Schon gleich zu Beginn gibt James Bond wieder alles. Eine Verfolgung im Basarviertel. Per Motorrad über die Dächer von Istanbul. Und ein Schlagabtausch mit Bagger (!) auf einem fahrenden Zug. Aber noch bevor er den Bösewicht erledigen kann, bekommt eine Ko-Agentin den Auftrag zu schießen. Ganz egal, ob 007 dabei auch getroffen wird. Der Befehl kommt von Bonds Chefin M höchstselbst. Also wird abgedrückt. Und James Bond fällt getroffen in die Tiefe. Wenn James Bond für eines stand, dann war das Unverwundbarkeit. Er hat sich die heftigsten Prügeleien geleistet. Mit allem, was irgendwie fährt, die krudesten Crashs gelandet. Und auch sonst spektakulärste Action absolviert, die man unmöglich überleben kann. Aber am Ende klopfte er sich maximal den Staub von der Schulter. Oder hatte mal für eine Szene einen Kratzer im Gesicht.
Kampfansage an Jason Bourne
Nicht so bei „Skyfall“, dem 23. und neuesten Bond-Abenteuer, das Dienstag in London uraufgeführt wurde und nächsten Dienstag in Berlin Deutschland-Premiere feiert. Bond fällt von einer Brücke, stürzt aus großer Höhe in einen See. Er treibt da im ganzen Vorspann wie Jason Bourne, der Anti-Bond. Der wollte damit Bond beerben, jetzt wird das Genre zurückerobert. Bond verschwindet. Und wird für tot gehalten. Das, immerhin, ist er nicht. Aber er hadert eine Weile. Weil er, im Gegensatz zu Bourne, weiß, was mit ihm passiert ist. Dass ihn seine Chefin nämlich eiskalt geopfert hat. Und als er doch zurückkehrt, muss er erst mal durchgecheckt werden. Ob er noch in der Lage ist, seinen Job zu machen. Er fällt bei allen Tests durch.
James Bond muss seine Ehre retten. Der letzte Film, „Ein Quantum Trost“, wurde Opfer der Hollywoodkrise. Während des dortigen Drehbuchstreiks wurde teils schon gedreht, ohne dass das Script endgültig ausgefertigt war. Das sah man dem Werk auch deutlich an. Und dann wurde Bond auch ein Opfer der Finanzkrise. Das hauseigene Studio MGM stand lange in Konkurs, und sein Vorzeigepferd mit ihm. Vier lange Jahre musste man deshalb auf den nächsten Film warten. Und da wird der Agent mit der Lizenz zur ewigen Wiederkehr nun einer grundlegenden Inspektion unterzogen. Und das passt ganz gut zu seinem 50. Kinojubiläum. Nicht nur Bond, alle Protagonisten dieses Films müssen sich die Frage stellen, ob sie noch zeitgemäß sind.
Bei Q gibt’s keine Gadgets mehr
Die erste, die das tun muss, ist der Boss selbst. Judi Dench ist seit „GoldenEye“ die Chefin der Doppelnullen. Doch bisher gab sie nur Befehle. Diesmal steht sie selbst unter Beschuss. Eine Datei mit allen Namen verdeckt ermittelnder Nato-Agenten wurde entwendet. Der Rücktritt wird ihr nahegelegt, ein Nachfolger steht mit Ralph Fiennes, der in „Harry Potter“ noch auf der Seite des Bösen stand, auch schon parat. Und was Craigs Vorgänger Pierce Brosnan in „GoldenEye“ vorwarf, dass sie ihn für antiquiert und für ein Auslaufmodell hält, das genau kriegt sie jetzt in einem Untersuchungsausschuss von der Frau Ministerin gesagt..
Dann ist da noch der neue Quartiermeister. Als man mit dem neuen Bond Daniel Craig einen Reboot der Serie startete, hat man mit vielen der alten Gags radikal Schluss gemacht. Mit Miss Moneypenny im Sekretariat. Und mit dem tatterigen Technik-Tüftler im Labor. Nun, in Craigs dritten Abenteuer, wird wieder ein Q eingeführt. Aber nicht ein Greis wie Desmond Llelewyn, der diese Rolle in 17 Filmen verkörpert hat. Sondern ein blutjunger Naseweis (Ben Whishaw), der eher ein Computernerd ist und den alle hänseln, dass er noch Pickel hat, dass er nicht alt genug ist. Kleine Überraschungen zaubert er nicht aus der Kiste. „Haben Sie explodierende Stifte erwartet?“, sagt er knapp. So was machen wir nicht mehr.“ Die neue Generation tüftelt am Computer.
Konflikte statt Action-Salat
Dann aber ist es vor allem James Bond selbst, dessen Einsatzfähigkeit infrage gestellt wird. Der Schuss hat ihn nachhaltig verwundet, kaum trifft er noch ins Schwarze, wenn er schießt. Und auch ihm legt der potenzielle Nachfolgechef Fiennes nahe, ob der Abschuss nicht die ideale Möglichkeit für einen sauberen Rückzug wäre. Die Ironie: Auch der Gegenspieler, (der Spanier Javier Bardem mit unsäglicher Frisur) ist, wie sich bald herausstellt, ein Spion aus den eigenen Reihen. Auch er einer, den M geopfert hat. Und der sich nun rächen will. Muss 007 diesen Mann nicht aus innerstem Herzen verstehen?
Die frühen Bonds waren vor allem eines: reine Action. Kino für Jungens. Daran hat sich bis Pierce Brosnan eigentlich nur wenig geändert. Erst mit dem Reboot ist die legendäre Figur erwachsen geworden, ein Mensch mit Abgründen, Fehlern und Wunden. Javier Bardem darf sogar mit dem Finger auf seine Schusswunde drücken. Der Film tut gleiches über 140 Minuten lang. Auch dass mit Sam Mendes erstmals ein Oscarpreisträger und nicht nur ein Action-Routinier Regie führt, zahlt sich aus. Hier macht einer nicht nur seinen Job, hier muss einer ständig auch innere Konflikte austragen.
Diesmal ist M das Bond-Girl
Die üblichen Bond-Rituale: Sie werden schnell abgehakt. Ja, der Name wird genannt, im Casino, wie so oft. Aber der Martini ist schon bestellt, bevor die Kamera dabei ist, wir sehen nur, wie Bond verfolgt, ob er auch richtig zubereitet wird. Der Showdown findet nicht in exotischen Kulissen statt, sondern erstmals an Bonds direkter Schaltstelle, in London. Und der Gegenspieler will mal nicht die Weltmächte gegeneinander ausspielen oder sonst blinden Terror üben. Die Zielscheibe ist diesmal der MI6 selbst.
Und dann die Girls. Naomie Harris ist wohl die erste Koagentin Bonds, die nicht tot im Pool endet. Bérénice Marlohe ist nach Honor Blackman wohl das älteste Bond-Girl aller Zeiten, doch diesmal gib es keine finale Kussszene mit Schlussgag. Nein, das Bondgirl in „Skyfall“ ist - die Chefin selbst. Das ist nicht falsch zu verstehen, Bond kommt in keine späte Harold-und-Maude-Phase.
Aber diesmal gerät M ins Schussfeld, und Bond ist der Mann, der nach kurzem Zögern für sie einsteht. Am Ende versteckt er sie sogar im Haus seiner verstorbenen Eltern, einem einsamen Cottage in Schottland. So viel Informationen über den Mann hinter der Nummer gab es in allen 22 bisherigen Bond-Filmen nicht. Und am Ende wird die Dauerfrage des Films nach dem Zeitgemäßen von allen Protagonisten beantwortet. Nämlich so: „Manchmal ist das Bewährte doch das Beste.“ Damit haben die Bond-Produzenten sinnig alle möglichen Einwände von Bond-Kritikern im Keim erstickt. So wie die Figur hier entwickelt wird, wird sie wohl auch noch 50 weitere Jahre bestehen.