Die Leute standen Schlange: Durch Blockbuster-Ausstellungen des New Yorker MoMA und Metropolitan Museum machte sich die Neue Nationalgalerie einen Namen, dabei geriet die eigene, reiche Sammlung mit Dix, Kirchner & Co. allerdings immer stärker ins Abseits. Unter neuer Leitung von Museumschef Udo Kittelmann ist nun die eigene Kollektion in den Mies-van-der-Rohe-Bau zurückgekehrt – und der gläserne Tempel der Moderne zu sich selbst. Die Barcelona-Stühle wurden wieder aufgestellt, zwei Tische renoviert, der Teppich von 1968 aus- sowie der Grafikraum freigelegt.
Diese „Wiedergeburt“ der Sammlung hat einen kulturpolitischen Kontext. Sie ist der erste Schritt hin zu einer „Galerie des 20. Jahrhunderts“ – mit dem Schwerpunkt Klassische Moderne, die das urban-öde Kulturforum künftig als „Museumsinsel Nr. 2“ aufwerten soll, so die Planungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. „Die Moderne gehört dahin, wo sie ihren Ausgang fand und später zerschlagen wurde. Das ist Berlin ihr schuldig“, sagt Museumsgeneral Michael Eissenhauer. Die Rochade der Gemäldegalerie auf die Museumsinsel bliebe nach wie vor erklärtes Fernziel. Nächster Schritt ist vorerst die notwendige Sanierung samt Erweiterung der Neuen Nationalgalerie, die damit künftig auch die Sammlung Pietzsch mit ihren Surrealisten als Schenkung aufnehmen kann.
Die Moderne in der Nationalgalerie begann mit Ludwig Justi
Nun gibt es verschiedene Ansätze, wie man eine Sammlung präsentieren kann. Kittelmanns kluge Inszenierung, die bewusst nicht auf Event setzt, reflektiert die eigene wechselhafte Geschichte der Sammlung gleich mit. Die Moderne in der Nationalgalerie begann mit Ludwig Justi – er richtete 1919 im Kronprinzenpalais die „Galerie der Lebenden“ ein – als Dependance des auf der Museumsinsel gelegenen Stammhauses.
Es folgt der Aufstieg Hitlers, die Säuberungsaktion, die Teilung Deutschland und die damit verbundene Aufspaltung der Sammlung Ost und West, die unterschiedliche Sammlungspolitik, ihre Wiedervereinigung – all dies ist gleichsam mit eingeschrieben. Kein anderes Museum war durch die braune Hatz derart stark getroffen wie die Berliner Abteilung. Fast der gesamte Bestand, etwa 500 Werke, wurde in der Münchner Schau „Entartete Kunst“ präsentiert. Ein Coup ist die ergänzende „Schattengalerie“ – unauffällige schwarzweiße Reproduktionen ersetzen jene Originale, die durch den Raubzug der Nazis vernichtet wurden; darunter Franz Marcs Meisterwerk „Turm der blauen Pferde“, 1937 beschlagnahmt, 1940 von Göring für seine Sammlung annektiert, seit 1945 verschollen.
Kittelmann liegt nichts ferner, als eine gemeinhin brave, chronologische Abhandlung der Klassischen Moderne von 1900 bis 1945 im Kanon als Abfolge von -Ismen. Er liebt es, inszenatorische Hasenfüße zu schlagen, spielt clever mit Reverenzen, Querverweisen, Sprüngen und spannungsreichen Dialogen. Und er holt Künstler wie Oskar Nerlinger („Funkturm“) oder Curt Querner („Agitator“) aus dem Depot, die nicht in der ersten Liga der Avantgarde spielten, im Westen weniger bekannt sind, durchaus aber eigene Wege gingen.
Charlie Chaplin als Schirmherr der Schau
Die Schau wechselt zwischen Künstler-, Themen- und Epochenräumen, auf hell folgt dunkel, auf Leere Fülle, auf eine Raumflucht eine Nische mit Durchblicken, auf Figürliches Abstraktes. Ein melancholischer Karl Hofer trifft auf seinen Schüler, den früh-abstrakten, farbprallen Nay. Die Avantgarden zeigen sich im losen Nebeneinander mit all ihren Brüchen und ihrer Disparatheit, eingekesselt zwischen den Weltkriegen. Zunächst wurde der Erste Weltkrieg von vielen Künstlern als Aufbruch verstanden, doch dem folgte das Trauma der Zerstörung. Beckmann malte „Adam und Eva“, einen deformierten Akt, der an eine makabre Leichenschau erinnert. Einige Räume weiter betreiben Karl Schmidt-Rottluff und Ernst Ludwig Kirchner mit ihren „Badenden“ einen farbglühenden Eskapismus in naturhafte Gefilde.
Als „geistiger Schirmherr“ über der Schau wacht Charlie Chaplin mit seinem Film „Modern times“ (1936). Nicht nur eine Persiflage auf die Arbeitswelt, sondern ebenso eine Attacke auf den Technikglauben. Neben dem Film thront ein Berliner Bär (1932) von Renée Sintenis – das spätere Modell für die Berlinale-Auszeichnung. Die Vergangenheit blickt nach vorne.
Ab 12. März. Neue Nationalgalerie, Potsdamer Straße 50, Berlin-Tiergarten. Tel.: (030) 266424510. Öffnungszeiten: Di/Mi/Fr 10-18 Uhr, Do 10-22 Uhr, Sa/So 11-18 Uhr. Bis Herbst 2011.