Mit diesem Triumph hatte an der Komischen Oper keiner gerechnet: Seit der Premiere von Mozarts „Zauberflöte“ gibt es Besucherströme ins kleinste der drei Berliner Opernhäuser. Anderes wurde kurzfristig aus dem Spielplan gestoßen, um Platz für weitere „Zauberflöten“ zu machen. 26 fast ausverkaufte Vorstellungen sind es in dieser Saison, in der kommenden sollen 13 weitere folgen, wie es auf der Jahresvorschau am Donnerstag hieß. Jetzt wisse er sicher, sagt Intendant Barrie Kosky, dass es „in Berlin einen großen Durst auf sinnliches Theater“ gäbe. „Wir sind eine große Familie“, sagt er irgendwann über sich und seine Leute und zieht gleich noch kokett sein persönliches Resümee: „Ich bin total erschöpft, aber man sieht es mir nicht an“. Kosky gehört keinesfalls zu den Anzugträgern unter den Intendanten, er trägt ein legeres Hemd und blaue Sportschuhe. Irgendwie erinnert er an einen energischen Familienvater, der immer zehn Meter vor den anderen läuft, während alle hinterher hecheln. Und das kreative Hecheln soll weiter gehen. Kosky kündigt vergnügt elf Premieren an. Erfolg kann auch eine Droge sein.
Strippende Elefantendamen
Der australische Opernregisseur ist seit dieser Spielzeit im Amt, und er hat – kurz gesagt – einen brillanten Start hingelegt. Nicht nur, aber gerade auch mit der „Zauberflöte“, in der Elefantendamen strippen und der ach so lustige Vogelhändler Papageno mit seinem flachen Hut an den melancholischen Buster Keaton erinnert. Kosky hatte sich für seine Zeichentrickoper Suzanne Andrade und Paul Barritt von der Performancegruppe „1927“ geholt. Deren schelmische Hommage an die Stummfilmzeit hat die Auslastungszahlen deutlich nach oben getrieben: War die Komische Oper in der Saison 2011/12 zu 65 Prozent ausgelastet, kommt man jetzt bereits auf rund 75 Prozent. Zehn Prozent Gewinn. Alle Achtung.
Barrie Kosky hat also ein neues Publikum gefunden. Aber diese Behauptung wischt er selbst brüsk beiseite. Wer in die Deutsche Oper nach Charlottenburg gehe, der kann dort jeden Abend ein und dasselbe Publikum sehen. In der Komischen Oper hingegen sind in an jedem Abend völlig andere Leute zu sehen, als kämen sie immer aus einem anderen Land. Es gäbe jedenfalls nicht das Publikum der Komischen Oper. Diese Beobachtung entspricht auch seinem Berlin-Bild, einer internationalen Metropole, die ständig im Übergang ist. Darauf muss man reagieren, meint er. „Das Publikum muss immer überrascht werden.“
Oper in Originalsprache
Das Erfolgsgeheimnis von Kosky besteht wohl darin, dass er innerlich keinen Unterschied zwischen E- und U-Kultur fühlt. Unterhaltung ist für ihn nicht per se etwas Anrüchiges, wovor es das deutsche Opernpublikum zu beschützen gilt. Seine stilistische Offenheit bewahrt ihn vor mancher Borniertheit des Opernbetriebs und lässt ihn überkommene Traditionen unbedarft brechen. Beispielsweise die Vorgabe des Hausgründers Walter Felsenstein, wonach Opern immer verständlich in deutscher Sprache aufgeführt werden. Barrie Kosky inszeniert in der nächsten Saison Jean-Philippe Rameaus Oper „Castor et Pollux“ (Premiere: 11. Mai 2014) – und es wird in französischer Sprache gesungen. Er wolle „andere Klangwelten nach Berlin bringen“, sagt er. Dazu gehört die Originalsprache.
Eine Premiere jagt die andere
Genau genommen hat er die Felsensteinsche Nachkriegstradition längst beerdigt und bemerkenswerterweise beschwert sich keiner darüber. Die Komische Oper sieht sich jetzt auch der glamourösen Unterhaltungstradition des früheren Metropol-Theaters verpflichtet. Das Programm ist bunter geworden, eine Premiere jagt die andere. Manch ein Stammbesucher wird den Kopf schütteln angesichts dieses Allerlei an Stücken und Interpreten. Die konzertante Aufführung von Emmerich Kalmans Operette „Die Herzogin von Chicago“ am 22. Dezember wird von Berlins „Denglisch“-Diva Gayle Tufts moderiert. Und bei der Operetten-Premiere von Nico Dostals „Clivia“ am 8. März 2013 werden erstmals die Geschwister Pfister auf einer Berliner Opernbühne zu erleben sein. Kosky hat keine Berührungsängste mit Berliner Szenestars. Bereits in den zwanziger Jahren, sagt er, seien große Bühnenstars aus dem Varieté gekommen. Das ist für ihn alles ein künstlerisches Milieu, damals wie heute.
Rund ein Drittel seines Repertoires ist der Operette und dem Musical vorbehalten. „Wir gehen Risiken ein“, sagt der Regieintendant. Kosky selbst inszeniert Leonard Bernsteins „West Side Story“ (Premiere am 24. November). Er erzählt beiläufig von der Urfassung „East Side Story“, die sich noch mit dem Konflikt zwischen Katholiken und Juden befasste. Möglicherweise wird das seine Regieidee sein. Kosky will ausdrücklich jüdische Komponisten auf die Bühne der Komischen Oper zurückholen.
Nichts bleibt ungeschoren
Aber auch das klassische Repertoire kommt nicht ungeschoren davon. Der lettische Theaterregisseur Alvis Hermanis nimmt sich Mozarts „Cosi fan tutte“ (Premiere am 3. November) vor. Der junge australische Regisseur Benedict Andrews debütiert im Januar mit Prokofjews „Der feurige Engel“. Und Skandalregisseur Calixto Bieto bekommt „Die Soldaten“ von Bernd Alois Zimmermann in die Hände, man ahnt viele unschöne Dinge auf der Bühne. Sex und Gewalt verkauft sich auch in der Oper, zumindest in der Komischen Oper. Wohingegen sich die deutsche Nationaloper, Webers „Der Freischütz“, an der Behrenstraße so gar nicht rechnet. Die Auslastung liegt bei gerade mal 42 Prozent, Publikumsrenner ist Händels stets ausverkauftes Barockspektakel „Xerxes“.
Die Komische Oper hat gerade einen guten Lauf. Aber wo es Gewinner gibt, weiß man, muss es immer auch Verlierer geben. Dazu gehört die Staatsoper, deren Haus Unter den Linden auch weiterhin generalsaniert wird. Natürlich hat das geschlossene Haus Einfluss auf die höheren Zuschauerzahlen, gibt man in der Komischen Oper zu.