Mathematik ist nicht jedermanns Sache. Auch Detlev Buck soll in der Schule nur so Mittelmaß gewesen sein. Zuletzt musste er aber ganz schön mit Zahlen spielen. Er hat „Die Vermessung der Welt“ verfilmt, nicht nur irgendein Buch, ein Bestseller, ein Welterfolg. Und ein zweischneidiges Schwert. Weil es eine Doppelbiographie war von zwei Leben, die sich nur kurz berührten. Von zwei Wissenschaftlern zudem, die sich mit Materien beschäftigten, die sich dem einfachen Sachverstand, gelinde gesagt, nicht immer erschließen. Der Mathematiker Carl Friedrich Gauß und der Welterkunder Alexander von Humboldt haben beide die Welt vermessen. Der eine, indem er in fernste Fernen reiste, der andere, indem er zu Hause blieb. Beider Leben aber wurde mehr durch Zahlen denn durch Taten bestimmt. Das ist nicht eben das, was man kinotauglich nennt.
Man darf den Versuch also in des Wortes anderer Bedeutung als vermessen finden, wenn man Kehlmanns Roman als Großprojekt verfilmt. Mit zahlreichen deutschen Stars und als erste größere heimische Produktion in 3D. Herr Buck musste dafür selbst mit Zahlen jonglieren: Weil die 3D-Technik 15 Prozent mehr Kosten verursachte, soll die Drehzeit von 47 auf 31 Tage reduziert worden sein. Die letzte Rechnung aber steht noch aus. „Die Vermessung“ feiert heute seine Berlin-Premiere und kommt dann am 25. Oktober in die Kinos. Also nur eine Woche vor dem neuesten Bond-Film „Skyfall“. Craigs dritter 007-Einsatz wird flächendeckend die Kinos beherrschen. Wer, die Frage sei erlaubt, mag da noch Wissenschaftler im historischen Gewand sehen?
Gleich vier Premieren in Berlin
Es hat lang genug gedauert. Der Kinosommer gab sich ja, übrigens ganz im Einklang mit dem Sommer selbst, eher mau. Jetzt aber, pünktlich zum Ladenschluss der Straßencafés, werden fast im Wochenrhythmus gleich vier Großfilme gestartet. Und alle feiern auch noch Premiere in Berlin. Den Anfang macht „Die Vermessung“ heute am Potsdamer Platz, zwei Wochen später, am 30. Oktober, werden Daniel Craig und der erste oscar-gekrönte Bond-Regisseur Sam Mendes „Skyfall“ vorstellen. Sechs Tage später, am 5. November, folgt dann, wieder am selben Ort, die Premiere von „Wolkenatlas“, der zehn Tage später in die Kinos kommt. Noch so ein unverfilmbares Buch, dem sich gleich drei Regisseure angenommen haben. In einer bislang einmaligen logistischen Anstrengung haben der „Parfum“-Regisseur Tom Tykwer und die „Matrix“-Macher Lana und Andy Wachowski den Film gleichzeitig gedreht. Da er aus sechs Einzelepisoden besteht, eigentlich kein Problem. Da aber alle Stars in mehreren, wenn nicht in allen Episoden mitspielen, dann doch wieder ein Bravourstück.
Und schließlich kommt am 22. November dann noch der letzte „Twilight“-Film „Bis(s) zum Ende der Nacht - Teil 2“ ins Kino. Die Kids müssen da ganz stark sein: Erst im vergangenen Jahr galt es, nach fast einer Dekade Abschied von Harry Potter zu nehmen. Jetzt ist auch das letzte Herzblut um die Liebe einer Sterblichen zu einem Vampir unwiderruflich ausgesaugt. Berlin ist die letzte Station einer wahren Premierenweltreise, zu der sich die Stars Robert Pattinson, Kristen Stewart und Taylor Lautner am 16., wiederum am Potsdamer Platz, am roten Teppich feiern lassen.
Detlev Buck wird richtig wütend
So viel Großfilme in so kurzer Zeit. Da bleibt die Frage: Wer wird wem die meisten Zuschauer abluchsen? „Die Vermessung der Welt“ lockt mit Frauenschwarm Florian David Fitz, mit Stars wie Kati Thalbach und David Kross, Gastauftritten von Leander Haußmann und Sven Regener. Und natürlich ließ Buck es sich nicht nehmen, selbst einen kleinen Auftritt in seinem Kostümfilm zu absolvieren: als, so steht es in der Liste, „wütender Mann“.
In Bond Nr. 23 muss 007 einmal nicht nur die Welt retten, sondern vor allem seine Chefin. Nachdem mit Daniel Craig ein Reboot der Serie gestartet wurde, kommt in seinem dritten Abenteuer nun erstmals wieder der Techniktüftler Q zum Zuge, kein alter schrulliger Kauz mehr, sondern quasi von einem Bürschchen gespielt, Ben Whishaw aus, Obacht!, Tykwers „Parfum“. Da dürfte wohl im nächsten Film auch Miss Moneypenny wieder auftauchen. Judi Dench als M ist dann vermutlich nicht mehr dabei. In „Skyfall“ gerät sie in die Schusslinie, weil eine Liste mit verdeckt operierenden Top-Agenten verloren ging. Und weil Ralph Fiennes eine Rolle als Regierungsbeamter übernahm, wird schon kräftig spekuliert, ob er sie am Ende von „Skyfall“ als Chef des MI6 beerbt.
Wie oft erkenne ich meine Stars?
„Wolkenatlas“, in Babelsberg gedreht, liefert „Vermessung“ und Agenten-Action in einem, erzählt doch die erste Episode ebenfalls von einem Weltenforscher im 19. Jahrhundert, während die letzten beiden High-Tech- und dann auch wieder ganz archaische Verfolgungsjagden in ferner Zukunft bieten. Hier darf man Strichlisten machen, wie oft man Tom Hanks, Halle Berry und Hugh Grant in ihren bizarren Masken wiedererkennt. Und hier ist noch ein- bzw. fünf Mal, Ben Whishaw, der Q aus Bond, zu erleben.
Am Zahn der Zeit nagt dagegen der letzte „Twilight“-Teil. Der wurde mit dem vorherigen Teil zusammen gedreht, vom Oktober 2010 bis März 2011, und kommt nur zeitversetzt ins Kino, um die Kuh möglichst lange melken zu können. Zwischendurch hatte Hauptdarstellerin Kristen Stewart bekanntlich eine Affäre, was ihren Partner nicht nur im Film, Robert Pattinson, ausrasten ließ. Entweder ist ihre ganze Affäre nur geniale PR-Vermarktung oder in ihr steckt mehr Leidenschaft, als sie es in Stephenie Meyers prüder Welt je zeigen durften. Dem Film wird’s zugute kommen: Mehr Öffentlichkeitsarbeit ist da gar nicht mehr nötig.
Fragt sich nur, ob die Filmverleiher sich einen Gefallen tun, wenn sie ihre Großprojekte so zeitnah ins Kino platzieren. Der Kinozuschauer kann davon allerdings nur profitieren: Er hat endlich einmal wieder die Wahl.