Er wollte sein ganzes Leben lang nur auf der Bühne stehen und seine Lieder singen. Dass die so großartig waren, dass er in den 60er-Jahren zum Idol und zur Leitfigur einer ganzen Generation wurde, war Bob Dylan stets unangenehm.
Er hat sich immer wieder von neuem gedreht, gehäutet und gewunden, hat Erwartungshaltungen bewusst missachtet. Und spielt im Alter nur noch eine Rolle: die des fahrenden Sängers, der durch die Konzertsäle dieser Welt zieht.
Seit 1988 ist er auf seiner „Never Ending Tour“, absolviert jedes Jahr mehr als 100 Auftritte, nimmt dazwischen wunderbare Platten auf und macht das, was er schon immer nur machen wollte: auf der Bühne stehen und seine Lieder singen.
Einige Dinge haben sich geändert
Wie jetzt wieder in Berlin. Es ist die Akustikgitarre von Stu Kimball, die Schlag 20 Uhr im Tempodrom die Dunkelheit durchschneidet. Die Bühne ist in dämmeriges Licht getaucht. Die Augen des Publikums blicken erwartungsfroh in den fahlen Schein.
Und schon kommt er gemessenen Schrittes auf die Bühne. Ohne Hut diesmal und auch ohne eigene Gitarre. Strubbelköpfig und breitbeinig steht Bob Dylan am Donnerstagabend auf der Bühne des mit 3200 Besuchern ausverkauften Tempodrom und eröffnet mit einem hektisch vorwärts treibenden „Things Have Changed“ das erste von drei Konzerten, die er in diesem Herbst in Berlin gibt.
Ja, es haben sich tatsächlich einige Dinge geändert. Nicht nur der fehlende Hut, der schon so etwas wie ein Markenzeichen war. „Things Have Changed“, der Song, den er 1999 für den Curtis-Hanson-Film „Die Wonder Boys“ geschrieben hatte, gibt die Richtung vor für diese gut zwei Stunden, in denen der 73-Jährige swingt und rockt. Und wenn er sich nicht hinter dem Keyboard verschanzt, immer wieder mal zur Mundharmonika greift. Dafür gibt es Zwischenapplaus.
Alte Lieder neu arrangiert
Dylan hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten an die Wurzeln der amerikanischen Musik begeben. Er hat Blues, Folk, Swing, Country, Rhythm’n’Blues der frühen Jahre studiert, für eine Radio-Show wieder ins Licht geholt und zu seinem neuen, höchst lebendigen Sound gemacht.
Er hat seine alten Lieder mitunter bis zur Unkenntlichkeit neu arrangiert und mit einer grunzenden, grummelnden, röchelnden Stimme zerlegt, um die Einzelteile neu zusammen zu setzen.
Er suchte die Zukunft in der Vergangenheit. „Musikmachen ist unmittelbar“, hat er einmal gesagt. „Denn Dein Geist arbeitet, während Du spielst. Du schaust tiefer und tiefer in Dich selber hinein.“ Und ja, auf der Bühne ist in seinem Element.
Er vernuschelt die Lieder wenig
Er singt überraschend klar und deutlich an diesem Abend im Tempodrom. Er vernuschelt die Lieder wenig. Er verschluckt kaum eine Silbe.
„She Belongs To Me“ von 1965 stampft gemächlich als zweites Stück des Abends durch die Halle. Dylan wiegt und wendet sich am Mikrophon. Seine Musiker, die er alle in graue Einheitsanzüge gesteckt hat, sind von erster Güte, der Sound ist bestens, die Lichtregie spartanisch wie in einem schäbigen Club irgendwo im amerikanischen Südwesten. Dämmerlicht dampft aus sechs überdimensionierten altmodischen Scheinwerfern, die von der Decke hängen.
Mehr als 600 Lieder hat Dylan geschrieben
Bob Dylan muss keinem mehr etwas beweisen. Er war Folksänger, Protestsänger, Sänger christlicher Lieder, Wanderprediger – und Rockstar. „Bob hat den Geist befreit, so wie Elvis den Körper befreit hat“, huldigte ihm Bruce Springsteen 1988, als Dylan in die „Rock and Roll Hall of Fame“ aufgenommen wurde - und kurz darauf zu seiner „Never Ending Tour“ aufbrach.
Mehr als 600 Lieder hat er geschrieben, „A Hard Rain’s A-Gonna Fall“, „Don't Think Twice, It's All Right”, „Like A Rolling Stone“, „Mr. Tambourin Man”, „Hurricane”, und ja, „Blowin’ In The Wind”.
Dylan sagt nur ein Mal etwas
Zu einer Dylan-Hit-Revue wird dieser Abend freilich nicht. Es sind vor allem Stücke vom 2012 erschienenen Album „Tempest“, die das Programm dominieren. Wie das drohende „Pay In Blood“ oder das hämmernd swingende „Duquesne Whistle“, alle sauber arrangiert und sauber gespielt.
Immerhin: „Tangled Up In Blue“ und „Simple Twist of Fate“, beide vom 1975er-Album „Blood On The Tracks“, gibt es zu hören. Und noch so eine Änderung: Nach dem treibenden „Love Sick“, das er 1997 für „Time Out Of Mind“ aufgenommen hat, schickt er das Publikum in eine Pause. Das kannte man bisher noch nicht von Dylan-Konzerten. Es ist auch das einzige Mal an diesem Abend, dass Dylan etwas sagt. Auch wenn man davon kein Wort versteht.
Dylan ganz ohne Gitarre
Ansonsten folgt Song auf Song. Lieder aus den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren. Wer auf so etwas wie „Like A Rolling Stone“ oder „The Times They Are A-Changing“ wartet, der wartet hier vergeblich. Auch nach der Pause viel Neueres: „Early Roman Kings“ von 2012, die atmosphärische Ballade „Forgetful Heart“ von 2009 oder „Long And Wasted Years“, ebenfalls vom „Tempest“-Album von 2012 als furioses Finale.
Fast scheint es, als wolle Dylan die Vergangenheit ruhen lassen und sich ganz seinem Spätwerk widmen. Das macht er mit Eleganz und Würde. Und ganz ohne Gitarre. Die überlässt er seinen beiden Gitarristen Stu Kimball und Charlie Sexton. Multi-Instrumentalist Donnie Herron an Geige, Banjo, Mandoline und Pedal-Steel-Guitar und die alten Weggefährten Tony Garnier am Bass und George Recile am Schlagzeug komplettieren die Band.
Lustvoll zersungene Version von „Blowin‘ in the Wind“
Und dann gibt es doch noch so zwei Klassiker. Als Zugabe holen Bob Dylan und seine Band „All Along The Watchtower“ aus der Versenkung. Und als Rausschmeißer – aber das hat auch schon fast Tradition – gibt es eine lustvoll zersungene Version von „Blowin‘ in the Wind“.
Mit seinen neuen Stücken scheint Dylan mehr Spaß zu haben. Er fühlt sich offenbar immer noch nicht alt genug, um nur noch Legende zu sein. Und tatsächlich hat er mit „Tempest“ eines seiner besten Alben geschaffen. Und im Tempodrom eines der besten Konzerte seiner „Never Ending Tour“ gegeben.
Zum Schluss steht er einfach vorn an der Rampe, nimmt den Jubel entgegen, blickt wortlos ins Publikum, flankiert von seinen Musikern. Und das Licht verlöscht.
Der Applaus ist dankbar, lautstark und langanhaltend. Am Sonnabend gibt Dylan sein drittes und letztes Tempodrom-Konzert. Es gibt dafür noch wenige Karten an der Abendkasse.