Vom Nischenphänomen zum Standortfaktor: Die Freie Kunstszene in Berlin ist so professionell wie selbstbewusst geworden. Berlins internationalen Ruf hat sie wesentlich geprägt, sie zieht Touristen an, generiert Einnahmen für die Stadt – und doch geraten die selbstständigen Künstler mehr und mehr unter Druck.
Städtische Freiräume schwinden, öffentliche Mittel sinken, eine Änderung dieser Situation ist nicht in Sicht. Dabei gäbe es eine elegante Lösung für das Finanzdilemma: Mit der City Tax, einer Steuer auf private Hotelübernachtungen, ließe sich Geld für die klamme Szene generieren. Geld, das an keiner anderen Stelle fehlte. Anfang des Jahres sollte die neue Steuer in Berlin erhoben werden, doch die Politik zögert noch mit der Einführung.
Dem Berliner Senat liegt zwar ein Entwurf zur Einführung der City Tax vor, allerdings hat die Landesregierung darüber noch nicht abschließend beraten. Im Gespräch ist eine Steuer in Höhe von fünf Prozent auf Übernachtungen von Privatreisenden. Es gab mal die Idee, die Abgabe im ersten Quartal 2013 einzuführen. In der Fragestunde der letzten Abgeordnetenhaussitzung am 21. März 2013 ließ Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer allerdings durchblicken, dass die Steuer wohl erst mit Beginn des Jahres 2014 erhoben wird.
Freie Szene gründete einen schlagkräftigen Verbund
Mit geschickter Lobbyarbeit machen die Künstler unterdessen auf ihre prekäre Lage aufmerksam. Mit der Koalition der Freien Szene gründete sich im vergangenen Jahr ein schlagkräftiger Verbund, der die Interessen von mehr als 70 Institutionen aus den Bereichen Tanz, Theater, Musik und Bildender Kunst vertritt: Wer mit einer Stimme spricht, der wird eher gehört.
Gerungen wird um nicht eben üppige öffentliche Mittel. Nur rund 20 Millionen Euro aus dem Kulturetat von etwa 360 Millionen Euro erhalten die freien Künstler, wie die Koalition der Freien Szene betont. Das sind fünf Prozent. Der Etat für Einzelprojekte, Spielstätten, Tanz- oder Theatergruppen ist in den letzten zwölf Jahren noch dazu um vier Mio. Euro geschrumpft, während allein für Tarifsteigerungen bei der Opernstiftung ab 2014 etwa 15 Millionen Euro jährlich fällig werden.
Der gewachsenen künstlerischen Bedeutung der Freien Szene und der nach wie vor zunehmenden Zahl auch internationaler Künstler in Berlin wird das Volumen der Fördertöpfe längst nicht mehr gerecht. „Früher dachten viele noch, dass Freie einfach keinen Erfolg am Stadttheater hatten“, schildert Janina Benduski aus dem Vorstand des Landesverbandes freie darstellende Künste Berlin (LAFT) das Vorurteil, das unabhängigen Theatermachern anfangs begegnete.
Doch längst ist jenseits von Stadt- und Staatstheatern, Opern, Orchestern und Museen eine vitale, vielfältige Kunstlandschaft entstanden, die in allen Sparten neue Impulse liefert: Performancekollektive wie She She Pop oder Rimini Protokoll waren zum Theatertreffen eingeladen, Nico and the Navigators inszenierten in dieser Spielzeit an der Deutschen Oper. Eigenständige Klassikensembles haben sich grenzüberschreitend zu gefragten Spezialisten für Alte oder Neue Musik entwickelt, Berlins Kunst- und Galerienszene dient als internationaler Maßstab.
Permanente Selbstausbeutung
Die Szenevertreter haben allen Grund, selbstbewusst aufzutreten. „Das sind außerordentlich gut ausgebildete Leute, die in anderen Strukturen arbeiten möchten“, erklärt Christiane Zieseke, die als Leiterin des Referats Stipendien und Projektförderung der Kulturverwaltung die Freie Szene schon lange begleitet.
Ob die Freischaffenden in temporären Kollektiven arbeiten oder als feste Gruppe, ob sie mit unterschiedlichen Institutionen kooperieren oder alleine wirken – es eint sie der Wunsch nach Autonomie. Die Unabhängigkeit von den Hierarchien großer Institutionen ist jedoch mit permanenter Selbstausbeutung erkauft. Nur drei bis zehn Euro brutto verdienen freischaffende Künstler pro Stunde, wie der Fonds Darstellende Künste 2009 ermittelte.
Die Aussichten sind momentan düster, und die Koalition der Freien Szene rechnet nicht damit, dass die Kulturförderung in absehbarer Zeit aufgestockt wird. Im Land Berlin herrscht Haushaltsnotlage. Rund 20 Millionen Euro mehr pro Jahr, eine Verdoppelung des Etats, wären der Koalition zufolge nötig, um die vorhandenen Strukturen der Freien Szene zu sichern oder auszubauen und mithin Berlins einzigartiges und wertvollstes Gut zu schützen, wie es der Koalitionssprecher Christophe Knoch formuliert.
Ausstellungshonorare für Bildende Künstler und eine Honoraruntergrenze für alle Freischaffenden fordert die Koalition in einem Zehn-Punkte-Papier, ebenso wie neue Ausstellungs- oder Spielorte und den Erhalt der bezirklichen Kulturförderung. Eine Umverteilung auf Kosten anderer Institutionen lehnt die Koalition jedoch ab.
In Hamburg gibt es die City Tax bereits
Statt sich um vorhandene, knappe Mittel zu streiten, suchen die Netzwerker frisches Geld für die Freie Szene. Verschaffen könnte es auf relativ einfachem Weg die geplante City Tax.
In Hamburg gibt es eine vergleichbare Abgabe bereits, dort profitiert auch die Freie Szene davon. In Berlin ist die Diskussion im Senat noch nicht abgeschlossen. Die Koalition der Freien Szene fordert die Hälfte der Einnahmen für die Kunst.
Ihr Argument ist so schlicht wie schlagend: Wer das Geld erwirtschaftet, dem soll es auch zugute kommen. Drei Viertel der Touristen bereisen Berlin wegen des Kunst- und Kulturangebots, wie eine Studie im Auftrag der Tourismus- und Kongressgesellschaft visitBerlin herausfand. „Was Berlin besonders macht ist die Dynamik, Wildheit, Vielfältigkeit der Kunst- und Clubszene. Tolle Opern und Museen gibt es auch woanders, das ist nicht das Alleinstellungsmerkmal Berlins“, erläutert Christophe Knoch. Das Image als Kulturmetropole ist profitabel: Für 2012 verkündete die Tourismusbranche einen neuen Besucher- und Übernachtungsrekord.
Paradoxerweise bedroht gerade die neue Attraktivität Berlins seine Vielfalt und Lebendigkeit. Geld schwappt in die Stadt. Freiräume werden knapp, und auch in Berlin lässt es sich von ein paar hundert Euro im Monat nicht mehr leben. 700 Ateliers schlossen in den vergangenen Jahren, vor allem aufgrund steigender Mieten. „Es stellt sich immer mehr der Subtext her: Wo ist eigentlich die nächste Stadt?“, so Knoch.
Das mag der Gang der Dinge sein, es ist schließlich nicht ewig Nach-Wende-Zeit. Auch Paris, London oder New York waren einmal Hochburgen der alternativen Lebensentwürfe, der brodelnd-kreativen Lebensstile – bis das Geld kam und die Szene weiterzog. Doch Berlin ist weder internationaler Finanzknotenpunkt noch Sitz nennenswerter Industrie oder internationaler Organisationen. Immaterielle Güter - Kunst, Kultur und Bildung – sind Berlins einziger Reichtum. Wird ihnen der Nährboden entzogen, kostet das Zukunft. Die City Tax bietet eine große Chance, wenn sie nicht dazu dient, Haushaltslöcher zu stopfen.