KulturMacher

Die Frau, die unterm Dach Theater macht

| Lesedauer: 6 Minuten
Britta Klar

Foto: Massimo Rodari

Das Theater in Prenzlauer Berg ist ein Ort zum Wohlfühlen – sowohl für die Regisseure und Schauspieler, die dort arbeiten, als auch für die Zuschauer. Der Grund dafür ist Liesel Dechant.

Es fühlt sich an, als würde sie ihre Gäste bei sich zu Hause empfangen. Es stehen Wassergläser auf einem der Tische, an denen sonst die Gäste ihres Hauses vor oder nach der Aufführung noch etwas trinken und über das sprechen, was sie gerade gesehen haben oder gleich sehen werden. Und ein großer Teller Weintrauben. Prompt fühlt man sich umsorgt und erwartet, auch in der Art, wie Liesel Dechant ihr Gegenüber in Empfang nimmt. Was ein ziemlich gutes Gefühl ist. Ganz natürlich schafft sie das. Ob bei den Regisseuren, die zu ihr kommen und etwas auf die Bühne bringen wollen, oder bei den Besuchern, die kommen, um das dann zu sehen. Oder eben jetzt, wo sie erzählen soll, wie sie wurde, was sie ist. Die Seele des kommunalen Theater unterm Dach (TuD) in Prenzlauer Berg.

„Es ist eine sehr, sehr schöne Aufgabe, die ich da habe. Sie bereichert mein Leben“, wird Liesel Dechant am Ende des Gesprächs sagen. Es sei gleich am Anfang erwähnt, denn bei ihr strahlt diese Haltung durch, wann immer sie von ihrer Arbeit und dem Haus spricht.

Seit ihre Vorgängerin Liane Düsterhöft 1996 in Rente ging, ist Liesel Dechant die Chefin des kleinen Theaters mit etwa 80 Plätzen. Dabei trifft das Wort „Chefin“ es irgendwie gar nicht so richtig: Die 57-Jährige ist wie eine gute Freundin des Hauses, es liegt ihr am Herzen. Ihr ist wichtig, was alltäglich für Kleinigkeiten anliegen und ihr ist wichtig, was aus dem Haus wird, wenn sie mal nicht mehr täglich die Treppen bis unter das Dach in der Danziger Straße 101 hinaufsteigen wird.

Wenn es im Haus brannte

Eigentlich ist Liesel Dechant ja Lehrerin. Für Sport. „Aber auch als Lehrerin wollte ich schon immer in die Kultur“, sagt sie. „Ich habe dann eine berufsbegleitende Ausbildung als Programmgestalterin an der Bezirkskulturakademie gemacht.“ Ihr Leben in und mit der Kultur begann ein paar Schritte von ihrer jetzigen Wirkungsstätte entfernt. In der „Wabe“, dem kulturellen Veranstaltungsort, die auch Teil des „Kulturhauses im Ernst-Thälmann-Park“ ist. Eben jenem kulturellen Zentrum, das 1986 auf dem ehemaligen Gelände der IV. Städtischen Gasanstalt entstand und bis heute ein Ensemble mehrerer Häuser mit unterschiedlichen kulturellen und künstlerischen Profilen ist.

Nach ihrer Zeit als Programmgestalterin wechselte Liesel Dechant in das jetzige Haus. Allerdings wirkte sie dort zunächst einmal eine Etage tiefer, am Jugendtheater.

Schon damals war klar, dass die Lehrerin von einem Beruf in eine Berufung gewechselt hatte. „Immer, wenn es im Haus brannte, hieß es: Fragen wir mal Liesel“, sagt die Theaterchefin glücklich. Bis heute hat sich daran nichts geändert. Auch nicht an ihrer Einstellung, mit der sie damals in den Kulturberuf startete: „Egal, was ich machen soll – ich mach’s!“ Als sie dann die Leitung des Hauses übernahm, legte sie sich zunächst einmal einen Beirat zu: „Ich versammelte vier oder fünf Menschen um mich herum. Ganz einfach, um zu lernen, mit dem Theater umzugehen“, sagt sie.

Sie arbeitete sich immer mehr ein, nutzte die fachliche Unterstützung und genoss die persönliche Herausforderung. „Relativ schnell hat sich für mich dann herauskristallisiert: Für Regisseure gibt es keinen Ort in Berlin, an dem sie sich entwickeln können“, sagt Liesel Dechant. „Dieser Ort sollte also mein Theater sein.“

Inzwischen wissen das viele Regisseure. Und schätzen die Einstellung der Chefin sehr. Sie wissen, dass bei Liesel Dechant nichts muss und alles sein kann. „Hier soll niemand machen, was ich möchte. Die Regisseure sollen das machen, was ihnen am Herzen liegt.“ Ein festes dramaturgisches Konzept für das TuD gebe es nicht, keinen künstlerischen Leiter, der den Finger auf die Arbeiten hält. „Im Rahmen des Sprechtheaters geht erst einmal alles“, sagt Liesel Dechant.

Und das wird anerkannt. Mehr noch: ausgezeichnet. So erhielt das Haus beispielsweise den Friedrich-Luft-Preis für die beste Theaterinszenierung 2004. Doch nicht immer lag die Konzentration auf dem Sprechtheater. Vor allem, weil das Haus, das zum Kulturamt Pankow gehört – der Bezirk übernimmt die Gehalts- und Betriebskosten und stattet des Haus mit einem Etat von jährlich 45.000 Euro aus –, früher anders ausgerichtet war. „Anfangs war das Haus eher eine Kleinkunstbühne, dann wandelte es sich immer mehr zum Tanz- und Bewegungstheater.“ Heute ist das Theater unterm Dach ein Sprechtheater. Und das letzte kommunale Kulturhaus im Großbezirk Pankow.

Etwas unangenehm

Natürlich steht auch beim TuD immer mal wieder die Frage im Raum, ob und wie es weitergeht mit der Förderung. „Das Budget hat sich seit 15 oder 17 Jahren nicht verändert, glücklicherweise unterstützen Stiftungen, wenn es inhaltlich zu ihnen passt, mittlerweile einzelne Projekte bei uns“, sagt Liesel Dechant. Ihr selbst ist es sichtlich fast schon unangenehm, dass sie und ein Techniker den angenehmen Status „Angestellte im öffentlichen Dienst“ haben.

„Ich bin damit in einer sehr komfortablen Situation. Unser Techniker Oliver Gayk und ich verstehen uns immer als Dienstleister für die Künstler, die oftmals leider viel zu wenig Förderung bekommen. Was wir tun können, ist eine funktionierende Infrastruktur bereitzustellen“, sagt Liesel Dechant. Am liebsten „viel mehr Geld“ würde sie den jungen Künstlern geben, die „unglaublich viel arbeiten.“

Und Liesel Dechant zieht sie alle an. „Oft sagen uns die Künstler: Ihr wollt uns – das spüren wir.“ Bei ihr dürfen sich die Regisseure auch mal verrennen, scheitern. „Das gehört doch dazu. Deshalb versteht man dieses Theater eben auch als eine Heimstatt für künstlerische Entwicklung“, sagt Liesel Dechant. Und Heimstatt ist schließlich ein anderes Wort für Zuhause.