Wagners "Rienzi"

Hitlers Lieblingsoper hat in Berlin Premiere

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Volker Blech

Foto: dpa

Wenn "Rienzi", die Jugendsünde Richard Wagners, an der Deutschen Oper ihre Premiere feiert, müssen Dirigent Sebastian Lang-Lessing und Regisseur Philipp Stölzl zeigen, dass sie die Fallstricke des Werkes bewältigt haben. Denn "Rienzi" hat eine Nazivergangenheit, schon weil sie die Lieblingsoper Hitlers war. Dabei war sie bereits 1842 uraufgeführt worden.

Wenn sich heute in der Deutschen Oper der Vorhang für die große Premiere von Richard Wagners "Rienzi" hebt, wird Sebastian Lang-Lessing im Orchestergraben alle Fäden zusammen halten. In den Proben zeigte er sich gelassen, ein cooler Dirigent. Mit dem Opernhaus ist er allerdings auch bestens vertraut, der gebürtige Gelsenkirchener war ab 1993 ein künstlerisches Ziehkind des großen Regie-Intendanten Götz Friedrich. "Er war mein Mentor", sagt Sebastian Lang-Lessing im Gespräch.

Er stellt Friedrich in eine Reihe mit Maurice Béjart und Placido Domingo. Von Götz Friedrich hat er offenbar gelernt, dass die Oper "nach dem Prinzip der Loyalität, des gegenseitigen Respekts und der Demut gegenüber den Werken" funktioniert. Ein wenig habe sich das Klima aber schon verändert, sagt er: "Der Opernbetrieb ist etwas schnelllebiger geworden."

Nach Götz Friedrichs Tod hat Lang-Lessing das Haus endgültig als Chefdirigent in Richtung Frankreich verlassen. Derzeit ist er Chef des Tasmanian Symphony Orchestra, quasi Musikchef im Inselparadies im Süden Australiens. Es gäbe dort ein intensives gesellschaftliches Leben, betont er, ansonsten gehe er einfach gern am Strand spazieren. Irgendwie zieht es ihn wohl gern in den Süden von Kontinenten: Im Mai wird er in Südafrika zur Fußball-Weltmeisterschaft die Neuproduktion des "Rosenkavaliers" an der Cape Town Opera leiten. Der Doppelname des Dirigenten weist übrigens auf eine große Verwandte hin: Er ist ein Großneffe der britischen Literaturnobelpreisträgerin Doris Lessing.

Für Jurowski eingesprungen

Zu diesem Berliner "Rienzi" ist Lang-Lessing erst Ende Dezember gekommen, er war für Michail Jurowski eingesprungen. Ein schöner Zufall für den Dirigenten, Jahrgang 1966, der nach wie vor seine Wohnung in Berlin hat, aber in den letzten Jahren nur herkam, um mehr oder weniger zu relaxen. Nach neun Jahren künstlerischer Abwesenheit macht er wieder eine Produktion daheim in Berlin. Die große tragische Oper über das Schicksal des Volkstribuns Cola di Rienzi hat er bereits vor einigen Jahren bei den Antikenfestspielen in Trier gemacht. Zuletzt war die Oper in Berlin in der Regie von Christine Mielitz Anfang der 90er-Jahre an der Komischen Oper zu sehen. Aber die Produktion war ein beim Publikum ungeliebtes Kind, es gab für Wagnersche Verhältnisse nur wenige Vorstellungen.

Die "Jugendsünde" Wagners hat mehrere Fallstricke, über deren Überwindung sich Dirigenten und Regisseure mehr als bei anderen Opern zu verständigen haben. Die Inszenierung sei "klug gebaut und konsequent durchgeführt", sagt der Dirigent. Regisseur Philipp Stölzl hatte sich vorrangig mit der Rezeptionsgeschichte und den Diktatoren des 20. Jahrhunderts auseinander zu setzen. Denn "Rienzi" hat auch eine Nazivergangenheit, einfach weil sie die Lieblingsoper Hitlers war. Dirigent Lang-Lessing, typisch Musiker, möchte das lächelnd beiseite schieben: "Hitler war auch Vegetarier und aß gern Käsekuchen". Mag sein, dass Käsekuchen die braunen Zeiten unbelasteter als "Rienzi" überstanden hat. Aber historische Tatsache bleibt, dass die Oper im Dritten Reich - und bereits vorher - gern im propagandistischen Umfeld der Nazis benutzt wurde.

Der halbwüchsige Hitler hatte im Stehparkett der Linzer Oper eine "Rienzi"-Aufführung erlebt und noch Jahrzehnte später glücklich bekannt: "In jener Stunde begann es!" Die Oper erzählt die Geschichte eines spätmittelalterlichen Tribunen, der das Volk aus der Knechtschaft in die Freiheit führen will, aber schließlich am Unverständnis der Plebejer scheitert und den Untergang wählt. Hitler sah sich als Rienzi. Über dessen Verhältnis zu "Rienzi" schrieb der Historiker Joachim Fest: "Der Ruhm jedenfalls, den er sein Leben lang gesucht hatte, war niemals nur der eines Staatsmanns gewesen, des Herrschers über einen autoritären Wohlfahrtsstaat oder der des großen Feldherrn. Für jede dieser Rollen war, neben vielem anderen, zuviel Wagner und zuviel Untergangsverlangen in ihm." Mit Hitler untergegangen ist auch die Originalpartitur des "Rienzi". Winifred Wagner hatte sie ihm 1939 zum 50. Geburtstag geschenkt.

Lang-Lessing meint, dass der Komponist Richard Wagner nicht für etwas in Haftung genommen werden könne, was 100 Jahre nach Entstehung der Oper andere daraus gemacht haben. Als Musiker schaut er lieber auf die Entstehungsumstände und ist voller Bewunderung für das 1842 in Dresden uraufgeführte Werk und seinen Schöpfer. Inmitten einer Zeit der Restauration, in der jeder, der innerhalb dieser Kleinstaaterei selbstbewusst das Wort "deutsch" aussprach, als Revoluzzer verdächtig wurde, komponierte ein junger Mann eine Oper, in der die Adligen zerschlagen werden sollen. Was für ein Mut!

Nicht für Bayreuth würdig

Und musikalisch hält der Dirigent das Stück für weit unterschätzt. Ein berühmtes Bonmot des Dirigenten Hans von Bülow spricht deklassierend "von Meyerbeers bester Oper". Lang-Lessing hält es für dumm, solche Bonmots zu benutzen. "Das machen nur Leute mit Halbwissen", sagt er, "jene, die auch gerne ,Faust' zitieren, ohne ihn gelesen zu haben." Der Dirigent hält den "Rienzi" für ein Stück "Musikgeschichte im Mikrokosmos". Aus seiner Sicht haben wir vor allem deshalb ein Problem mit Wagners Frühwerk, weil wir von der Spätromantik geprägt sind. Lang-Lessing würde überhaupt gerne mehr Werke aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Repertoire der Häuser wiederfinden.

Richard Wagner selbst fand seinen "Rienzi" nicht für Bayreuth würdig. Seine Nachfahrinnen, die neuen Festspielleiterinnen Eva Wagner-Pasquier und Katharina Wagner, überlegen aber inzwischen, die Oper in den Kanon des Festspielbetriebs aufzunehmen. 2008 hat Katharina Wagner die Oper in Bremen inszeniert. "Rienzi" bleibt immer eine Reibung mit der eigenen Geschichte. Auch in der ersten Inszenierung an der Deutschen Oper Berlin.