrochen, immer wieder kam es zu Moratorien. Anfang des Jahrhunderts ging man davon aus, dass das Schloss 2010 stehen werde. „In meinem Beruf braucht man eine Frustrationstoleranz gegenüber zeitaufwendigen Projekten“, sagt sie.

Vor allem kommen Schulklassen aus der Umgebung

Hauptsache weg aus Dahlem, ist die Haltung von Viola König. Sie wollte zwar kein neu errichtetes Berliner Schloss, sagt sie, aber was sie noch viel weniger wolle, ist in Dahlem bleiben. Sie würde auch in ein Zelt des Zirkus Roncalli ziehen, vorausgesetzt, es ist in Mitte aufgebaut. Auf die Frage, wer denn so in ihr Museum komme, sagt sie: „Schulklassen, Schulklassen, Schulklassen.“ Vormittags sei hier einiges los, berichtet aber im nächsten Augenblick leicht genervt von Lehrern aus Prenzlauer Berg, die den Weg in den Südwesten der Stadt scheuten. „Den langen Weg kann man den Kindern nicht zumuten,“ höre sie dann als Argument.

Die meisten Besucher kämen daher aus den Schulen aus der Umgebung, „Kiezschulklassen“ würden kommen, am Wochenende dann auch Erwachsene aus Zehlendorf: „Wir haben eine Weltsammlung für ein Kiezpublikum“, sagt sie. Man will das kaum glauben für einen Museumsstandort, der scheinbar das Image hat, sich irgendwo im Märkischen zu verstecken und doch in Wahrheit lediglich neun U-Bahnstationen vom Wittenbergplatz entfernt liegt.

Der Ort muss stimmen

Den mangelnden Zuspruch erklärt Viola König mit dem allmählichen Abzug anderer Museen aus Dahlem in den 90er Jahren: Das Ägyptische Museum, das Museum für Islamische Kunst, die Gemäldegalerie, alle weg. Die Mitte habe sich, vor allem für Touristen, als Museumsstandort in Berlin etabliert. „Wir sind die Wendeverlierer“, ergänzt Peter Junge, Kurator der Afrika-Sammlung. Das passt zur Generalthese der Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Stimmt der Ort, kommen auch die Leute.

Einwenden dagegen lässt sich so einiges, überschätzt sie doch systematisch die Lage und unterschätzen ebenso systematisch die Attraktivität der Inhalte: So ist der Ansturm auf das Bode-Museum verebbt, seitdem die Sonderschau „Gesichter der Renaissance“ ausgelaufen ist. So heißt hier es auf einmal, jaja, Skulpturen würde die Leute nicht interessieren. Nehmen wir das Kulturforum: Das Desinteresse an der Gemäldegalerie wird ernsthaft mit der schlechten Lage begründet, und das, obwohl die Neue Nationalgalerie, die in Sichtweite liegt, über 400.000 Besucher 2012 zog. Wenn das Gezeigte interessiert, kommen auch die Leute: Vor der Berlinischen Galerie, verkehrstechnisch alles andere als günstig in Kreuzberg gelegen, stand das Publikum bei „Wien Berlin“ Schlange. Die Gedenkstätte Hohenschönhausen, an der man auch nicht zufällig vorbeischlendert, zählte vergangenes Jahr 350.000 Besucher.

Blockbuster ziehen kaum

Viola König weiß an dieser Stelle, ein gutes Gegenargument zu zücken. Man habe ja den Test gemacht und abwechselnd „Blockbuster-Ausstellungen“ hier und im Martin-Gropius-Bau gezeigt. Die Schau über die Azteken fand in Kreuzberg 150.000 Besucher, die Ausstellungen über Benin, Tibet und Voodoo wären in Dahlem „nicht schlecht gelaufen“, so um die 30.000 Besucher. „Was meinen Sie, wie viele Leute in Voodoo gegangen wäre, hätten wir sie im Martin-Gropius-Bau gezeigt?“, fragt Viola König. „Bei gleich guten Qualitäten hat Gropius gute Besucherzahlen, Dahlem eben nicht.“ Dass der Gropius-Bau auch einiges für seinen exzellenten Ruf getan hat, bleibt unerwähnt.

In den ersten drei Jahren, so glaubt sie, also ab 2019, werden sie „alle bei uns sein“ – bei uns in Mitte. Danach werde man sich bei 500.000 Besucher einpendeln. Und was soll aus Dahlem werden? Irgendetwas mit zeitgenössischer Kunst, das fände sie gut, sagt Viola König. Im kommenden Mai sind wir alle ein wenig schlauer: Denn die Berlin Biennale hat die Dahlemer Museen als einen ihrer drei Standorte ausgewählt. Da werden wir sehen, ob die Anreise nach Zehlendorf wirklich so beschwerlich ist.