Vor 100 Jahren wurde die Büste von Nofretete in Ägypten geborgen. Das Neue Museum widmet der schönen Königin eine große Ausstellung.
Ägyptische Temperaturen, wir sind aber nicht am Nil, sondern am Kupfergraben in Mitte. Dicke Metalltüren schützen das heilige Reich der Nofretete. Hier im klimatisierten Depot des Ägyptischen Museums an der Museumsinsel befinden sich all die wertvollen Artefakte aus der hohen Zeit der schönen Königin. 5500 Grabungsobjekte – von rund 10.000 – gelangten nach der Teilung nach Berlin.
Und diese archäologische Sensation lagert heute in grauen, ausfahrbaren Schränken, die aussehen wie Spinde der Bundeswehr. Königlich wirkt in diesen Räumen nichts, alles nüchtern, doch Neuentdeckungen gibt es viele bei den Exponaten, die erst jetzt aufgearbeitet wurden. Die Herrscherin selbst residiert – sicherheitstechnisch hoch ausgestattet – an ihrem Stammplatz im Neuen Museum. Auf 400 Millionen Euro wird sie geschätzt, doch wer kann den Wert schon genau beurteilen?
Restauratorin Nina Loschwitz rückt mit weißen Baumwollhandschuhen an, zu fragil und ja, splittrig, sind die Objekte, um sie ungeschützt anzufassen. Zumal es sich großteils um winzige Teilchen handelt, Hunderte Bruchstücke von Statuen, Fliesen, Vasen, Schalen, dazu Schmuckfragmente von Ohrringen, Ketten. Quasi Nofretete-Design, teils noch nie öffentlich zu sehen: Loschwitz zeigt in ihrer rechten Handschuhhand Reste von Blättern, Blüten, Weinreben, Schlangen- und Entenköpfchen.
Wer in der Nofretete-Ausstellung "Im Licht von Amarna", die nächste Woche eröffnet, auf opulente Prunkvasen und dergleichen hofft, wird ob dieser bunten Splitterwirtschaft enttäuscht sein. "In den meisten Fällen sind es kleine, kaum daumenstarke Scherben, die aber ganz viel Kulturgeschichte erzählen können. Wenn man sich darauf einlässt", erklärt Friederike Seyfried, Direktorin des Ägyptischen Museums. Klassisch werden die Objekte im Neuen Museum in Vitrinen präsentiert, lange hat das Ausstellungsteam überlegt, ob man dem Besucher eine Lupe anbieten soll, damit er visuell näher rücken kann.
1912 wurde Nofretete geborgen
Über 600 Objekte werden rund um die blaue Königin zu sehen sein, die freilich im Mittelpunkt stehen wird, genau dort, wo sie immer herrschaftlich Hof hält. Demzufolge liegt ihr ihre Welt von Amarna buchstäblich zu Füßen. "Wir erwarten nicht, dass der Besucher alle Artefakte betrachtet. Wir wollen anhand der Masse darstellen, wie groß die kulturelle Hinterlassenschaft wirklich war", so Seyfried.
Zugegeben, wir hatten uns die Funde irgendwie etwas größer vorgestellt, die Ludwig Borchardt und seine Truppe von 1911 bis 1914 rund um die Königin bergen konnten. Es wird also in dieser Jubiläumsschau einmal nicht allein um Nofretete Superstar gehen, sondern um die Amarna-Zeit überhaupt, "um die Grabungen und vor allem um Nofretetes Umfeld, woher sie kommt. Damit schlagen die Museen einen Bogen zu ihren großen archäologischen Ausstellungen wie Halaf und Pergamon." Schließlich wird ein hundertjähriges Jubiläum gefeiert: Am Nikolaustag, dem 6. Dezember 1912, wurde ihre Büste in Tell el-Amarna geborgen. Die altägyptische Stadt wurde in kurzer Zeit errichtet und 1331 vor Christi aufgegeben. 30.000 Einwohner lebten damals dort, schätzt Seyfried.
Wer über Nofretete forscht, muss sich mit vielen Forschungsperspektiven auseinandersetzen. Seyfried kann darüber berichten. Bei ihrer Recherche machte sie einige Neuentdeckungen, die Borchardts Ergebnisse korrigieren. Der Experte fand bei seinen Grabungen damals beispielsweise sechs Stäbchen, etwas zusammengeklebt, je zwei in einer Gruppe. Er identifizierte sie als sogenannte Stoßschlüssel, zum Verschließen von Haustüren. Im Vergleich anderer Fundkontexte hat nun Seyfried herausgefunden, dass es sich um Nivellierungswerkzeuge von Handwerkern handelt. Borchardt fand in Amarna das, was dort zurückgelassen wurde, als die Menschen die Stadt verließen. Möbel, großer Hausrat und kostbare Dinge wurden mitgenommen. "Trotzdem ist es erstaunlich, was in der Erde zurückblieb", sagt die Direktorin.
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Allein 400 Funde der Ausstellung stammen aus der Bildhauerwerkstatt des altägyptischen Handwerkers Thutmosis. Dort, wo auch Nofretete gefunden wurde. Drei Häuser gehörten zur gesamten Wohnanlage, "gehobene Mittelklasse", scherzt Seyfried. Später in ihrem Büro wird die Ägyptologin einen Grundriss hervorholen und uns zeigen, wo Werkstätten, Wohnräume, Brunnen, Hof und Abfallgruben genau lagen, selbst dort gab es ja Objektfunde. Der Mann hatte offenbar gut zu tun, er erweiterte drei Mal.
Lauter Nümmerchen markieren auf dem Papier die exakten Fundorte. Seyfried deutet auf einen schmalen Durchgangsraum, P. 47.2 steht dort. Genau dort lag Nofretete, tief unter Sand verborgen in der Ecke. Deshalb hat sie nur wenig von ihrem leuchtenden Blau eingebüßt. Ihr Gatte Echnaton wurde etwas weiter oben gefunden, zerschlagen und der Witterung ausgesetzt. Da sah es mit der Farbe schon anders aus. "Die Ägypter konnten sehr, sehr gut mit Pigmenten und Bindemitteln umgehen. Gebunden wurde mit Knochen- und Fischleim oder mit Gänse- oder Enteneiern", meint Seyfried. Hühner gab es damals nicht.
Wie Nofretete zu einem Schönheitsideal wurde
Diese spezielle Farbigkeit ist es, die Nofretetes Strahlkraft und Wirkung bis heute ausmacht, sie zu einem Schönheitsideal werden ließ. So schmal, so ebenmäßig, so kühl: So etwas gab es vorher in der ägyptischen Kunst nicht. "Stellen Sie sich vor, Nofretete hätte keine Farbe, herausragend wäre die Büste immer noch, dennoch hätte sie einen anderen Stellenwert", sagt Seyfried. Draußen vor ihrem Direktorenbüro steht auf einem Sockel eine weiße Nil-Lady in Gips, tatsächlich hat sie eine recht anämische Wirkung, nicht zu vergleichen mit der echten Nofretete.
Borchardt ging damals davon aus, dass es sich bei Nofretetes Fundort um einen Modellraum handelte, in dem Bildhauer also ihre Vorlagen für weitere Bildnisse verwahrten. Nicht mehr als zehn Quadratmeter groß war der Raum. "Es drängt sich der Verdacht auf, dass in diesem Depot also die Bildhauerstücke eingelagert wurden. Als sie das Atelier auflösten, um die Stadt zu verlassen, haben sie schlicht aufgeräumt", so deutet es Seyfried. Mit endgültiger Gewissheit werden die letzten Geheimnisse um Nofretete nie ganz zu entschlüsseln sein.
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Auch die Sache mit ihrem fehlenden Auge gehört dazu. Borchardt schrieb in seinen Aufzeichnungen, dass er danach gesucht hätte, fand aber nichts. Offen bleibt ebenso, ob die Schöne tatsächlich ein Modell war, gefertigt, um in die Massenproduktion zu gehen. Wurde deshalb also das Auge ausgelassen, damit die Lehrlinge wussten, wie der Augenraum auszumalen war?
Das Urmodell, vermutet Seyfried, sei im Palast entstanden, denn Königinnen begeben sich bekanntlich nie in eine schnöde Werkstatt, um sich stundenlang porträtieren zu lassen. Deshalb gab es – wie vom Herrscher auch – ein möglichst perfektes und idealisiertes Bildnis der Dame vom Nil. Entdecker Borchardt notierte jedenfalls fasziniert in seinem Büchlein: "Beschreiben nützt nichts. Ansehen!"
Zurück im Depot des Ägyptischen Museums: Ein Kapitel der Ausstellung wird die reiche Alltags- und Wohnwelt Amarnas behandeln. Auffallend ist die Anzahl der Keramiken, noch dazu in diesem lichten, schönen Kobaldblau – damit wurden die Objekte noch vor dem Brennen bemalt, erklärt die Restauratorin Loschwitz. Um das zu illustrieren, wurden Blütengirlanden aus getrockneten Blüten rekonstruiert, um das herrliche Dekor eins zu eins für den Besucher sichtbar zu machen.
Einmalige Farbigkeit
Die höheren Beamten und das Militär lebten damals in einer Lehmziegelarchitektur, zweigeschossig, mit Erd- und Obergeschoss. Mit Nilschlamm wurde verputzt, die Bemalung reichte bis unter die Decke. Naturmotive fanden sich überall wieder, in den Intarsien der Möbel, auf den Fliesen, als Wandbemalungen. "Auch hier ist die Farbigkeit und Detailtreue einmalig", so Seyfried. Der edle Schmuck, etwa einzelne Glieder und Verschlüsse, sind auf schmalen Holztabletts geordnet. In lauter kleinen Pappkästchen, ein paar Zentimeter groß, liegen sie ausgebreitet wie beim Juwelier, wenn er Ringe auf schwarzem Samttableau zeigt. "Blüten", "25365" steht da auf einen Schächtelchen. Rosetten oder Lotusblüten waren en vogue. Die Restauratorin zeigt uns Reste eines Armreifs aus Keramik. Im Kopf setzt man sich den reich verzierten Ring als Ganzes zusammen.
In einem anderen Kästchen liegen Tonformen. Damit wurden Schmuckstücke gefertigt, indem die Masse dort hineingedruckt wurde. Noch sieht man weiße Ränder an den Förmchen, von der Paste. Doch Werkstattname oder den Namen des Meisters gab es nicht. "Es gab selbstverständlich Schulen und somit auch eine gewisse Hand. Doch wer diese war, ist nicht zuzuordnen."
Um dieses besser zu verstehen, wird es in der Schau einen Film geben und Illustrationen, die zeigen, wie diese alten Techniken funktionierten. Dann präsentiert Nina Loschwitz ganz vorsichtig einen Bumerang, besser gesagt, einen Rest davon. Jedenfalls ist er wunderbar bemalt. Nicht dafür gedacht, um damit wirklich in die Sümpfe zu gehen und Vögel zu jagen. So aufwendig angefertigt, war er als Grabbeilage für königliche Bestattungen vorgesehen.
Der Besucher wird Nofretete sehr nah kommen, erzählt Seyfried weiter. Es wird sie als Replik geben – für Blinde zum Anfassen. Doch ihre Geheimnisse wird sie nicht preisgeben.