Von wegen, man lebt nur zweimal. Totgesagte leben länger. Wie viele Abgesänge wurden bereits auf James Bond gesungen, wie oft schon behauptet, die Serie sei ausgereizt. Zuletzt stand die Filmfirma MGM kurz davor, Pleite zu gehen, was vielleicht wirklich das Ende von 007 gewesen wäre. Aber nichts da: Am 1. November kommt der neueste, inzwischen 23. Bond-Film ins Kino, „Skyfall“. Die Deutschland-Premiere wird bereits am 30. Oktober 2012 in Berlin gefeiert. Die Bond-Reihe ist weltweit die langlebigste, erfolgreichste und, nicht nur was Ticketeinnahmen, sondern auch was Marketingartikel anbelangt, einträglichste Serie der Filmgeschichte. Und kein Ende in Sicht.
Das war natürlich noch nicht abzusehen, als heute vor 50 Jahren der erste Film, „Dr. No“, ins Kino kam. Die Produktionskosten lagen damals noch bei unter einer Million Dollar, ein Klacks im Vergleich zu den heutigen Produktionen, selbst wenn man die Inflation einrechnet. Der Hauptdarsteller war eine Verlegenheitslösung, weil James Mason nicht mehr als zwei Filme drehen wollte und Cary Grant zu viel Gage verlangte. Der noch weithin unbekannte Schotte namens Sean Connery soll sich bei seinem wichtigsten Satz immer wieder verhaspelt haben („Mein Name ist Bond, Sean Bond“). Sowohl Q als auch das technische Spielzeug fehlten noch ganz, und selbst der Martini war hier nur „trocken und nicht umgerührt“.
Ein haariges Marshmallow
Auch die Kritiken fielen nach der Premiere am 5. Oktober 1962 im Londoner Pavillon-Kino eher verhalten aus. „No, no, a thousand times no“, lästerte die „Times“ über „Dr. No“ und nannte Connery ein „haariges Marshmallow“. Auch der „New Yorker“ urteilte nach dem amerikanischen Kinostart, der erst ein halbes Jahr später erfolgte, vernichtend, das alles sei „ganz einfach brausender Unsinn von Anfang bis Ende“. Dass der Kreml und der Vatikan den Spion mit der Lizenz zum Töten unisono, wenngleich aus unterschiedlichen Weltsichten, verteufelten, dürfte die Rezeption indes eher gefördert haben. Und dass John F. Kennedy schon vorab in einer Umfrage der Zeitschrift „Life“ unter seinen zehn Lieblingsbüchern Ian Flemings „Liebesgrüße aus Moskau“ nannte, war wohl die beste Werbung für den Film. Kein Gegner kam gegen Bond an, weder die verrückten Weltvernichter in den Filmen noch die Kritiker in den Kinos. Spätestens mit dem dritten Bond, „Goldfinger“ von 1964, war die Bonditis ausgebrochen. Und noch heute bekommen nicht nur kleine Jungen große Augen, wenn die Doppelnull wieder im Geheimdienst Ihrer Majestät elaboriert.
Siegfried Tesche, ein deutscher Bond-Experte, der zu jedem neuen 007-Film verlässlich ein neues 007-Buch veröffentlicht, ist sich sicher, dass Bond auch noch sein 100. Kinojubiläum feiern wird. Weil man, so seine These, „eine Art Formelfilm gefunden hat, der funktioniert und den man immer wieder wiederholt.“
Ganz so einfach ist es indes nicht. Natürlich funktionieren die Filme nach dem Schema F: erst das berühmte Intro mit dem Pistolenlauf, eine erste Action-Sequenz, ein spektakulärer Vorspann mit tanzenden Frauensilhouetten und einem Popsong, mit legendären Bösewichtern und deren – oft deutschen – Handlangern, mit atemberaubend schönen Bond-Girls und, ganz wichtig, den heißen Schlitten und all die kindlich-verspielten und doch tödlich ernsten Trickspielzeugen.
Aber wollen wir wirklich immer denselben Film sehen? Natürlich wartet man auf die immer gleichen Stereotypen (die Vorstellung mit Namen, die Bestellung des Martinis, das Geplänkel mit Moneypenny), aber doch nur, weil sie in immer neuen Abwandlungen geboten werden. Die Variation des Immergleichen. Dazu gehört letztlich auch der Darsteller selbst. Den Geheimagenten, der in voller Ironie und Verkehrung realer Verhältnisse, ein schamloses Luxus-Jet-Set-Leben in der Öffentlichkeit führt – und dabei auch noch, alle Tarnung verachtend, seinen echten Namen angibt –, diesen Agenten des MI5 haben bislang sechs verschiedene Schauspieler verkörpert, sieben, wenn man einen frühen, aber weithin unbeachteten US-Fernsehfilm von 1954 mit Barry Nelson hinzurechnet.
Und das ist die Stelle, an der wir jetzt die Kinderschokolade ins Spiel bringen müssen. Denn so wie sich jede Zeitung alle fünf Jahre im Erscheinungsbild ein wenig verändern muss, um nicht irgendwann altbacken auszusehen, so wie selbst Fernsehfossilien wie die „Tagesschau“ oder das „heute“-Journal sich in immer spacerige Outfits kleiden muss, um noch up-to-date zu erscheinen, so müssen sich halt alle etablierten Marken mit der Zeit wandeln. Wie besagte Schokolade. Wir sind mit ihr groß geworden. Wir haben sie geliebt. Und immer lächelte uns dabei seit 1973 auf der Verpackung ein strahlender Junge an mit den immer gleichen, makellos weißen Zähnen. Aber immer sah der Bub ein wenig anders aus. Sein Bild wurde mehrfach retuschiert, um es den wechselnden Moden anzupassen. 2005 wurde der Bub schließlich komplett ausgetauscht, trotz eines kollektiven Aufschreis.
Bei Bond ändert sich, zugegeben, nicht nur das Männlichkeitsideal. Die Schauspieler werden einfach zu alt. Sean Connery, der vielen immer noch als „Ur-Bond“ gilt, hätte, wäre es nach den Fans gegangen (und nach den Produzenten sowieso), immer so weitermachen können, war aber zunehmend genervt von dem weltweiten Rummel und so bislang der Einzige, der freiwillig seine Doppelnull-Lizenz abgelegt hat (wiewohl er gleich zwei Mal rückfällig wurde, einmal offiziell, 1971 in „Diamantenfieber“, und einmal 1983 im inoffiziellen, im Gegenbond „Sag niemals nie“). Nicht jeder hat rechtzeitig erkannt, wann es Zeit ist, zu gehen. Roger Moore etwa wirkte bei seinem letzten Einsatz in „Im Angesicht des Todes“ recht bemüht, sowohl was die Action- als auch was die Bettszenen anging. „Im Angesicht des Alters“ hätte man den Film besser bezeichnen sollen.
Das Schokoladensuchtstoffprinzip
Aber im Prinzip funktioniert James Bond nach dem Kinderschokoladenprinzip: Stets muss der Frontmann in der klassischen Position, leicht geduckt, leichter Ausfallschritt, mit der Pistole posieren. Dieselbe Unantastbarkeit, dieselbe Unverwundbarkeit an den Tag legen. Und so den Suchtstoff (das Naschwerk hier, die Action da) als unbedenklich verkaufen. Und Verlässlichkeit ausstrahlen.
Es hat radikale Umbrüche in der Serie gegeben. Wie Roger Moore Sean Connery beerbte, beispielsweise. Statt Zynismus gab es plötzlich Sarkasmus, statt Erotik Ironie, statt schmalen Zigaretten rauchte Bond plötzlich Zigarren und trug auch sonst dicker auf. Aus dem Macho-Man wurde eine Witzfigur. Oder Pierce Brosnan: Dass der als Bond nicht mehr Anzüge in Londons Savile Road, sondern vom italienischen Ausstatter Brioni maßschneidern ließ und nicht mehr länger Aston Martin fuhr, sondern den neuesten Roadster aus dem teutonischen Hause BMW, das die heimischen Traditionsunternehmen Rolls Royce teils und Rover ganz aufgekauft hatte, das brachte das britische Selbstverständnis ins Wanken.
Die radikalste Zäsur aber wurde mit Bond Nr. 6, Daniel Craig, gesetzt. Als ob er gerade erst vom Secret Service angeheuert worden wäre. Kein Q. Keine Spielzeuge. Und wie ihm der Martini zubereitet wird, schert ihn einen Dreck. Es blieb spannend, ob man das alte Erfolgsrezept damit gänzlich über Bord werfen würde. Aber siehe da: Im dritten Craig-Bond „Skyfall“ wird nun wieder der Tüftler Q eingeführt, den nun nicht mehr ein alter Tattergreis, sondern der noch blutjunge Ben Wishaw, Hauptdarsteller aus Tykwers „Parfum“, spielt. Gut möglich, dass in Bond Nr. 24 auch wieder eine Miss Moneypenny im Sekretariat sitzen wird.
James Bond ist der Agent mit der Lizenz zum Liften. Durch die wechselnden Darsteller muss sich die Serie notgedrungen immer wieder neu erfinden. Und besorgt sich auf diese Weise eine stete Frischzellenkur. Das aber ist nur scheinbar eine Verlegenheitslösung. In Wirklichkeit löst es das große Mantra in der Wirtschaft ein, wonach alles immer im Fluss bleiben und sich rekreieren muss. Das Gleiche bieten, aber immer in neuester, stets top-moderner Verpackung. Wie beim Schokoladen-Jungen kann es dabei zu einem Aufschrei kommen, aber auch Konsumenten müssen eben mit der Zeit gehen.
Hier spielt denn auch die Ausstattung des Agenten, nicht nur tricktechnisch, eine entscheidende Bedeutung. Mit jedem Bond-Film wird erneut über Product Placement geschimpft, wie dreist Schleichwerbung betrieben wird. Aber die Accessoires funktionieren wie die Frisuren der Bond-Girls: Sie geben den jeweils letzten, neuesten Schrei wieder. Der Formelfilm, das Schema F, funktioniert nur wirklich, wenn alles auf der Höhe der Zeit ist. Die alten Connery-Filme kann man sich heute schon mit nostalgischem Blick anschauen: Seht, so waren die sechziger Jahre. Auch wenn wir „Skyfall“ in zehn Jahren noch mal sehen und Daniel Craig längst ausgemustert ist, werden wir sagen: Guckt mal, die Frisuren! Guckt mal, die Karosserie! 007 ist Zeitgeist pur. Wenn man diese Formel beibehält, wird 007 wohl auch noch mit 100 Jahren seinen Mann stehen.