Die US-Band hat eines der besten Alben des Jahres herausgebracht. In der Max-Schmeling-Halle konnte sie jedoch nicht restlos begeistern, obwohl Sänger Matt Berninger einige interessante Macken hat.
Matt Berninger wirft die Rotweinflasche in die Luft, die auf den Boden fällt, ohne zu zerspringen. Er hebt sie wieder auf, mit einem ungelenken und entschlossenen Schwung, wie all seine Bewegungen.
Er nimmt einen letzten Schluck, singt ein letztes Lied, er und die Band winken ein letztes Mal ins Publikum.
Das war’s, der Auftritt von „The National“ in Berlin, einer von zweien in Deutschland, geht zu Ende. Und man kann sich nicht erinnern, wann man das letzte Mal so unschlüssig und unentschieden ein Konzert verlassen hat.
Lange Zeit nicht mehr als ein halber Geheimtipp
1999 haben sich The National formiert, fünf Männer aus Ohio, zwei mal zwei Brüder plus Sänger Matt Berninger mit seinem unverwechselbaren Bariton. Sie leben mittlerweile alle in Brooklyn. Sie haben einen mühevollen Weg hinter sich, um es vorsichtig zu formulieren. Ihre ersten Alben wurden von der Kritik gemocht und vom Publikum ignoriert, mit ihrer dritten Veröffentlichung „Alligator“ 2006 stellte sich langsam so etwas wie kommerzieller Erfolg ein, aber mehr als ein halber Geheimtipp waren sie nicht.
Von Platte zu Platte wurden sie besser (über welche Band kann man das schon schreiben?), im April stellten sie in Berlin unter ziemlich denkwürdigen Umständen ihr neues Album vor. Geplant war ein Konzert unter freiem Himmel im neu eröffneten Hotel Michelberger an der Warschauer Straße, am Ende war es eine Veranstaltung unter eisigem Himmel, weil man ja in Berlin gern den Winter etwas länger bei sich hat. Die Band war von Heizlüftern flankiert. Dieses neue Album jedenfalls heißt „Trouble will find me“ und ist eine lohnende und schwer zu empfehlende Investition, kann man sich an ihm doch nicht müde hören. Ihre bekannte Mischung aus Angst, Paranoia, Einsamkeit, Schuldgefühl, halben Abschieden und durchwachten Nächten hat die Band hier perfektioniert.
Vielleicht liegt es daran, dass man diese Musik lieber gern allein hört, vielleicht liegt es daran, dass man sich zum Treffen der anonymen Melancholiker lieber in kleinen Klubs trifft, vielleicht ist die Max-Schmeling-Halle in Prenzlauer Berg einfach prinzipiell ungeeignet für Konzerte. Umrahmt von sitzendem Publikum steht der Rest im riesigen Innenraum. Bis auf eine kleine Gemeinde rechts vorn (von der Bühne aus gesehen) bleibt das Publikum auf den Sitzplätzen bis zur Zugabe sitzen und das Innenraumpublikum tanzt nicht, sondern wippt verhalten. Die Akustik ist nicht unbedingt „grottig“, so wie Radio Eins berichtet, sondern eher dröhnend, aber es bleibt dabei: Bis zur Zugabe will der Funke nicht überspringen.
Anschein eines New Yorker Kunstprofessors
An Matt Berninger liegt es nicht, zumindest kann er nichts dafür. Mit seinen gewellten Haaren, der Brille, seinem dunkeln Anzug (samt Weste!) sieht er eher aus wie der New Yorker Kunstprofessor, der für alle Beteiligten überraschend aus der Vorlesung herausgerissen wurde, mit der Aufgabe, nun ein „Rockkonzert zu performen“. Wenn Matt Berninger nicht gerade ins Mikrofon singt oder zuweilen brüllt, läuft er rastlos im Kreis, zumeist den Musikern in den hinteren Reihen zugewandt, und versucht anscheinend, die abstrakten Videos auf der Leinwand in bunten Farben zu dechiffrieren. Zur Merkwürdigkeit dieses Auftritts reiht sich sein bekanntlich obsessiver Rotweinkonsum. Man ahnt immer, wenn sein Gesangspart vorbei ist, stürzt er sich leicht panisch zum Glas. Er liebe guten Wein, hat Matt Berninger in einem Interview gesagt, „aber ich liebe auch schlechten Wein“.
Am Ende, und das ist dann doch eine Überraschung, rennt er auf einmal an einem vorbei. Immer wieder ist er an diesem Abend abgetaucht und nur für die Fans aus den vorderen Reihen zu sehen, und so vermisst man ihn auch nicht sonderlich, als er bei „Terrible love“, der dritten Zugabe, aus dem Sichtfeld verschwindet. Doch plötzlich rast er mit einer Geschwindigkeit, die man dem 42-Jährigen nicht zugetraut hätte, durch den Innenraum, die Schnur des Mikrofons, an der er zerrt, sieht aus wie eine gut gespannte Wäscheleine und hängt über den Fans. Dann stoppt er, mittendrin im Publikum und doch sehr allein, umringt von den Smartphones und den naiven Besitzern, die ihn fotografieren. Denn einmalig bleibt das, woran wir uns erinnern werden und nicht die Bilder, die wir festhalten wollen und so doch nur den Moment ruinieren.